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Umweltrassismus in den USA

Ben Knight
7. Mai 2020

Das Risiko einer Bleivergiftung hängt mehr von der Hautfarbe als von Armut oder schlechten Wohnverhältnissen ab. Zu dem Ergebnis kommt eine neue Studie, die auf Rassismus auch in Umweltfragen hinweist.

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Von Blei gesäuberte Häuser in Buffalo, im Bundesstaat New York
Bild: Community Foundation for Greater Buffalo

Das neuartige Coronavirus tötet unverhältnismäßig viele Afroamerikaner in den USA. Erkenntnisse wie diese kommen für amerikanische Gesundheitsforscher nicht überraschend. Schon seit Längerem zeigen viele Beispiele, dass schwarze Amerikaner umweltbedingten Gefahren und Krankheiten stärker ausgesetzt sind als weiße - zum Beispiel durch verseuchtes Wasser, wie in der Stadt Flint im Bundestaat Michigan, oder durch Parasiten, wie demHakenwurm in Alabama

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Einen neuen Maßstab für die in vielerlei Hinsicht toxische Wirkung des systematischen Rassismus in den USA liefert nun eine Studie. Sie befasst sich mit einer lange existierenden Gefahr, der Bleivergiftung bei Kindern. 

Es gibt keine Grenzwerte für dieses Schwermetall, keine Bleimenge im Blut, die man als unschädlich bezeichnen könnte. Selbst kleinste Spuren davon können Hirnzellen schädigen. Eine besondere Gefahr besteht jedoch für Kinder im Vorschulalter, denn bei ihnen kann die Gehirnentwicklung gestört werden. Die amerikanische Behörde Centers for Disease Control (CDC) schätzt, dass in den USA etwa 2,5 Prozent der Kinder bis zu sechs Jahren einen "erhöhten Bleiwert im Blut" aufweisen. 

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In der neuen Studie verwendeten Wissenschaftler öffentlich zugängliche Daten, die CDC über einen Zeitraum von elf Jahren im Rahmen einer repräsentativen Stichprobe erhoben hat. Dabei wurden Tausende von Kindern im Alter von einem bis fünf Jahren erfasst.Die Studie erschien im Februar 2020 im International Journal of Environmental Research and Public Health.

Wasserverschmutzung in Flint, Michigan
Afroamerikaner sind häufiger Umweltgefahren ausgesetzt, zum Beispiel der Wasserverschmutzung in der Stadt Flint, MichiganBild: Lance Cheung

Die Forschergruppe fand heraus, dass schwarze Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben, mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit erhöhte Bleiwerte im Blut aufweisen, als arme, weiße oder hispanoamerikanische Kinder. Die Gesundheitsbehörde CDC wollte sich dazu nicht äußern, mit der Begründung, dass sie an der Studie nicht beteiligt gewesen sei. 

Die Gefahr, Afroamerikaner zu sein

Statistisch gesehen gibt es auch dann noch ein erhöhtes Risiko für eine Bleivergiftung, die mit der Hautfarbe in Verbindung steht, wenn man alle anderen Faktoren herausrechnet, also: Armut, Bildungsniveau, die Anwesenheit von Rauchern in der Wohnung und die Wohnqualität.  

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"Viele Leute sagten: 'Oh, schwarze Kinder sind einfach gefährdeter, weil sie eher arm sind'", sagt Deniz "Dersim" Yeter. Der unabhängige Forscher und Krankenpflege-Student hat die Studie mitverfasst. "Ja, Armut ist ein Problem, aber das ist nichts im Vergleich dazu, ein schwarzes Kind in den USA zu sein." 

Yeter war "verblüfft" über die Ergebnisse der dreijährigen Analyse. "Ich wusste, dass die Dinge nicht gut standen. Aber ich erwartete vielleicht einen marginalen Anstieg, etwas statistisch Signifikantes, aber...nicht zwei- bis sechsmal so hoch. Das ist doch geradezu unanständig."

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Die Studie enthält einige überraschende Schlussfolgerungen: Die soziale Gegebenheit, ein Afroamerikaner zu sein, stellt für die Menschen ein weitaus größeres Risiko dar, als die Tatsache, dass sie in einem alten Haus wohnen. Schwarze Kinder, die in einem zwischen 1950 und 1977 gebauten Häusern leben, haben sechsmal so oft erhöhte Bleiwerte im Blut, wie weiße Kinder, die in so einem Gebäude leben. Die Autoren der Studie vermuten strukturellen Rassismus. Soll heißen: Rassismus, der in der Gesellschaft verankert ist und beispielsweise von Behörden ausgeht und deren Auslegung von Vorschriften gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Das Jahr 1977 ist in dieser Hinsicht bedeutsam, denn von da an begann die USA, den Bleigehalt in Farben gesetzlich einzuschränken. Aber bleihaltige Farbe wurde nie systematisch aus alten Gebäuden entfernt. Nach Schätzungen des Ministeriums für Wohnungsbau bergen immer noch über 3,6 Millionen Häuser, in denen Kinder leben, Gefahren durch Blei.

Tödliche Ungleichheit in USA

"Es ist wirklich schlimm", sagt Yeter. "Und es wird schlimmer. Es geht um kleine Staubteilchen, man atmet sie ein, die Kinder fassen Dinge an, berühren ihren Mund, nehmen die Teilchen auf. Früher [vor 1950] war es so schlimm, dass Kinder Krämpfe bekamen, ins Krankenhaus mussten und starben, weil sich so viel Blei in ihrem Blut angesammelt hatte. 

