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Der Einstein der Popmusik

Jürgen Brendel/sw24. Mai 2016

Die Kultfigur Bob Dylan feierte Geburtstag. Ob Folk oder Rock: Er hat die Geschichte der populären Musik geprägt wie kaum ein Zweiter. Und sogar für den Literatur-Nobelpreis war der dichtende Musiker schon im Gespräch.

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Bob Dylan Foto: dpa - Bildfunk
Bild: picture alliance/dpa/D. Castello

"Der größte Sänger ohne Stimme", hat mal jemand über ihn gesagt. Ein untauglicher Versuch, sich dem Phänomen Bob Dylan zu nähern, so untauglich wie die Umschreibung Folk- und Rocksänger. Das greift zu kurz und kann den Künstler Dylan nicht fassen. Einen Künstler, der es immer wieder schaffte, sich den Klischees zu entziehen, aus der Musikschublade zu befreien, bevor sie endgültig mit ihm geschlossen wurde.

Dylan will kein Idol sein

Das Stete - so scheint es - ist der Wandel. Eine erste Radikalkur verabreichte er seinen Fans 1965 auf dem Newport Folk Festival. Gerade war die Musikgeschichte dabei, ihn zur Ikone der Folk-, Blues- und Protestbewegung zu machen, da stöpselte er seine Gitarre in einen elektrischen Verstärker und trat mit kompletter Rockband auf. Die Anhänger waren mehr als irritiert: Sie sahen das Konzert als Verrat an der Folkmusik an und buhten Dylan aus. Bis dahin war seine Karriere relativ geradlinig verlaufen. Noch unter seinem Geburtsnamen Robert ("Bobby") Allen Zimmerman spielte der aus Duluth in Minnesota stammende Gitarrist und Pianist zunächst Mitte der 1950er-Jahre Rock'n'Roll in Highschool-Bands. Das Faible für die neue Folk-Bewegung entdeckte der aus einer jüdischen Familie stammende junge Mann 1959 in seinem Studienort Minneapolis. Der Songwriter-Tramp Woody Guthrie und die US-Linken-Ikone Pete Seeger wurden ihm nun wichtiger als Little Richard oder Gene Vincent.

Der Folkkünstler Dylan

Es verschlug den jungen Dylan in den New Yorker Szene-Stadtteil Greenwich Village. Hier fiel er der bereits berühmten Joan Baez auf, die ihn auf ihre Tournee mitnahm. So erhielt er nicht nur die Chance, seine Songs vor einem großen Publikum zu spielen, sondern etablierte sich auch als politische Protestfigur. Wilde, wütende Lieder qualifizierten Dylan für die Protest-Folk-Bewegung. In "Masters Of War" erhebt er Anklage gegen skrupellose Waffendealer und Kriegsherren, in "A Hard Rain's A-Gonna Fall" wünscht er sich andere (bessere) Zeiten. Manche interpretieren den Song auch als Anti-Atom-Hymne. Zusammen mit Joan Baez trat er 1963 beim Marsch der Bürgerrechtler, dem "Civil Rights March", auf. Bob Dylan trat aus dem Schatten seiner Mentorin, und sein Einfluss in der Szene wuchs stetig - und ist immer noch spürbar. Laut dem "Newsweek"-Magazin ist Dylan so wichtig für die Popmusik wie Einstein für die Physik.

Joan Baez und Bob Dylan beim Konzert Copyright: picture alliance/AP Images
Joan Baez und Bob Dylan waren Ikonen der ProtestbewegungBild: picture alliance/AP Images

Meister der Rhetorik

Seine mit Metaphern und Anspielungen durchsetzten Texte sind von beispielloser Qualität. "Die Mehrzahl der Protestsongs sind dümmlich. Ihnen fehlt jede Schönheit. Im Gegensatz dazu sind Bob Dylans Songs voller Kraft, als Lyrik und als Musik", schwärmte einst Joan Baez. "Bob drückt aus, was all die Kids sagen wollen. O mein Gott, wie der Junge singen kann. Er kann einen so furchtbar anrühren."

