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Braucht Europa eine Mitsing-Hymne?

Bernd Riegert2. August 2006

Im August herrscht sommerliche Ruhe in Brüssel, das sonst nur so vor Nachrichten und Themen sprudelt. Wer jetzt schrille Ideen hat, die im normalen Betrieb untergehen würde, hat gute Chancen beachtet zu werden.

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Das dachte sich wohl auch Ingo Friedrich von der CSU, seines Zeichens stellvertretender Parlamentspräsident. Bevor das Parlament in Sommerurlaub ging, hat der stellvertretende CSU-Parteivorsitzende die Forderung "Europa braucht eine Hymne!" ins Sommerloch geschleudert. Die Hymne, nämlich den Schlusssatz aus Beethovens 9. Sinfonie, steht bereits seit 1985 fest. Ingo Friedrich stößt sich aber daran, dass man zwar die Melodie summen kann, es aber keinen Text gibt, den die 450 Millionen Europäer mit Inbrunst singen könnten.

Inspiriert vom Absingen der Nationalhymen aus Millionen Kehlen bei der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sieht der wackere CSU-Politiker jetzt seine Chance gekommen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte im kommenden Jahr einen Dichterwettstreit starten, um Europas Hymne mit wohlgesetzten Worten zu unterfüttern. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte Ingo Friedrich sein Bekehr, das im Kanzleramt wahrscheinlich gleich im Eingangskörbchen mit der Aufschrift "Haben wir nix besseres zu tun?" landete.

Vor 20g Jahren konnten sich die Staats- und Regierungschefs nicht auf einen Text einigen, der in allen Amtssprachen der EU sinnvoll und im richtigen Reim vorgetragen werden könnte. Was sollte man auch besingen? Die verschiedenen europäischen Königshäuser, die zahlreichen Flüsse, Berge, Meere oder doch lieber die Kommission, die Agrarsubventionen oder den Beamten an sich?

Von diesem Rückschlag ließ sich Ingo Friedrich nicht entmutigen und schritt selbst zur Tat. 2004 startete er einen privaten Textwettbewerb. Immerhin gingen mehr als 200 Vorschläge ein, behauptet der Parlamentarier. Das müsse die EU jetzt europaweit wiederholen.

Aus den Hundertausenden von zu erwartenden Vorschlägen könnte eine zu gründende EU-Hymnen- und Symbolagentur dann in einem mehrstufigen Verfahren bis 2009 oder 2014 eine Vorlage für einen EU-Gipfel erarbeiten. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 könnten dann die Spiele aller aus der EU stammenden Mannschaften mit der neuen Europahymne beginnen oder besser noch: Man gründet einfach eine EU-Fußballmannschaft, die anstelle der bisherigen nationalen Teams antritt. Das würde unheimlich viele Plätze für Länder freimachen, die bisher noch nie an einer Weltmeisterschaft teilnehmen konnten.

Eine Flagge hätte die EU-Fußballmannschaft ja bereits: zwölf kreisförmig angeordnete gelbe Sterne auf blauem Grund. Die Einführung der EU-Flagge, behauptet Ingo Friedrich stolz, gehe im übrigen auch auf seine Kappe. 1980 habe er bereits einen entsprechenden Antrag gestellt. Wenn man es genau nimmt, muss man allerdings sagen: Sowohl Flagge als auch Melodie der Hymne sind einfach beim Europarat abgekupfert. Dieser lose Staatenbund hatte bereits Anfang der 1970er die Idee.

Übrigens ein offizielles Motto soll die EU auch bekommen. Es lautet "In Vielfalt geeint!" und steht im Verfassungsvertrag. Da könnte man sagen, na, ja das ist auch nicht ganz neu, denn in den Vereinigten Staaten von Amerika heißt das Staatsmotto seit zwei Jahrhunderten "In pluribus unum". Die Einheit in der Vielfalt. Oder war's die Einfalt in der Vielheit?