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Bismarcks Enkelin bot Hitler die Stirn

Anja Steinbuch
2. Mai 2018

Sie warnte schon 1930 vor den Nazis, verweigerte später den Hitlergruß und schützte Widerständler. Eine neue Biographie beschreibt das Leben Hannah von Bredows, die ihren aufrechten Prinzipien stets treu blieb.

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Bismarcks Enkelin Hannah von Bredow
Bild: Leopold Bill von Bredow

1930 jubelten Millionen Deutsche den Nationalsozialisten zu. Nicht so Hannah von Bredow. Die älteste Enkelin des Reichskanzlers Otto von Bismarck warnte vor den radikalen politischen Entwicklungen, die zum Zweiten Weltkrieg führen sollten. Konsequent lehnte sie jeglichen Kontakte und jegliche Unterstützung der NS-Führungsriege ab, obwohl ihre Brüder Otto und Gottfried unter den Nazis Karrieren anstrebten. Ihr Widerstand ging so weit, dass sie und ihre Tochter Philippa nach dem Hitler-Attentat in Haft genommen wurden und nur durch gute Beziehungen freikamen.

Biograph Reiner Möckelmann zeichnet ein exaktes Porträt dieser charismatischen Zeitzeugin. Mit Unterstützung ihres jüngsten Sohnes, Leopold Bill von Bredow, der die persönlichen Aufzeichnungen seiner Mutter sichtete und zur Verfügung stellte, gelingt dem ehemaligen Diplomaten und Historiker Möckelmann ein analytisches und persönliches Porträt. Möckelmann hat bereits vor zwei Jahren mit seiner Biographie "Franz von Papen. Hitlers ewiger Vasall" für Aufsehen gesorgt; akribisch dokumentierte er damals historische und persönliche Zusammenhänge. Und auch diesmal gelingt es dem Autor, Fakten und Zeugnisse sprechen zu lassen. In der jetzt vorgelegten Biographie "Hannah von Bredow – Bismarcks furchtlose Enkelin gegen Hitler" wirft er dank einer historischen Einordnung, guter Quellenlage (Briefe und Tagebücher) und dem Respekt vor seiner Protagonistin ein faszinierendes Schlaglicht auf ein Jahrzehnt radikaler gesellschaftlicher Umbrüche - aus der Sicht einer Frau.

Kindheit im Kaiserreich

Die Hochzeitsgesellschaft der Hannah von Bredow, der Enkelin Bismarcks, posiert für den Fotografen
Bei Hannah von Bredows Hochzeit posierte die Gesellschaft für den FotografenBild: Leopold Bill von Bredow

Hannah Leopoldine Alice Gräfin von Bismarck-Schönhausen wurde am 22. November 1893 geboren. Ort: Schloss Schönhausen an der Elbe bei Stendal. Auf dem Familienanwesen war bereits ihr berühmter Großvater, Reichsgründer Otto Fürst von Bismarck, aufgewachsen. Die ersten Kinderjahre stellten die Widerstandskraft der kleinen Gräfin bereits auf die Probe: Ihre Eltern, Herbert Fürst von Bismarck und Marguerite Gräfin Hoyos Freiin zu Stichsenstein, hatten auf einen Sohn gehofft. Zudem war Hannah auf dem rechten Auge blind und ein blaurotes Muttermal bedeckte den linken Arm. Schmerzhafte Operationen folgten. Trotzdem oder gerade deshalb entwickelte sich Hannah zu einem aufmerksamen, intelligenten jungen Mädchen mit schneller Auffassungsgabe und perfekten Sprachkenntnissen in Englisch und Französisch.

Gemeinsam mit ihren jüngeren Geschwister Maria Goedela (*1896), Otto (*1897), Gottfried (*1900) und Albrecht (*1903) wurde Hannah von Gouvernanten und Hauslehrern erzogen. Als sie knapp elf Jahre alt war, starb der Vater. Trotz aller Trauer musste sie nun die Verantwortung für Geschwister und Haushalt mit übernehmen. Mit 13 hatte sie in Vertretung für ihre Mutter auf dem Familiensitz in Friedrichsruh bei Hamburg die Haushoheit über Köchin, Diener, Stubenmädchen, Kutscher und Gärtner. Gleichzeitig war sie bei Empfängen dabei, lernte politische Persönlichkeiten kennen und reiste durch das Kaiserreich und nach England.

