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Bosnische Wutbürger begehren auf

Daniel Heinrich, Banja Luka6. Juli 2016

Bürgerbeteiligung: In Bosnien ein Fremdwort. Einer NGO gelingt jedoch eine Sensation: der Bau einer orthodoxen Kirche wurde verhindert, einer der mächtigsten Institutionen im Land. Daniel Heinrich aus Banja Luka.

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Mauer mit der Aufschrift "Welcome to Banja Luka" (Foto: DW/D. Heinrich)
Bild: DW/D. Heinrich

Miodrad Dakic ist voll in seinem Element. Mit weit ausgebreiteten Armen steht der 43-Jährige auf einer ausgedehnten Grünfläche im Herzen Banja Lukas. Der Umweltaktivist erzählt von den Strapazen, den vielen schlaflosen Nächten, dem unermüdlichen Einsatz der Bürger und seiner Kollegen vom "Center for Environment Banja Luka". Genau an dieser Stelle wollte die orthodoxe Kirche ein neues Gotteshaus errichten; und das obwohl im unmittelbaren Umfeld bereits drei Kirchen stehen und dem illegalen Bauvorhaben eine der letzten verbliebenden Grünflächen im Stadtzentrum zum Opfer gefallen wäre.

Miodrad Dakic, Leiter von "Center for Environment Banja Luka" (Foto: DW/D. Heinrich)
Milorad Dakic: "Man kann selbst bei uns etwas ändern"Bild: DW/D. Heinrich

Den Kirchenvertretern in der zweitgrößten bosnischen Stadt war das egal. Widerspruch waren sie, laut Dakic, bis dato überhaupt nicht gewohnt: "Die Stellung der Kirche innerhalb unserer Gesellschaft ist sehr, sehr stark". Das habe vor allem historische Gründe, so der 43-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Bis in die Neunziger Jahre war die Kirche zwar nicht verboten, aber sie wurde doch sehr stark vernachlässigt. Dann kam der Krieg und damit einherhergehend der Aufstieg nationalistischer Strömungen". Die Kirche, als Repräsentant der orthodoxen Christen, also der Serben im Land, habe davon sehr stark profitiert, so Dakic weiter: "Heutzutage widerspricht eigentlich niemand mehr ihren Entscheidungen".

Kirche und Staat - Eine (un-)heilige Allianz

Seit dem Friedensabkommen von Dayton im Jahr 1995 ist Bosnien geteilt. Banja Luka ist die Hauptstadt der "Republika Srbska", des nördlichen Landesteils, der mehrheitlich von "serbischen" Bosniern bewohnt wird. Die Kirche ist hier nicht nur identitätsstiftend. Im Zusammenspiel mit der Politik bildet sie auch ein Machtkonglomerat, dem nur sehr schwer beizukommen ist. Ein Beispiel sind Bauvorhaben auf öffentlichem Grund: Dass solche Vorhaben auch öffentlich diskutiert werden, erscheint in Deutschland vielen wie eine Binsenweisheit. In Banja Luka, einer Stadt, in der Entscheidungen oft in Hinterzimmern gefällt werden, war das in der Vergangenheit eher die Ausnahme, denn die Regel.

Charlotte Hermelink leitet das Goethe-Institut in Bosnien. Gerade vor dem Hintergrund der (un-) heiligen Allianz zwischen Politik und Kirche zollt sie den Bemühungen Dakics‘ den höchsten Respekt. Sie erweitert seine Erfahrungen auf das ganze Land: "Es gibt hier eine ganz verbreitete Haltung, dass 'Politik' etwas Schlechtes ist, etwas was korrupt ist, etwas gegen dessen Entscheidungen man sowieso nichts ausrichten kann". Die Menschen seien es nicht gewohnt, so Hermelink weiter, "dass sie in ihren Angelegenheiten auch mitbestimmen dürfen, dass ihre Meinung etwas zählt, dass diese überhaupt Gehör findet".

