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Afrika: Ein Jahr nach Beginn der Pandemie

Martina Schwikowski
10. März 2021

Corona hat Afrika weniger schwer getroffen als anfangs befürchtet. Trotzdem sind die Folgen der Krise immens: Der Wirtschaftseinbruch verstärkt soziale Ungleichheit, der begrenzte Zugang zu Impfstoffen dämpft Hoffnungen.

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Eine Person sitzt in einem Krankenbett, bekommt über eine Maske Sauerstoff und bedeckt mit der Hand das Gesicht
Kein absolut kritischer Zustand, trotzdem braucht die Person Sauerstoff - und könnte damit Sinnbild für den Kontinent seinBild: RODGER BOSCH/AFP

­­­Als die Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 die weltweite Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zur Pandemie erklärte, zählte der afrikanische Kontinent gerade einmal 47 Infektions- und keine Todesfälle. "Leider hat Afrika mittlerweile aufgeholt", sagt Anja Osterhaus, Programmleiterin für Oxfam Deutschland im DW-Interview.

Ein Jahr später verzeichnet die Afrikanische Behörde für Krankheitsbekämpfung (Africa CDC) knapp vier Millionen bestätigte Infektionen sowie mehr als 106.000 Todesfälle in Verbindung mit dem Coronavirus (Stand 9. März 2021). Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Kampf gegen Armut um 30 Jahre zurück

Eine schwerwiegende Folge der Pandemie wird Afrika noch lange zu schaffen machen: Die Wirtschaft hat sehr unter Handelshemmnissen und dem globalen Einbruch der Nachfrage gelitten. Die Grenzschließungen waren fatal, zum Beispiel im informellen Sektor und im Tourismus. Laut vorläufiger Berechnungen der Weltbank schrumpfte die Wirtschaftsleistung der Länder in Subsahara-Afrika 2020 um 3,7 Prozent.

Kenia: Corona-Trucker-App

Ein Oxfam-Bericht vom Beginn der Pandemie habe prognostiziert, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie den Kampf gegen die Armut in einigen Gegenden Afrikas um 30 Jahre zurückwerfen könnten, sagt Osterhaus. "Demnach würde ein Einkommensrückgang der Haushalte um 20 Prozent dazu führen, dass weltweit über 400 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag rutschen." Zusätzlich. Dem Bericht zufolge leben etwas mehr als ein Viertel dieser Menschen in Afrika südlich der Sahara.

Eine Million schwangere Mädchen kehren nicht zur Schule zurück

Frauen und Mädchen litten laut Osterhaus am meisten unter den Auswirkungen der Pandemie: Vor allem ärmere Menschen hätten mit erheblichen Einkommensverlusten zu kämpfen. Besonders Mädchen müssten dabei helfen, das auszugleichen, sagt Osterhaus.

Hinzu kämen die langen Schulschließungen. "Viele Mädchen werden früher verheiratet oder fallen sexuellen Übergriffen zum Opfer. In vielen Orten dürfen sie nicht mehr zur Schule gehen, wenn sie schwanger sind", sagt Osterhaus. Die Organisation World Vision International schätzte im Oktober, dass in Subsahara-Afrika mutmaßlich eine Million schwangere Mädchen nicht zur Schule zurückkehren würden.

Klassenzimmer während des Unterrichts, eine Lehrerin zwischen Sitzbänken
Unterricht teils nur mit Maske - wie hier Mitte November in Nairobi, KeniaBild: picture alliance / ZUMAPRESS/ D. Odhiambo

Die Bildung ist für eine Generation von Schülern durch COVID-19 jäh unterbrochen worden - Organisationen wie Save the Children oder das UN-Kinderhilfswerk UNICEF befürchten eine globale Lernkrise. Andile Dube ist Bildungsexpertin bei UNICEF in Südafrika und bestätigt die Ernsthaftigkeit der Lage. "30 Millionen Kinder waren in Südafrika von den Schulschließungen betroffen - in privaten genauso wie in öffentlichen Schulen", sagte sie der DW im Dezember. Die Mehrheit sei im September 2020 nach Schulöffnung wieder zurückgekehrt, aber der Lernverlust ist groß.

