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Blick hinter die Kulissen des EU-Gipfels

Alexander Kudascheff, Brüssel21. Juni 2006

Der EU-Gipfel ist vorbei. Dieser Rat der Ratlosigkeit hat bestenfalls ein beredtes Schweigen hervorgebracht. Die Substanz des Gipfels war eigentlich: Null. Doch hinter den Kulissen kann man drei Dinge feststellen.

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Fernschreiber Autorenfoto, Alexander Kudascheff

Zum einen lässt sich feststellen - ganz offensichtlich: Die europäische Verfassung ist tot. Sie wird nicht wiederbelebt. Sie erlebt bestenfalls eine Teilauferstehung, wenn wichtige Elmente, die für das Funktionieren der EU unerlässlich und nötig sind, in einem " conduct of rules" festgelegt werden. Das wird dann aber bestenfalls eine Geschäftsordnung sein, aber keine Verfassung.

Vorbehalte zwischen Türkei und EU

Zum Zweiten: Die Beitrittsgespräche mit der Türkei stocken bevor sie überhaupt ins Laufen kommen. Auf beiden Seiten gibt es immer mehr - offene und weniger offene - Vorbehalte. Die Regierung Erdogan sieht sich außerstande, Zypern anzuerkennen - jedenfalls jetzt. Gespräche aber mit einem Kandidaten, der ein Mitgliedsland der EU nicht anerkennt, sind unsinnig und unzulässig. Es zeigt sich am Rande übrigens, dass es ein Fehler war, Zypern aufzunehmen, in der Hoffnung, dann würde sich der Dauerkonflikt lösen lassen. Da siegte das Prinzip Hoffnung über die politische Erfahrung - zum Nachteil der EU heute. Aber auch auf Seiten der 25er Gemeinschaft wird immer unverhohlener darüber spekuliert, dass die Türkei niemals in die EU aufgenommen werden wird. Die "Aufnahmefähigkeit" des Clubs sei erschöpft heißt es - und man fragt sich, warum dann trotzdem die 25 die Beitrittsverhandlungen beschlossen haben. Von berauschenden Visionen wird jedenfalls nicht mehr gesprochen. Auf beiden Seiten nicht.

Streit um die Eurozone


Und zum Dritten: Litauen wird den Euro im Gegensatz zu Slowenien nicht zum 1. Januar 2007 einführen dürfen. Es verfehlt die Inflationshürde um Millimeter. Eigentlich kein Thema - wären nicht bei Belgien, bei Italien und bei Griechenland seinerzeit gewaltige Ausnahmen gemacht worden, damit diese Länder überhaupt zur Eurozone gehören durften. Darüber ist Litauen zu Recht sauer und empfindet das als Zweiklassenpolitik. Das Land am Baltikum hat damit andere auf seiner Seite, die das nicht hinnehmen wollen. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik beispielsweise.

Riss in der EU

Es zeigt sich also ein Riss in der EU. Ein Riss zwischen den Alten und den Neuen. Ein Riss zwischen den Ländern, die die EU erweitern und denen, die die EU vertiefen wollen. Es zeigt sich aber vor allem, dass die Zeit der Formelkompromisse zu Ende geht. Vertiefen und erweitern zusammen - das geht nicht. Die EU muss sich auf den Weg machen - zu sich selbst, um sagen zu können, was sie in Zukunft sein will. Das ist allemal besser als immer wieder über die Verfassung zu schwadronieren. Und vielleicht sollte man auch zu Beginn eines solchen Nachdenkens mit einer ehrlichen Verbeugung beginnen. Das Europa der Ergebnisse (oder der Erfolge), von dem alle so schwärmerisch sprechen, um die Bürger zu überzeugen - das ist eine Idee Tony Blairs. Und selbst wenn die Engländer politisch gefühlsmäßig am Rande der EU stehen - ihren Pragmatismus und Sinn für Humor braucht die EU. Daran sollte auch der Mustereuropäer Juncker denken, bevor er feststellt, man könne sich die EU ohne England, aber nicht ohne Frankreich vorstellen. Bei allem Respekt - hat Frankreich oder England Nein zur Verfassung gesagt?