U2-Sänger Bono sagte über den gesellschaftskritischen Song "Like A Rolling Stone", dass Dylan es schaffe, mit seinen Worten Wein zu Essig zu machen. Hier ist Dylan geradezu gehässig und labt sich buchstäblich an dem Leid einer einstigen High Society-Prinzessin, die ins Elend abgestürzt ist. Niemand singt die Zeile "How does it fee-ee-eel" so wie Bob Dylan es konnte - na, wie fühlt sich das an, plötzlich ganz allein zu sein?

Dylans Einfluss auf viele Musiker ist enorm. Zahlreiche Songs aus seiner Feder sind von anderen gecovert worden, unter anderen von Joan Baez, Cher und Eric Clapton, sein "Blowin' in the Wind" von The Hollies, das energetische "All along the Watchtower" in einer einzigartigen Version von Jimi Hendrix oder "Knockin' on Heaven's Door" von Guns N' Roses. Das Fachmagazin "Rolling Stone" sieht mit "Blonde on Blonde" und "Highway 61 Revisited" zwei Dylan Alben unter den Top Ten der 500 besten Alben aller Zeiten. Ganz oben rangiert auch sein Song "Like a Rolling Stone".

Schwierige Jahre

Nach einem Motorradunfall im Sommer 1966 zog sich Dylan aus der Öffentlichkeit zurück, ließ die von ihm geprägte Gegenkultur links liegen und lebte mit seiner Ehefrau Sara Lowndes und den gemeinsamen Kindern nahe Woodstock bei New York. Als dort 1969 das wichtigste Festival des Jahrzehnts über die Bühne ging, war ausgerechnet der neben den Beatles und den Rolling Stones wichtigste Rock- und Pop-Pionier nicht dabei. Diese Auszeit bedeutete auch eine Befreiung von einem kräftezehrenden Terminkalender und einem krankmachenden Lebensstil als Rockmusiker. Die 70er-Jahre waren eine wechselhafte, schwierige Zeit für Dylan: die Trennung von Sara Lowndes, eine gewisse künstlerische Stagnation und am Ende des Jahrzehnts eine Hinwendung zum Christentum, die ihm erneut von Fans übelgenommen wurde. Auch für die 80er fällt die Bilanz im Rückblick durchwachsen aus: einige schwache Platten, Alkoholprobleme, chaotische Konzerte. Auf der Habenseite stehen eine zweite Heirat, kommerzielle Erfolge mit der All-Star-Band Traveling Wilburys und der Beginn der berühmten "Never Ending Tour" mit 100 Konzerten pro Jahr seit 1988.

Unzählige Auszeichnungen und Ehrungen

Dylans Auszeichnungen sind kaum noch zu zählen: elf Grammys, der Oscar für einen Filmsong, der Pulitzer-Preis für "lyrische Kompositionen von außerordentlicher poetischer Kraft", die 2012 von Präsident Barack Obama verliehene "Presidential Medal of Freedom" als höchste zivile Auszeichnung der USA. Ach ja, als Schauspieler war Bob Dylan auch aktiv, zum Beispiel in "Pat Garrett jagt Billy the Kid" von 1973. Rund 100 Millionen Tonträger soll er bis heute verkauft haben, und er wird es sicher verschmerzen, dass dies weniger sind als bei Justin Bieber.

Obama hängt Dylan die US-Freiheitsmedaille um Foto REUTERS/Kevin Lamarque
Obama hängte Dylan die US-Freiheitsmedaille persönlich umBild: Reuters

Am 24. Mai, seinem 75. Geburtstag, hat Bob Dylan frei, die "Never Ending Tour" macht Pause. Das gäbe dem älteren Herren mit dem dünnen Oberlippenbart und den grauen Locken Zeit, darüber nachzudenken, was seine Rolle in der Musikgeschichte ist. Vermutlich wird er es aber nicht tun. Das machen andere für ihn, wie der amerikanische Geschichtsprofessor und Dylan-Experte Sean Wilentz: "Was Bob Dylan gemacht hat, vor allem in den 60ern: Ideen und Gefühle in Worte zu fassen, die andere Menschen nicht in Worte fassen konnten."