Bismarcks Enkelin Hannah von Bredow mit ihren Geschwistern
Hannah von Bredow (li.) mit ihren GeschwisternBild: Leopold Bill von Bredow

1914 lernte sie Leopold Waldemar von Bredow kennen und heiratete ihn ein Jahr später. Der fast 20 Jahre ältere Witwer brachte eine Tochter mit in die Ehe. Das Paar zog nach Potsdam und bekam zwischen 1916 und 1933 noch fünf Töchter und drei Söhne. In den 1920er Jahren führte die gebildete junge Frau ein intensives gesellschaftliches Leben: Sie lernte Politiker wie Paul von Hindenburg, Franz von Papen, Heinrich Brüning und Kurt von Schleicher kennen und verkehrte in der Familie des Nobelpreisträgers Max Planck.

Gegnerin des NS-Regimes

Das Erstarken der NSDAP unter Adolf Hitler beobachtete die junge Frau von Anfang an kritisch. 1930 notierte sie in ihrem Tagebuch: "Wenn er Diktator wird, wird Deutschland ein Irrenhaus." Ihre Brüder Otto und Gottfried nahmen zwei Jahre später persönlichen Kontakt zu Hitler auf. Doch während die männlichen Bismarck-Enkel der NSDAP beitraten, verweigerte Hannah diesen Schritt. Ihre Begründung: Mit ihren Kindern habe sie ihre "vaterländische Gebärpflicht nachweisbar erfüllt".

1933 – dem Jahr der Machtergreifung Hitlers - schrieb Hannah in ihr Tagebuch: "Die Welt ist aus den Fugen, und wir können nur abwarten, bis uns das Genick umgedreht wird." Kurz darauf starb ihr Mann. Konsequent verweigerte Hannah von Bredow den Hitlergruß. Ihre Kinder hielt sie von allen Nazi-Organisationen fern.

Im Visier

Die Familie Hannah und Leopold von Bredow
Familienglück: Hannah und Leopold von Bredow mit ihren Kindern Bild: Leopold Bill von Bredow

1938 wurde dann ihr Pass eingezogen. Der Grund: "Unerhörte Briefe" und ein großes "Sündenregister", das die Gestapo zusammengestellt hatte. Darin fanden sich Vorwürfe wie "Ausländerei", "Nichtmitgliedschaft in NS-Vereinigungen" und "Erziehung der Kinder zu Staatsfeinden". Ihre Tochter Philippa war über ihren Freund Werner von Haeften Mitwisserin des Hitler-Attentats. Sowohl Bruder als auch Tochter wurden nach dem 20. Juli festgenommen, kamen nach acht Monaten aber wieder frei. Kriegsende und Nachkriegszeit verbrachte Hannah von Bredow in der Schweiz. Bei einem Besuch ihres Bruders Otto im Juni 1971 in Friedrichsruh stürzte die inzwischen 77-Jährige und erlitt einen Wirbelsäulenbruch. Sie starb im Krankenhaus Hamburg Bergedorf.

Buchcover Hannah von Bredow

"Hannah von Bredow war der einzige männliche Nachkomme Bismarcks." Diese Beschreibung aus der Feder des US-Historikers Allen Welsh Dulles trifft die Konsequenz und Gradlinigkeit der Enkelin Bismarcks. Welsh, dessen Bruder später US-Außenminister wurde, kannte die Bismarcks gut. Trotzdem verfehlt das Urteil den Charakter dieser scharfsinnigen und auch fürsorglichen Frau. Dem ehemaligen Diplomaten und Historiker Reiner Möckelmann gelingt das Porträt einer politischen Denkerin, die konsequent vor dem aufkeimenden Nationalsozialismus warnte. Insbesondere durch die exakt wiedergegebenen Gespräche mit Politikern der 1930er Jahre erhält der Leser tiefe Einblicke in die politischen Zusammenhänge des Dritten Reichs.


"Hannah von Bredow: Bismarcks furchtlose Enkelin gegen Hitler" von Reiner Möckelmann ist im Verlag wbg Theiss erschienen.