Die Folgen des 'Redlining’ 

Die Zahlen, die Yeter zutage brachte, sind keine Überraschung für Gemeindemitarbeiter in Gegenden, in denen Bleivergiftungen nur eines von vielen Gesundheitsrisiken sind, denen Afroamerikaner ausgesetzt sind.

"Sie müssen sich nur einmal umschauen", sagt Kinzer Pointer, Pastor und Gesundheitsaktivist in einer überwiegend afroamerikanischen Gemeinde in Buffalo im Bundesstaat New York. In der Stadt wurden die meisten Wohnungen vor 1978 gebaut. Dort hatten 40 Prozent der Kinder, die 2016 getestet wurden, einen erhöhten Bleiwert im Blut. 

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Buffalo ist ein Paradebeispiel für die Auswirkungen des "Redlining", des Ausschlusses von Minderheiten in den USA von nahezu allem, von Versicherungen bis hin zu Lebensmittelgeschäften. Dort findet man Hinweise, wie Rassismus zu schlechter Gesundheit führt.  

In der Gegend, für die er als Pastor zuständig ist, sagt Pointer, sei der nächste Supermarkt mit frischem Obst und Gemüse mehr als fünf Meilen entfernt. 60 Prozent der Menschen besäßen kein eigenes Transportmittel. "Die Menschen leben von Fastfood."

Von Blei gesäuberte Häuser in Buffalo, im Bundesstaat New York
Afroamerikaner müssen häufiger mit Zwangsräumungen rechnen, als andere Gruppen. Bild: Community Foundation for Greater Buffalo

Das ‘Redlining' betrifft auch Hypotheken und Wohneigentum. Bei der letzten Volkszählung zeigte sich, dass nur etwa 42 Prozent der Afroamerikaner das Haus, in dem sie wohnen auch besitzen - während 68 Prozent der weißen Amerikaner Hauseigentümer waren. 

Rahwa Ghirmatzion ist Direktorin der Organisation People United for Sustainable Housing in Buffalo, die sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt, der auch ökologische Kriterien erfüllt. Sie sagt, wenn Mieter einen Brief von der Gesundheitsbehörde erhalten, in dem sie vor Kontaminierungen im Gebäude gewarnt werden, "dann wird erwartet, dass sie entweder umziehen oder ihren Vermieter dazu bringen, das Problem zu beheben."   

Eine Auseinandersetzung mit dem Vermieter kann für Schwarze besonders belastend sein. Eine Studie des American Journal of Sociology aus dem Jahr 2012 zeigte, dass Afroamerikaner unverhältnismäßig häufiger Zwangsräumungen ausgesetzt sind als Weiße in den gleichen Einkommensklassen. Und ein freiwilliger Umzug kann bedeuten, dass ein Mietvertrag gebrochen wird und eine Kaution verloren geht, was es noch schwieriger macht, sich ein Haus zu leisten, das frei von Blei ist.  

Kinder spielen auf einer Straße in East Chicago
Kinder spielen auf einer Straße in East Chicago, wo der Boden einen hohen Blei- und Arsengehalt aufweist Bild: Getty Images/J. Lott

Blind für die Hautfarbe

Nach David Rosner, Mitautor des 2014 erschienenen Buches "Lead Wars", übersetzt "Bleikriege", das die Geschichte von Bleivergiftungen seit dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnet, ist Rassismus immer einer der Gründe gewesen, warum Bleivergiftungen toleriert wurden. 

Laut Rosner hat die Lead Industries Association (LIA) - ein Verband bleiverarbeitender Industrien - nach dem Krieg sogar Schwarze beschuldigt, sie hätten ihren Kindern erlaubt, Farbe zu essen. In einem Brief aus dem Jahr 1956 argumentierte LIA gegenüber der Regierung, Bleivergiftung müsse man durch die Erziehung der Eltern bekämpfen. "Aber die meisten Fälle treten in Familien von Negern und Puerto-Ricanern auf, und wie soll man das denn angehen?"

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Mit der Studie will Yeter zeigen, dass versteckter, struktureller Rassismus genauso gefährlich sein kann wie offener, und dass Reihenuntersuchungen im öffentlichen Gesundheitswesen, die nicht auch die Hautfarbe als Faktor berücksichtigen, das Problem nur noch verschlimmern. 

Gegenwärtig wird von Organisationen wie der American Academy of Pediatrics, einem Zusammenschluss von Kinderärzten, ein Screening empfohlen, um den Bleigehalt im Blut von Kindern zu bestimmen, die in alten Gebäuden wohnen oder einer bestimmten Schicht angehören. Yeter sagt, wenn das Thema Hautfarbe unter den Tisch fällt, würden die Behörden blind gegenüber der allgegenwärtigen Diskriminierung.  

"Wer Hautfarbe als einen der Hauptrisikofaktoren ignoriert, schließt sehr viele schwarze Kinder von kommunaler, regionaler und staatlicher Hilfe aus." Yeter fügt hinzu: "So zu tun, als ob keine Politik dahintersteckt, dass Menschen Gefahren ausgesetzt sind oder was die Ursachen dafür sind, oder wie man das lösen kann ... das ist politisch!"