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Politik

Der große Entertainer

Barbara Wesel
2. Oktober 2019

Boris Johnson nennt sein "letztes Angebot" für eine Verhandlungslösung mit der EU einen fairen und vernünftigen Kompromiss. Mit seiner Brexit-Rhetorik will er Anhänger mobilisieren und den Auftakt zum Wahlkampf geben.

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UK Parteitag der Konservativen
Bild: picture-alliance/empics/D. Lawson

"Ist er nicht wunderbar?", fragte eine begeisterte ältere Parteitagsdelegierte ihre Nachbarin beim Verlassen des Saales. Gerade hatte Boris Johnson ein Feuerwerk von einer Rede abgefeuert, in der ein Witz den nächsten jagte und das dankbare Publikum es ihm mit Applaus und Gelächter lohnte. Hinter dem Komödiantentum aber verbirgt sich die politische Substanz, mit der er Wähler binden will, und sie heißt: "Am 31. Oktober verlassen wir die EU." Mit der Rede in Manchester beginnt der kommende Wahlkampf.

Das Volk gegen das Parlament

"Ein Teil des britischen Systems ist gerade außer Funktion", beschreibt Johnson das Parlament. "Wenn das Unterhaus ein Laptop wäre, würde man auf dem Bildschirm das Pizza-Rad der Verzweiflung sehen. Wenn es eine TV Reality-Show wäre, hätte man alle schon aus dem Dschungel geworfen. Aber wenigstens hätte man den Speaker gesehen, wie er Känguru-Hoden essen müsste." Große Fröhlichkeit im Publikum.

Der Hauptfeind des britischen Premiers ist derzeit das Parlament, weil es den Brexit verhindert und keine Neuwahlen erlaubt. Vor allem Labour-Chef Jeremy Corbyn bekommt sein Fett weg, weil er aus taktischen Gründen Wahlen verschiebt. Am liebsten möchte Boris Johnson ihn mit einer Rakete ins Weltall schicken, weil Großbritannien nach dem Brexit natürlich auch seine eigene Raumfahrt haben werde.  

Wenn es mit dem Brexit aber nicht so reibungslos läuft, wie die Regierung hofft, dann liege die Schuld beim Parlament und bei der Opposition. Johnson versucht mit Macht, die Brexit-Wähler des Landes möglichst komplett hinter sich zu vereinen. Denn die stärkste Bedrohung kommt von rechts, von der Brexit-Partei, die ihm die nötigen Stimmen für den ersten Platz auf den Wahllisten streitig machen könnte. "Nach dreieinhalb Jahren (Anm. der Redaktion: seit dem Referendum) haben die Leute das Gefühl, dass man sie für Dummköpfe hält. Wir wollen den Brexit hinter uns bringen", fordert Johnson deshalb ein ums andere Mal.  Wenn das aber nicht klappt, werde das ernste Folgen für die Demokratie haben, droht er im gleichen Atemzug.

Angebot an EU bleibt vage

Der Regierungschef werde die Einzelheiten seines letzten und einzigen Angebots für ein geändertes Abkommen mit der EU beim Parteitag veröffentlichen. So war das vorher angekündigt worden. Aber dann blieb Boris Johnson vage. Es werde keine Kontrollen und Barrieren an der irischen Grenze geben. Man werde den Friedensprozess und das Karfreitags-Abkommen achten.

Die Regeln für Bauern und andere aber sollten auf beiden Seiten der Grenze gleich bleiben. Gleichzeitig wolle Großbritannien eine eigene Handelspolitik machen, und die politische Vertretung in Nordirland werde ein Mitspracherecht über die künftige Entwicklung bekommen. Am Dienstag hatte DUP-Chefin Arlene Foster auf dem Parteitag signalisiert, dass sie - anders als unter Theresa May - jetzt kompromissbereit sei.

Anhand dieses Umrisses wird nicht wirklich klar, was in dem Angebot aus London steht. Boris Johnson betonte allerdings, wenn die EU es nicht annehme, gebe es nur noch den harten Brexit. Und der sei unausweichlich, wenn man sich an technischen Details wie Kontrollen an der irischen Grenze festhalten werde. Die Aufforderung an Brüssel, Irland unter den Bus zu werfen, ist deutlich. Und das, um einen Deal mit London abzuschließen.

