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Blinde Unternehmer

8. Juni 2011

Tausende von Projekten für Blinde gibt es weltweit. Doch kaum eine Organisation geht so weit wie das "International Institute for Social Entrepreneurs" in Indien. Hier lernen Blinde, wie sie die Welt verändern können.

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Hausaufgaben: Die blinde Pattarisa Laksana aus Thailand liest mit ihren Fingern (Foto:AP)
Das IISE fördert vor allem "Idealisten mit Macher-Talenten"Bild: DW

Nur der Wind in den Blättern der Kokospalmen und das klickende, tastende Geräusch von Blindenstöcken sind zu hören. Auf dem Campus des "International Institute for Social Entrepreneurs" (IISE) eilen Menschen aller Hautfarben in einen Backsteinbau, das Audimax. Die meisten der 15 Teilnehmer sind blind oder stark sehbehindert. Einige gehen mit Krücken oder haben andere Benachteiligungen. Sie alle sind ins indische Trivandrum, nahe der Südspitze des Kontinents, gekommen, um zu lernen, wie sie in ihren Heimatländern Organisationen gründen, anderen helfen und gegen Missstände kämpfen können. Sie wollen mit wenig Geld viel sozialen Nutzen schaffen, als sogenannte "Social Entrepreneurs".

Die meisten der Teilnehmer des elf-monatigen Kurses hatten bis zu ihrer Bewerbung für das IISE noch nie vom Begriff des sozialen Entrepreneurs gehört. Nun haben sie die Chance, selbst einer zu werden. In Workshops lernen sie selbstsicheres Auftreten, Argumentieren, Investoren zu gewinnen und Kalkulieren. Auch Computerunterricht und Buchhaltung wird angeboten.

Gesucht: Behinderte mit Stehvermögen

Porträtbild Sabriye Tenberken, Tibetologin und Gründerin des 'International Institute for Social Entrepreneurs' (Foto: DW)
Sabriye Tenberken, Tibetologin und Gründerin des IISEBild: DW/ Matthias Müller

Die Deutsche Sabriye Tenberken und der Niederländer Paul Kronenberg haben das Institut 2009 gegründet. Am wichtigsten ist es ihnen, die Fähigkeit zu vermitteln, quer zu denken und Träume wahr zu machen. Es sei ein hartes Bewerberverfahren, sagt Paul Kronenberg, denn das Institut suche keine Leute, die mal eben "Mutter Theresa sein wollen". Er und Sabriye Tenberken, schon seit zwölf Jahren Projektpartner beim Dachverband "Braille without Borders" und auch privat ein Paar, setzen auf Idealisten mit Macher-Talenten. Das IISE, erklären beide, sei lediglich dazu da, solchen Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben.

Kaum vorstellbar, dass Blinde aus so unterschiedlichen Ländern wie Sierra Leone, Nepal oder den USA voneinander lernen können. Doch täglich passiert genau das. Für Sabriye Tenberken, selbst seit ihrem zwölften Lebensjahr blind, ist es nicht schwer, für alle den gemeinsamen Nenner zu definieren. "Was wir suchen in diesen Leuten, sind die kreativen Ideen, der Drive und die Wut. Das sind die Elemente, die einen zur Kreativität bringen."

Visionen eindeutig erwünscht

Auszubildende des vierten Jahrgangs des IISE: Marguerite Woods aus den USA und Tibeterin Tsering (Foto: DW)
Auszubildende des IISE: Marguerite Woods aus den USA und Tibeterin TseringBild: DW

Wut ist ein zentrales Wort in der Instituts-Philosophie. Denn meist sind es erlittene Diskriminierungen, die den Wunsch verstärken, diese aus der Welt zu schaffen, meint Tenberken. Auf dieser Erkenntnis beruhe das ganze Konzept des Instituts, erklärt sie: "Wir sehen Führungskräfte als 'Survivors', als Überlebende. Das sind Menschen, die mal wirklich was überlebt haben und durch was durchgegangen sind und eben diese Wut entwickelt haben und eine Vision mitbringen."

"Was ist Eure Vision?" Diese Frage wird den Teilnehmern fast jeden Tag gestellt. An ihren mitgebrachten Projektideen, wie zum Beispiel einer Blindenschule in Laos, Mode für Flüchtlinge in Nigeria oder einem Straßenkinder-Heim in Litauen - um nur drei der zahlreichen Ideen zu nennen - müssen die Teilnehmer immer wieder feilen. Im IISE lernen sie zu überzeugen, Herzen zu gewinnen und schließlich auch Sponsoren anzusprechen.

Keine Chancen für Jammer-Blinde

Paul Kronenberg, Gründer des 'International Institute for Social Entrepreneurs' vor Schülern (Foto: DW)
Paul Kronenberg vermittelt die Maxime: "Nicht jammern, sondern machen"Bild: DW

Die Ausbildungs-Tage am IISE sind lang und hart. Aber sie bereiten die Teilnehmer auf das vor, was nach dem Kurs kommt. Dann nämlich müssen die Rückkehrer aus nichts weiter als ihrer Idee und einem Laptop, den ihnen das Institut zum Abschied schenkt, eine Hilfsorganisation und eine neue Lebensperspektive für sich entwickeln.

Verhätscheln will sie das Institut aber keineswegs. Außer einem kostendeckenden Stipendium, einer Reihe von hochmotivierten Trainern, die hier Katalysatoren genannt werden, und gesundem Essen, bekommen die Teilnehmer vor allem eine Maxime vermittelt: "Nicht jammern, sondern machen."

"An die Welt anpassen"

An das 'Schwarze Brett' sind zwei Blätter geheftet: eins trägt Buchstaben, eins Braille-Schrift (Foto: DW)
Schwarzes Brett des IISE: Ankündigungen in Braille-Schrift für BlindeBild: DW

Schon die Architektur des in ökologischer Bauweise errichteten Campus drückt dies aus, wie Paul Kronenberg sichtlich stolz erläutert. Denn entgegen aller Erwartungen sei die asymetrische Anlage keineswegs blindenfreundlich geplant worden. Die Erklärung ist verblüffend einfach: "Man kann ja nicht die ganze Welt anpassen an die Blinden. Also muss man die Blinden an die ganze Welt anpassen."

Kronenbergs Schlussfolgerung daraus klingt ebenso simpel: "Wenn die das hier meistern, dann können sie die ganze Welt meistern." Zweifelsohne ein hoher Anspruch. Aber der Erfolg der 48 Absolventen der ersten beiden Jahrgänge scheint ermutigend. In nur zwei Jahren haben die Alumni bereits 43 Projekte in 23 Ländern auf die Beine gestellt.

Autorin: Adrienne Woltersdorf

Redaktion: Ana Lehmann