Ein Land als "Captured State"

Miodrad Dakic und seine Kollegen machten mit dieser "kulturellen Eigenheit" ihrer Landsleute gleich zu Begin ihrer Kampagne ihre Erfahrung. Trotz massiver Bedenken eines Großteils der Bevölkerung gegen die Pläne der Kirche wollte sich zu Beginn der Proteste kaum einer der Bürger dem Protest anschließen. Dakic und seine Kollegen ließen nicht locker, klebten Poster um Poster, organisierten Bürgerplattformen, öffentliche Anhörungen, sammelten über 5000 Unterschriften gegen das Bauvorhaben und zogen schlussendlich sogar vor Gericht. Dort gab man ihnen Recht. In insgesamt zehn Punkten verstoße das Bauvorhaben gegen geltendes Recht, so urteilten die Richter und ordneten einen Baustopp an. Das Urteil war ein voller Erfolg für die Aktivisten und ein absolutes Novum in der Geschichte der Stadt. Denn in der Theorie gibt es in Bosnien zwar ausreichend Rechtsmittel, um gegen unliebsame Entscheidungen vorzugehen. In der Praxis finden diese jedoch kaum Anwendung, wissen die meisten Bürger nichts oder wenig von den Rechten, die ihnen zustehen.

Die orthodoxe Kirche in Banja Luka, Foto: DW
Orthodoxe Kirche in Banja LukaBild: DW

Für Marion Kraske, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Bosnien, ist das vor allem eine Mentalitätsfrage. Die politische Klasse des Landes sei komplett diskreditiert: "Wir haben es mit dem Phänomen eines 'gekaperten Staates' zu tun", so die engagierte Polit-Aktivistin am Rande einer Konferenz über zivilgesellschaftliches Engagement in den Balkan-Ländern: "Die politische Elite meint, dass ihnen das Land gehört, inklusive der Medien und sämtlicher andere Ressourcen", sagt Kraske weiter: "Bürger, die sich beteiligen wollen, werden als Störfaktor angesehen, oder als Kriminelle gebrandmarkt, weil das die Geschäfte stört ".

Berlin - Paris - Banja Luka

Großangelegte Bürgerproteste wie "Stuttgart21" in Deutschland wären in Bosnien - noch - vollkommen undenkbar. Erst ganz langsam entwickelt sich ein Verantwortungsgefühl für den öffentlichen Raum, dafür, wie die Zukunft von Städten aussehen soll und kann. Charlotte Hermelink setzt große Hoffnungen auf die nächsten Jahre: "Schauen Sie sich die neuen Generation an. Die haben alle ihren Blick nach Europa gerichtet, die wissen wie das Leben in Berlin ist, wie das Leben in Frankreich ist. Und die wollen solche Rechte für ihr Leben auch beanspruchen."

Maron Kraske, Foto: DW
Marion Kraske: "Die politische Klasse des Landes ist komplett diskreditiert"Bild: DW/D. Heinrich

Berlin, oder Paris sind Miodrad Dakic zunächst einmal egal. Für ihn zählt als erstes Banja Luka. Er ist stolz, Bosnier zu sein, ist stolz auf sein Land, die Natur, die Mentalität. Nur manchmal, so sagt er, würden seine Landsleute zu schnell aufgeben, die Flinte zu schnell ins Korn werfen: "Wir versuchen den Leuten immer wieder zu zeigen, dass sich Beharrlichkeit auszahlt, und sich genau zu erkundigen was unsere Gesetze in der Theorie zumindest hergeben". Wenn diese Faktoren zusammenkämen, so der Aktivist "kann man sogar in unserem System etwas verändern. Ich merke schon wie die Leute das wahrnehmen. Und so kann langsam ein Umdenken in unserer Gesellschaft in die Wege geleitet werden." Sagt es, wirft noch einmal einen zufriedenen Blick auf den unberührten Rasen vor ihm und muss dann auch schon wieder weiter. Das nächste Projekt wartet. Diesmal geht es um ein geplantes Einkaufszentrum.