Frankreich Jean-Claude Juncker und Michel Barnier im EU-Parlament
Was sie wohl zu Johnsons Vorschlägen sagen? Jean-Claude Juncker und Michel BarnierBild: picture-alliance/AP Photo/J.-F. Badias

Über Nacht waren von der Zeitung "Telegraph" Details zu dem Vorschlag veröffentlicht worden. Demnach sollen die Angleichungen der Regeln bis 2025 gelten, Zollkontrollen würden abseits des Grenzverlaufs stattfinden und eine weitere virtuelle Grenze in der irischen See verlaufen, weil auf dem britischen Festland EU-Regeln sofort nach dem Brexit ungültig wären. Jetzt warten alle auf Bestätigung, ob das Kompromissangebot tatsächlich so aussieht. 

Baut Straßen, Busse und alles mögliche

Die Parteitagsrede wäre keine, wenn sie nicht auch einen Sack von Versprechungen enthielte. Er wolle alle möglichen Straßen ausbauen - hier verheddert sich Boris Johnson bei den Namen der Autobahnen. Macht nichts, das Publikum lacht. Krankenhäuser sollen modernisiert, Buslinien eingerichtet, Werften reanimiert, Breitband für alle gelegt werden. Die Liste der Vorhaben ist schier endlos, aber der Premier verliert kein Wort darüber, wie er das Füllhorn der Projekte nach dem Brexit finanzieren will. Er erweckt den Eindruck, dass ab 1. November automatisch ein magischer Geldbaum zur Verfügung stehen werde.

Und Johnson redete auch so, als ob die Konservativen nicht seit 2010 im Land an der Regierung sind. Viele dieser Versprechen machen nur einen Teil der tiefen Einschnitte aus, die sie nach der Finanzkrise in sozialer Versorgung und Einrichtungen durchgesetzt hatten. Vergangenheitsbetrachtung aber ist nicht Sache dieses Premierministers. Er verkauft seinen Anhängern, die 45 Minuten an seinen Lippen hängen, das Bild einer glorreichen Zukunft nach dem Brexit. Und ja, er wolle ein Niedrigsteuerland, freien Handel und Kapitalismus. Auch das wird ohne Einschränkung mit großem Applaus begrüßt.

UK Parteitag der Konservativen
Hängen an Johnsons Lippen: Teilnehmer des Tory-Kongresses in ManchesterBild: picture-alliance/empics/S. Rousseau

Kein Platz für andere Meinungen

Dieser Parteitag war Lichtjahre von dem Konservatismus unter David Cameron entfernt. Boris Johnson ist ein weit unterhaltsamerer Redner als Theresa May, aber seine Botschaft richtet sich an eine Tory-Partei, die erkennbar nach rechts gerückt ist. Bei einer Randveranstaltung, zu der auch die Brexit-Rebellen und die Abgeordneten Dominic Grieve und David Gauke eingeladen waren, wurden sie dermaßen beschimpft und niedergeschrien, dass sie kaum zu Wort kamen. "Verräter" gehörte noch zu den milderen Beschimpfungen. Ein Delegierter murmelte etwas über "Galgen". Die Stimmung war giftig und aggressiv. 

Ein älteres Pärchen aus Oxfordshire, beide lebenslange Konservative, zeigten ihren Schock nur im leisen Gespräch am Rande. "Wir trauen uns nicht, bei den Treffen laut zu sagen, dass wir diese Richtung falsch finden". Man dürfe den Supreme Court nicht kritisieren und das Parlament verteufeln. Diese unduldsame, spalterische Partei würden sie nicht mehr als ihre eigene erkennen. Rosemary und John bekennen sich dazu, "Remain" gewählt zu haben. Aber sie wagten es nicht, das in Manchester zuzugeben. "Dabei hat Oxford für die EU gestimmt, aber das zählt jetzt nicht mehr", klagen beide.

Hinzu kommt ein Parteitagsrede von Innenministerin Priti Patel, die sich bei Justiz und Migration so weit rechts aus dem Fenster hängte, dass dies durchaus ein Test für die politische Grundrichtung der Konservativen darstellte. In Manchester fand eine Richtungsentscheidung statt, und die Delegierten zogen mit.