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Bisexualität - "Du gehörst nicht zu uns!"

23. Oktober 2018

Bisexuelle Menschen sind Grenzgänger. Einsame Grenzgänger - weder hetero- noch homosexuell. Laut einer Studie leiden Bisexuelle häufiger an psychischen Problemen, denn die Diskriminierung kommt von allen Seiten.

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Playmobil-Männchen wenden sich von einem Einzelnen ab
Bild: DW/J. Vergin

"Da muss man sich schon entscheiden!" Das war der Kommentar von Peters Freundin, der er damals, als er 23 Jahre alt war, anvertraute, dass er sich für bisexuell halte. "Ich wurde immer mal wieder für schwul gehalten", sagt der heute 51-Jährige. "Aber das stimmt nicht. Ich bin nicht schwul. Ich bin aber auch nicht hetero." Er ist bi.

Peter ist mit einer Frau verheiratet, lebt monogam, die gemeinsame Tochter ist 17 Jahre alt. Er sei glücklich, könne zu seiner Bisexualität stehen und schere sich nicht darum, was andere über ihn denken. Leicht war es für Peter trotzdem nicht. 

Manchen war er nicht "queer" genug. "Ich bin von schwulen Männer extrem gemobbt worden. Die haben gesagt, es sei total eklig, was ich da mit Frauen mache." Die Heteros seien da etwas toleranter gewesen, erzählt Peter. 

Patrick hingegen hatte mit Homosexuellen nie Probleme. In seiner Schulzeit wurde er vor allem als "Schwuchtel" beschimpft - das war noch vor seinem Outing. Seitdem er offen mit seiner Sexualität umgeht, hat er den Eindruck, dass sich vor allem augenscheinlich heterosexuelle Männer häufig von ihm distanzieren. Auch Patrick ist bisexuell. Genau wie Peter lebt er mit einer Frau und dem gemeinsamen Sohn zusammen.

Einsamkeit verschlechtert psychischen Zustand

Peter und Patrick haben noch etwas gemeinsam: Sie sind nicht so leicht in eine bestimmte Schublade zu stecken. Laut einer amerikanischen Studie kann daraus für Bisexuelle ein besonderes psychisches Leid erwachsen. Die Tatsache, dass sie sowohl von Hetero- als auch Homosexuellen diskriminiert, ausgeschlossen oder nicht ernst genommen werden, führe zu einem höheren Risiko, psychisch zu erkranken. Depressionen, Angstzustände und auch Suizid können die Folge sein. 

Mehr zur Sexualität: Mann? Frau? Beides? - Was genau ist Intersexualität?

Infografik Bisexuelle und ihre Diskriminierungserfahrungen (Deutsche Welle)

Ein Katalysator für den schlechten mentalen Zustand von Bisexuellen ist, so die Forscher, ein ganz bestimmtes Gefühl: Einsamkeit. Und um sich einsam zu fühlen, reicht schon der Eindruck, nicht ernst genommen oder permanent missverstanden zu werden. 

Pia ist ebenfalls bisexuell und hat den Eindruck, dass Bisexuelle in der ganzen LGBT*-Debatte [Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender] überhaupt nicht vorkommen. "Mich nervt diese Unsichtbarkeit", sagt die 31-Jährige. Dabei sammeln immer mehr junge Menschen sowohl homo- als auch heterosexuelle Erfahrungen und verwischen so die Grenzen zwischen den sexuellen Orientierungen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Großbritannien im Jahr 2015 empfindet sich fast die Hälfte der Befragten zwischen 18 und 24 als bisexuell. Allerdings variiert, wie stark die Bisexualität ausgeprägt ist. Basis der Befragung bildete die Kinsey-Skala.

Sie ist der Versuch des Sexualforschers Alfred Charles Kinsey gewesen, die Komplexität der sexuellen Orientierung eines Menschen auf einen einzelnen Zahlenwert herunter zu brechen. Während "0" ausschließlich heterosexuell und "6" ausschließlich homosexuell bedeutet, ist alles dazwischen irgendwie bi, mit mehr oder weniger Neigung in die eine oder andere Richtung. Oder eben einer gleichwertigen Präferenz für die Geschlechter.

