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Bodendecker

23. Juli 2010

Die deutsche Sprache ist voller Worte, die in einen Schönheits-Wettstreit treten könnten. Aber es gibt auch die anderen, die hässlichen. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen macht sich darüber Gedanken.

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Vor ein paar Jahren ließ der Deutsche Sprachrat das schönste Wort unserer Muttersprache wählen. Es gab ein aufwändiges Verfahren und eine hochrangig besetzte Jury. Zwanzigtausend Menschen sandten aus aller Welt ihre Vorschläge und begründeten sie ausführlich. Auf vorderen Plätzen landeten schließlich "Geborgenheit", "Schmetterling" und "Augenblick"; doch der erste Preis ging an "Habseligkeiten". Die Siegerehrung wurde im Fernsehen übertragen.

Ich selbst war mit dieser Auswahl übrigens durchaus einverstanden. Habseligkeiten ist ein Wort, das, wenn man es nah genug anschaut, immer ferner und fremder zurücksieht und einem dabei viel zu denken gibt. Versuchen Sie es nur einmal.

Die goldene Wort-Himbeere

Gerne würde ich nun anregen, den Spieß einmal umzudrehen und mit gleichem Aufwand das hässlichste Wort der deutschen Sprache wählen zu lassen. Ich weiß, die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt schon das Unwort des Jahres, aber dabei geht es immer um Politik und Moral. Die ausgewählten Unworte sind nicht hässlich, sondern inkorrekt oder gemein, so wie "Tätervolk" oder "Humankapital".

Mir ginge es um etwas anderes. Ich denke mir meinen Wettbewerb als ein Unternehmen zur sprachästhetischen Aufklärung breiter Schichten: Nicht nur die hauptamtlichen Sprachkritiker, nein, möglichst alle Menschen sollen einmal darüber nachdenken, welche nicht-gemeinen und nicht-unmoralischen und meinetwegen sogar durchaus korrekten Worte einfach so hässlich sind, dass man sie lieber nicht im allgemeinen Wortschatz sähe.

Bodendecker, nein danke!

Und ich mache auch gleich einen Vorschlag für das hässlichste Wort: Bodendecker. Sie wissen, was damit gemeint ist: immergrüne und bescheidene Pflanzen, die zuverlässig den Boden in Gärten und Parks oder auf Friedhöfen bedecken und dem Gärtner somit insbesondere an schlecht zugänglichen Stellen seine Arbeit erleichtern. Wo ein Bodendecker den Boden deckt, da wächst kein Gras und erst recht kein Unkraut mehr; der Bodendecker ist eine Art natürlicher Versiegelung des Bodens, sparsam, sauber und ökologisch einwandfrei.

Wort der Woche Bezirksschornsteinfegermeister
...auch hässlich

Mit anderen Worten: ich habe nichts gegen die Pflanzen, die man Bodendecker nennt und als solche verwendet. Ich habe nur etwas dagegen, sie Bodendecker zu nennen. Das Wort klingt scheußlich in meinen Ohren. (Scheußlicher noch ist die Variante Bodenbedecker!) Gut, man weiß, was gemeint ist, aber in dem Wort schwingt so gar keine Liebe zur Sache. Es weckt keine Begeisterung. Die Pflanze wächst am Boden, aber das Wort ist flach, um nicht zu sagen: platt. Es unternimmt nicht die kleinste Anstrengung, die bescheidene Arbeit der Pflanze zu adeln oder wenigstens ein bisschen zu loben. Im Gegenteil, ich würde sagen: Beinahe lädt Bodendecker dazu ein, auf selbigen herumzutrampeln.

Und jetzt erwarte ich Ihre Vorschläge. Trauen Sie sich! Worte sind Verträge, die die Sprachgemeinschaft mit der Welt schließt. Und Verträge kann man auch kündigen.

Redaktion: Gabriela Schaaf

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).