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Erdöl aus dem Korallenriff?

Nádia Pontes apo
18. April 2018

An den Ausläufern des Amazonas vor der brasilianischen Küste wurde ein riesiges Korallenriff entdeckt. Ausgerechnet dort wollen BP und Total Öl fördern. Wissenschaftler und Umweltschützer versuchen das zu verhindern.

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Amazon Riff
Corais da Amazônia
Bild: Greenpeace

Sie verstecken sich in den Tiefen des Ozeans und unter starken Strömungen: Die Korallenriffs vor der Mündung des Amazonas. Es wurde erst vor Kurzem entdeckt, und es begeistert die Forscher, weil es ganz anders ist, als alle Ökosysteme, die man bisher kannte.

Kürzlich erforschten brasilianische Wissenschaftler das Riff im Rahmen einer Forschungsexpedition an Bord des Greenpeace-Schiffs "Esperanza". "Uns liegen erstmals Aufnahmen von Tiefsee-Robotern vor", erklärt Forscher Ronaldo Francini-Filho, Forscher an der Bundesuniversität von Paraíba (TFPB) und Mitglied des Expeditionsteams. "Die Erdölreserven liegen unter den Riffs. Das muss bei der Entscheidung über eine etwaige Förderung bedacht werden."

Artenreiches Ökosystem

Die Größe des Korallenriffs vor dem Amazonasdelta ist enorm. Zunächst ging man von einem 9500 Quadratkilometer großen Gebiet aus. Jüngsten Berechnungen zufolge ist das Areal jedoch fünfmal so groß, rund 56.000 Quadratkilometer, und damit eines der größten Korallenriffs weltweit.

Bisher wurden dort bereits 40 verschiedene Korallenarten, 60 Tiefseeschwämme und 70 unterschiedliche Fische, Garnelen, Langusten und Seesterne identifiziert. Das Gebiet gilt auch als Rückzugsraum für Fische den braunen Zackenbarsch, die vor der brasilianischen Küste kaum noch gefunden werden.

Überraschung für Wissenschaftler

Bisher gingen die Wissenschaftler davon aus, dass in der Nähe von Flussdeltas keine Korallenriffs existierten. Das mit Schlamm versehene Süßwasser sei zu dunkel und blockiere die Zufuhr von Licht, welches gebraucht würde, um Nahrung für die Lebewesen im Riff zu produzieren, lautete die Begründung.

Infografik Amazonas Korallenriff Öl DEU

Dennoch begann bereits 2011 eine wissenschaftliche Suche nach den Korallenriffs im Amazonas-Delta. Doch die ersten Aufnahmen entstanden erst im vergangenen Jahr. "Das wenige, was wir bereits über die Region wissen, deutet darauf hin, dass es sich um ein biologisch extrem wertvolles Areal handelt", erklärt Forscher Francini-Filho. Er schätzt, dass bisher erst fünf Prozent aller Lebewesen des Riffs bekannt sind.

Bedrohter Lebensraum

Das Korallenriff des Amazonas-Deltas liegt zwischen 70 und 220 Metern Tiefe vor der Küste der brasilianischen Bundesstaaten Maranhão, Pará und Amapá. Und es deckt sich nach Angaben der brasilianischen Forscher exakt mit einem Erdölfördergebiet, dessen Ausbeutung 2013 offiziell zur Versteigerung ausgeschrieben wurde. Die Erdölvorkommen dort werden auf 14 Milliarden Barrel geschätzt. Den Zuschlag erhielten die Mineralölkonzerne Total und BP.

Eine Genehmigung der brasilianischen Umweltbehörde Ibama steht noch aus. Und angesichts der bevorstehenden Ölförderung in dem Gebiet hat Greenpeace eine weltweite Kampagne zum Schutz des Riffs ausgerufen. Der Aufwand und die Kosten der von der brasilianischen Regierung genehmigten Forschungsexpedition sind groß. Und auch Greenpeace brachte rund 700.000 Euro an Spendengeldern auf. Die wissenschaftliche Vorbereitung nahm mehr als ein Jahr in Anspruch. Die Expedition soll noch bis Mai andauern.

"Die Kampagne und die Forschung sind notwendig, um zu beweisen, dass es sich um ein neues, einzigartiges Ökosystem handelt, das bisher wissenschaftlich kaum erforscht worden ist", sagt Greenpeace-Campaigner Thiago Almeida. In der Ölförderung sieht er eine Bedrohung dieses Ökosystems.

Bildergalerie Amazon Reef 4
Hochtechnologie auf hoher See: Ein Tiefsee-Roboter mit drei Kameras liefert Bilder aus bis zu 2000 Metern Tiefe Bild: DW/N. Pontes

"Ein Auslaufen von Öl in diesem Gebiet würde irreparable Schäden verursachen, und zusätzlich die weltweit größten Mangrovenwälder, die sich vor der brasilianischen Küste befinden, bedrohen", erklärt er. Außerdem seien die Mangroven für Fischer, Flussanrainer und Indigene die wirtschaftliche Existenzgrundlage.

Apotheke im Meer

Fabiano Thompson, Forscher an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro (UFRJ), betrachtet das Korallenriff als "große Unterwasser-Apotheke" mit Wirkstoffen gegen Krankheiten wie Krebs, Infektionskrankheiten und Virosen: "Wenn es uns gelingt, eine marine Biotechnologie und bioaktive Moleküle aus dem Meer für Medikamente zu entwickeln, dann könnten sich unsere Forschungen in eine Devisenquelle für Brasilien verwandeln", hofft Thompson, ebenfalls Mitglied der Forschungsexpedition.

Der französische Mineralölkonzern Total äußerte sich auf Anfrage der DW nur mit einer knappen Note zu dem Genehmigungsverfahren der Umweltbehörde Ibama. "Total hat zum letzten Umweltgutachten der IBAMA im Januar Stellung bezogen. Nun warten wir auf eine Entscheidung." Auf die Anfrage, ob Total die Existenz des Korallenriffs bekannt war, gab es keine Antwort.

Die Wissenschaftler hoffen nun darauf, dass ihre Forschungsergebnisse bei der IBAMA-Entscheidung berücksichtigt werden. "Auf der Grundlage unseres jetzigen Forschungsstandes wäre die Ölförderung in diesem Gebiet eine Tragödie", meint Francini-Filho. "Denn wir wissen erst sehr wenig über dieses Mega-Ökosystem: Ein Gebiet, in dem der brasilianische Regenwald mit dem Amazonas und einem der größten Korallenriffs weltweit verbunden ist."