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Desperados von Warschau

Nadine Wojcik 22. April 2008

Polens Jugend forscht. Aber nicht im eigenen Land, sondern im Ausland. Wer bleibt, wird mitleidig "Desperado" genannt. Auch Polen leidet unter der Abwanderung der jungen Wissenschaftler.

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Die Universität in Warschau
Die Universität in Warschau: Es gibt zu wenige Studenten

Sorgfältig geht Agnieszka Koscianska ihre handgeschriebenen Zettel durch. Gleich wird sie eine Vorlesung über "Neue Ansätze in der modernen Soziologie" halten – jede Woche eine Herausforderung für die junge Wissenschaftlerin. Vor einem Monat erst hat sie ihre Doktorarbeit verteidigt, jetzt ist sie Vollzeit-Dozentin am anthropologischen Institut der Warschauer Universität.

Drei Seminare und eine Vorlesung hält sie in der Woche – für rund 300 Euro netto im Monat. Dabei haben die Preise und vor allem Mieten in Polens Hauptstadt fast schon westeuropäisches Niveau erreicht. Die 32-Jährige frustriert die geringe Bezahlung: "Erst studiert und lernt man viel, kümmert sich um Auslandsaufenthalte, man macht einen Doktor und arbeitet viel. Und dann verdient man gerade so viel wie eine Putzfrau – bei allem Respekt vor ihrer Arbeit."

Auch ideologische Gründe zählen

Das Kazimierzowski-Palais der Universität Warschau
Gute Studierbedingungen gibt es: Das Kazimierzowski-Palais der Universität Warschau

Der kleine Vorlesungsraum ist schnell gefüllt. Agnieszka richtet sich vor den rund 50 Studenten auf und beginnt mit ihren Ausführungen. Ihre Ansätze in der Gender-Forschung haben sie weit gebracht: Mehrere Publikationen hat sie schon veröffentlicht, regelmäßig wird sie zu Radio- oder Fernsehauftritten eingeladen. Auch Forschungsaufenthalte in Kopenhagen oder New York - ermöglicht durch Stipendien - schmücken ihre wissenschaftliche Karriere.

Viele ihrer ehemaligen polnischen Kommilitonen sind gleich im Ausland geblieben - vor allem aufgrund der miserablen Bezahlung im polnischen Wissenschaftsbetrieb. Für Agnieszka ist das keine Alternative. Auch sie habe schon oft über eine Karriere im Ausland nachgedacht, sagt sie. "Aber aus privaten und vor allem aus ideologischen Gründen bin ich geblieben: Es können doch nicht alle von hier weg – dann hätten wir bald gar keine Dozenten mehr an der Uni."

Sehr knappe Finanzen

U-Bahnstation Wilson Square in Warschau
Das Leben in Warschau ist teuer: Hier die U-Bahnstation Wilson SquareBild: picture-alliance / dpa

Agnieszkas Freund Michal verdient als Übersetzer ukrainischer Literatur genug, um ihr geringes Gehalt aufzubessern. Zudem haben ihre Eltern ihr mit Studienbeginn eine Wohnung gekauft – damit fallen Mietkosten weg, die in Warschau mittlerweile Agnieszkas monatlichen Verdienst weit übersteigen würden. Bis zur Habilitation wird sie dennoch einen langen Atem brauchen, denn so schnell wird sich ihre finanzielle Situation nicht ändern.

Im Vergleich zu anderen EU-Staaten sind die Ausgaben für Bildung in Polen katastrophal niedrig. Obwohl dieser Zustand von Politikern und Wissenschaftlern gleichermaßen kritisiert wird, ist eine Besserung bislang nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Ausgaben sinken kontinuierlich und betragen derzeit 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Airbag für Heimkehrer

Ein kleiner Lichtblick ist die Stiftung für polnische Wissenschaft. Sie will den Wissenschaftsstandort Polen stärken und hat deshalb rund 20 Programme ins Leben gerufen, die begabte Studierende finanziell unterstützen. Dazu gehört auch "Powroty/Homing" – ein Programm für Auslandsheimkehrer. Das sei eine Art Airbag, beschreibt Stiftungsvertreter Tomasz Perkowski das Stipendium. Mit einem finanziellen Polster sollen die Rückkehrer den Schock besser verkraften können, wenn sie von den Elite-Universitäten im Ausland zurückkommen. "Wir wollen, dass diese Wissenschaftler einen Grund haben, um zurück zu kommen", sagt Perkowski.

Bis jetzt konnten 30 polnische Studierende von diesem Stipendium profitieren. Für die Anthropologin Agnieszka reicht diese Initiative aber noch lange nicht aus: "Im Vergleich zu unserer Einwohnerzahl und vor allem gemessen daran, dass wir unsere jungen Leute doch verstärkt an der Uni ausbilden wollen, ist das viel zu wenig."