Missachtung und Diskriminierung - von allen Seiten

Pia ist verheiratet - mit einem Mann. Das Paar lebt monogam und allein diese Tatsache reicht manchen, Pia die Bisexualität gleich ganz abzusprechen. "'Du musst das doch ausleben, sonst kannst du doch nicht wirklich bi sein', hab ich mir schon angehört", erzählt die junge Frau.

Tatsächlich ist die Annahme, Bisexuelle seien naturgemäß promiskuitiv, also ständig auf Partnersuche, weit verbreitet. Laut einer Umfrage des Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) haben fast 30 Prozent der Bisexuellen in Deutschland schon mal gehört, dass sie doch wahrscheinlich mit jedem ins Bett gingen (siehe Grafik).

Die 24-Jährige Marie zum Bespiel wusste bereits zur Schulzeiten, dass sie auf kein Geschlecht festgelegt ist. Einige Männer in Maries Umfeld hätten ihre Bisexualität so gedeutet, dass sie generell sexuell viel offener sei und jederzeit alles mit jedem tun würde. Es kam zu sexuellen Übergriffen.

Das ist die eine Seite: Die heterosexuellen Männer finden die Vorstellung heiß, dass Marie was mit Frauen hat. "Ich war die Bisexuelle, die immer nach Dreiern mit anderen Frauen gefragt wurde." Lesbische Bekannte hingegen nahmen sie nicht für voll. Man sei schließlich entweder hetero- oder homosexuell. "Grenzgänger, ja", sagt Marie, "mit dem Begriff kann ich viel anfangen."

Partnerschaft: Muss kein Problem sein

Bisexuelle sind mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert - zumindest potentiell: Eine monogame Beziehung bedeutet Verzicht. Peter und Pia empfinden das nicht als Problem. Sie hätten sich in den Menschen und nicht in das Geschlecht verliebt, sagen beide.

Peter hat seine Frau 1997 kennengelernt und seitdem nichts mehr mit einem Mann gehabt. "Mir fehlt gar nichts", sagt er. Ganz anders ist das für Patrick. Er möchte nicht auf intimen Kontakt mit Männern verzichten, trotz seiner Beziehung. Deshalb hat er sich mit seiner Freundin auf eine offene Beziehung geeinigt. Auch Marie lebt nicht monogam, genau wie ihr Freund übrigens - abgesprochen und mit sexuellen Freiheiten nicht nur für den bisexuellen Partner. 

Mehr zu Partnerschaft: Lügen machen krank und einsam

Bisexuelle bedrohen das Schubladendenken

Nicht nur der Sexualforscher Kinsey ging davon aus, dass die Gruppe von Menschen, die eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Bisexualität haben, viel größer ist als die derjenigen, die sich als rein hetero- oder homosexuell definieren. Kinsey verwehrte sich deshalb der Theorie, die Menschen stellten zwei getrennte Populationen dar, eine hetero- und eine homosexuelle. Nicht alle Dinge seien entweder schwarz oder weiß.

Auch die Harvard-Professorin Marjorie Garber ist der Meinung, dass die Bisexualität die Natur der Sexualität des Menschen am authentischsten beschreibt. In ihrem Buch "Bisexuality and the Erotisicism of Everyday Life" schreibt sie: "Die erotische Entdeckung der Bisexualität ist die Tatsache, dass sie die Sexualität als einen Prozess des Wachstums, der Transformation und der Überraschung offenbart […]." Sexualität sei eben kein zwangsläufig stabiler Zustand.

Die Bisexuellen wissen das. Und leiden nicht selten darunter, dass so "viele Menschen die Welt lieber in Böcke und Schafe" trennen - um es mit Kinseys Worten zu sagen. 

Mehr über Sexualität und Natur: Schwule, Lesben und Bisexuelle - im Tierreich ganz normal

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.