1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

US-Gesundheitsreform

20. August 2009

Morddrohungen, Euthanasie-Vorwürfe und Hitler-Bärtchen – die Debatte über die Gesundheitsreform in den USA wird immer bizarrer. Die Republikaner heizen die Stimmung noch an.

https://p.dw.com/p/J85w
Demonstranten protestieren in Kalifornien gegen die Gesundheitsreform (Foto: AP)
Obama mit Hitlerbärtchen - in den USA ufert die Gesundheitsdebatte ausBild: AP

In der Kontroverse um die Gesundheitsreform in den USA hat Präsident Barack Obama seine politischen Gegner scharf attackiert. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Portsmouth, New Hampshire, rief er das Publikum dazu auf, nicht auf diejenigen zu hören, "die dem amerikanischen Volk Angst machen und es in die Irre führen".

US-Präsident Barack Obama (Foto: AP)
In Portsmouth versuchte Obama, die Wogen zu glättenBild: AP

In den vergangenen Tagen waren die Diskussionen über die Reform des US-amerikanischen Gesundheitssystems völlig außer Kontrolle geraten: Gleich bei mehreren Veranstaltungen, bei denen jüngst demokratische Kongressmitglieder für die Reformpläne von Präsident Obama warben, kam es zu Handgreiflichkeiten. Verletzte mussten im Krankenhaus behandelt werden, Polizisten einschreiten, Politiker-Auftritte aus Sicherheitsgründen abgeblasen werden. Obama-Unterstützer wurden niedergeschrien, Fäuste geschwungen, angsterfüllte Bürger weinten, ein Kongressmitglied erhielt eine Todesdrohung.

Nazi-Vergleiche

Auf den Straßen schwenken wütende Demonstranten Plakate, auf denen Präsident Obama mit Hitler-Bärtchen zu sehen ist, weil er angeblich ein Euthanasie-Programm für ältere, kranke Mitbürger plant. Im Internet kursieren Flyer, auf denen der Titel seiner Gesundheitsreform mit einem dicken Hakenkreuz verschmiert ist.

In Smyrna, Georgia, fand der Abgeordnete David Scott sein Büroschild mit einem Hakenkreuz besprüht vor (Foto: AP)
In der Debatte werden Nazi-Vergleiche bemühtBild: AP

Auch die unlängst als Gouverneurin von Alaska zurückgetretene Sarah Palin hat sich eingeschaltet. Auf der Internet-Plattform Facebook schrieb sie vergangene Woche, der Präsident wolle ein staatliches "Todes-Gremium" schaffen, das darüber entscheiden solle, wer es wert sei, in den Genuss von Gesundheitsfürsorge zu kommen: "Ein solches System ist geradezu böse", so Palin.

So hatte Obama sich das nicht vorgestellt. Nach seinem ursprünglichen Fahrplan sollte die Gesundheitsreform bereits vor den Kongress-Sommerferien unter Dach und Fach sein. Eine Abstimmung im August - das war die Zielvorgabe für Obamas ehrgeizigstes innenpolitisches Vorhaben.

Notwendige Reform

Die Neuordnung des Gesundheitssystems in den USA ist seit Jahrzehnten ein heißes Eisen. Das Gesundheitswesen in den USA gilt als das weltweit teuerste, ärztliche Hilfe und Medikamente kosten in der Regel erheblich mehr als in Europa. Vor allem aber sind über 46 Millionen von 300 Millionen Amerikanern ohne Versicherung. Im Unterschied zu anderen Industriestaaten gibt es in den USA keine allgemeine Krankenversicherung; die meisten Amerikaner sind über ihre Arbeitgeber versichert.

Dicke Kinder bei Mc Donald's (Foto: AP)
Das Gesundheitssystem der USA ist teuer - und trotzdem nicht ausreichendBild: AP

Obama will dies ändern. Eine öffentliche Krankenversicherung als Alternative zu privaten Anbietern soll letztere zu mehr Kostendisziplin zwingen und mehr Bürgern den Zugang zu einer Versicherung eröffnen. Die Republikaner kritisieren seine Pläne als staatliche Einmischung und als zu teuer. Einem großen Teil der Konservativen graust es bei der Vorstellung, dass künftig die Regierung über die staatlichen Gesundheitsprogramme Medicare für die Älteren und Medicaid für die Armen hinaus ihre Finger im Spiel haben könnte. Das ist für sie, die prinzipiell "so wenig Regierung wie möglich" wollen, das rote Tuch schlechthin - und eine Klaviatur, die Obamas politische Gegner nun rauf und runter spielen.

Angstkampagne der Republikaner

So hat sich - auch auf Betreiben zahlreicher Republikaner - unter vielen älteren Amerikanern die Sorge breitgemacht, dass künftig die Regierung darüber bestimmen könnte, wer welche Medikamente bekommt und wer zu welchem Arzt gehen kann. Ein Schreckgespenst, das durch Fernsehwerbespots gefördert wird. Darin wird etwa mit Grabesstimme vor einer verstaatlichten Versicherung gewarnt, die praktisch zum Richter über Leben und Tod werde.

Bei einer Versammlung in Florida äußerten gleich mehrere ältere Frauen unter Tränen die Angst, Obamas "Versicherungsleute" könnten sie zum Tod verurteilen. In Missouri entluden sich bei einer Veranstaltung Panik und Wut in Gewalt: Sechs Menschen wurden nach einer Schlägerei festgenommen. Führende Republikaner nennen die Ausbrüche spontane und gesunde Meinungsäußerungen einer besorgten Basis. Die Demokraten wittern organisierte Störmanöver.

Als Antwort auf die "Angstkampagne" hat US-Präsident Barack Obama jetzt eine neue Internetseite mit Informationen rund um sein ambitioniertes Projekt gestartet. Ziel der Webseite sei es in erster Linie, den vielen "hanebüchenen Gerüchten" über die Reform "Fakten" gegenüberzustellen, teilte Obamas Berater David Axelrod mit. (ina/tl/dpa/ap/afp)