Doch das ist nicht alles. "COVID hat die bestehenden Ungleichheiten ausgeweitet. Nur die Kinder der reicheren Familien haben Zugang zu virtuellem Lernen", fügt Dube an. Das gilt für viele afrikanische Länder.

Laut aktueller Statistik der UN-Bildungsorganisation UNESCO sind weltweit noch 8,3 Prozent aller eingeschriebenen Schüler von Schulschließungen oder eingeschränktem Unterricht betroffen. Demnach sind in Subsahara-Afrika aktuell noch in sieben Ländern die Schulen ganz oder teilweise geschlossen. 

Nicht erreichte Gesundheitsziele

Auch ist der Kampf gegen andere Krankheiten wie Malaria und HIV/Aids ins Stocken geraten. "Die COVID-Epidemie drückt uns nun noch weiter von unseren Zielen weg", sagte Winnie Byanyima, Direktorin der UN-Organisation UNAIDS Ende November. Durch die Auswirkungen von COVID-19 könnten sich weltweit mehr als 290.000 Menschen zusätzlich anstecken - und 148.000 Menschen mehr an den Folgen der HIV-Infektion versterben, so Berechnungen von UNAIDS. Nicht nur, weil HIV-Infizierte Angst vor Krankenhäusern haben.

"Sexuelle Gewalt ist vor allem in Afrika eine der wichtigsten Ursachen für neue Infektionen", sagt Byanyima. Auch lassen sich weniger Menschen auf HIV testen, seit die Corona-Pandemie ausgebrochen ist.

Mangelnde Solidarität in Sachen Impfstoff

Die Hoffnung der Menschen ist mit der Entwicklung der Impfstoffe gestiegen. Doch der ungleiche Zugang bietet Anlass zur Sorge. "Es ist beschämend, aber die meisten afrikanischen Länder konnten noch keine einzige Dosis eines COVID-19-Impfstoffes verabreichen", sagt Oxfam-Sprecherin Osterhaus.

Gesundheitspersonal steht mit Masken, Haube und Gesichtsvisiere in einer Gruppe
An diesem Montag starteten auch in Mosambik die Impfungen gegen COVID-19Bild: Romeu da Silva/DW

Wirtschaftlich privilegierte Länder der EU, Großbritannien und die Vereinigten Staaten blockierten den Vorschlag, die Produktion von Impfstoffen dadurch auszuweiten, dass die Monopole der Pharmakonzerne außer Kraft gesetzt werden. Aber nur so könne ein gleichberechtigter Zugang zu Impfstoffen garantiert werden, sagt Osterhaus. Allerdings sind in einigen wenigen, zahlungskräftigen Ländern wie zum Beispiel in Südafrika Impfkampagnen angelaufen.

Boomende Start-ups

Aber es gibt auch Lichtblicke in dieser Krise: Der Online-Handel und die Start-up-Szene boomt. "2020 hat alle überrascht", sagte Nicholas Kendall von GreenTec Capital, einem Investmentunternehmen, das sich auf afrikanische Start-ups spezialisiert. "Es war ein schwerfälliges Jahr, und die Gewinner wurden dadurch bestimmt, dass sie in der Lage waren, sich anzupassen. Trotz allem ist die Zahl der Deals in Afrika weiter gestiegen", sagt Kendall im Februar im DW-Interview.

Der Unternehmergeist in Afrika blüht - trotz der Krise. Das erklärt Luther Lawoyin aus dem nigerianischen Lagos, der bereits vier Start-ups gegründet hat, so: "Wir haben grundlegende Probleme zu lösen: Energie, Wohnen, Nahrung. Diese zwingen uns, innovativ zu sein. Wir müssen Lösungen finden, egal wie riskant es ist. Du innovierst - oder stirbst."

Mitarbeit: Silja Fröhlich, Daniel Pelz