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Bildergeschichten:

Tillmann Bendikowski16. Dezember 2013

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1914: Mit Kriegsbeginn werden Lebensmittel knapp.

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Ein kritischer Moment bei der Hamsterfahrt
Bild: picture-alliance/dpa/Berliner Verlag/Archiv

Der Staat greift durch: Der sogenannten "Hamsterpatrouille" ist es nicht entgangen, dass diese kleine Gruppe vermutlich keineswegs zum Wandern in die Natur hinausgezogen ist. Es könnte sich um Stadtbewohner handeln, die sich im Umland mit Lebensmitteln versorgt haben. Doch diese "Direkteinkäufe" und deren Hortung sind in Zeiten der Lebensmittel-Rationierung verboten. Wo und wann dieses Bild aufgenommen wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Aber es zeigt eindrucksvoll, wie groß die Not der Deutschen mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 ist – denn Hamsterfahrten sind stets ein Indikator für eklatante Versorgungsmängel.

Die deutsche Ernährungspolitik ist auf den Kriegsausbruch offensichtlich nicht vorbereitet: Menge und Qualität der verfügbaren Lebensmittel gehen rasch zurück, Kriegsbrote, mit Wasser verdünnte Milch und unzählige "Ersatz"-Lebensmittel prägen den Alltag. Wer kann, versucht an die Erzeuger "guter" Nahrungsmittel selbst heranzukommen – wird also zum Hamsterer. Der Begriff erinnert an die kleinen Nagetiere, die bekanntlich Nahrung für die schlechte Zeit bunken. Die Behörden stehen diesen bald nahezu hilflos gegenüber. Aber manchmal sind sie notgedrungen sogar mit von der Partie: Zuweilen organisieren Kommunen sogenannte Hamsterzüge, mit der die hungernde Stadtbevölkerung auf nahegelegene Felder gebracht wird, um dort per Tauschhandel Nahrungsmittel zu erwerben.

Doch nicht jeder hat entsprechend wertvolle Tauschware zur Hand – gerade in städtischen Arbeiterfamilien wird der Hunger für lange Zeit zum Kriegsalltag. Der Staat kann "Hamsterpatrouillen" aufstellen, doch er zeigt sich unfähig, den Bürgern eine angemessene Nahrung zu sichern. Nach heutigen Schätzungen sterben im Verlauf des Ersten Weltkriegs in Deutschland über 800.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung – vor allem Frauen, Kinder und Alte.

Das Hamstern wird für mehrere Generationen von Deutschen eine Grunderfahrung des 20. Jahrhunderts. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehören Hamsterfahrten erneut zur deutschen Normalität, anders ist an Kartoffeln, an Butter oder Heizmaterial einfach nicht heranzukommen. Wenn es heute noch zu Hamsteraktionen kommt, nehmen sie sich vor der Tragik der deutschen Geschichte vergleichsweise bescheiden aus. Die letzte größere Welle dieser Art gab es im Jahr 2012: Viele Deutsche horteten rasch noch die letzten in der EU fortan verbotenen Glühbirnen – doch dafür interessierte sich nun wahrlich keine Hamsterpatrouille mehr …