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Krise auf dem deutschen Buchmarkt

7. Juli 2011

Auf dem Buchmarkt vollzieht sich seit Jahren ein struktureller Wandel. Buchkaufhäuser haben kleine Läden verdrängt, Bestseller beherrschen den Markt und das Internet macht dem stationären Buchhandel zu schaffen.

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Bücherstapel auf der Buchmesse (AP Photo/Bernd Kammerer)
Bild: AP

Von einer Krise wollen Branchenvertreter dennoch nicht sprechen."Die beiden Halbjahre fallen im Buchhandel immer deutlicher auseinander", erklärt Lutz Kettmann, der Geschäftsführer des renommierten Rowohlt Verlags. Das Traditionshaus zählt neben Fischer, Hanser und Suhrkamp zu den führenden Literaturverlagen in Deutschland, dem sich Autoren wie Daniel Kehlmann, Martin Walser, Paul Auster, John Updike und Jonathan Franzen anvertraut haben.

Polarisierung im Sachbuch

Die Bemühungen der Verlage, die Aufmerksamkeit des Lesepublikums nicht nur auf den Herbst und das Weihnachtsgeschäft zu konzentrieren, sondern auch im Frühjahr Glanzlichter zu setzen, greifen nicht mehr - trotz Leipziger Buchmesse und die dort publikumswirksam vergebenen Preise. Alle hoffen nun wieder auf den Herbst. Insgesamt seien die Umsätze des Rowohlt Verlags im ersten Halbjahr 2011 um etwa 2-3 Prozent unter den Erwartungen geblieben, räumt Lutz Kettmann ein, genauere Zahlen will er nicht nennen. Bereits in den vergangenen Jahren hat es Verluste insbesondere im Bereich des aktuellen gebundenen Sachbuchs gegeben. Das Publikum, so Kettmann, informiere sich über politische Sachverhalte und Zusammenhänge überwiegend in den Medien, im Fernsehen, in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet.

Buchcover Eckart von Hirschhausen: "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben" (Verlag: Rowohlt)***
Das populäre Sachbuch boomt

Das populäre unterhaltende Sachbuch dagegen feiert große Erfolge, betont der Rowohlt- Geschäftsführer und verweist auf die humoristischen Betrachtungen des Arztes und Kabarettisten Eckart von Hirschhausen. "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben" verkaufte sich in zweieinhalb Jahren rund 2,5 Millionen mal. Allerdings erscheinen diese Titel vorwiegend im preisgünstigen Taschenbuch, dort liegt die Gewinnspanne sehr viel niedriger.

Das Internet verschlafen

Das Internet hat der Buchbranche arg zugesetzt. Wissenschaftliche Texte in gedruckter Version spielen heute eine sehr viel geringere Rolle als früher. "Je schneller sich das Wissen entwickelt, und das ist in den Naturwissenschaften am ehesten so, umso eher läuft das über die nicht-gedruckte Form", sagt Michael Menard vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels , der gemeinsamen Interessensvertretung von Verlagen und Buchhandel. "Wo es um Monografien geht und um ausführliche Kommentare, ist die Entwicklung langsamer".

Das gilt auch für die Belletristik. Dort spielt das E-Book, also das elektronische Buch, in Deutschland noch eine geringe Rolle. Aber die Branche muss sich darauf vorbereiten, dass sich das ändern wird, betont die Hamburger Buchhändlerin Ursula Töller. Sie habe schon einmal einen gravierenden Fehler gemacht. "Als der Internethandel begann, haben alle gesagt: Nein, da müssen wir uns nicht drum kümmern. Die Kunden kommen lieber zu uns in die Buchhandlung". Ein Irrtum, wie sich gezeigt hat. Der Versandhandel über das Internet floriert. "Amazon ist zu einer Marke geworden", sagt Ursula Töller. Viele kämen gar nicht auf die Idee, mal in ihrer Buchhandlung nachzufragen. Dann würden sie feststellen, dass dort der Service längst angeboten wird, dass jedes gewünschte Buch kostenfrei verschickt wird, sogar in Geschenkpapier verpackt, wofür Amazon eine Gebühr verlangt.

Abwehr und Furcht

Symbolbild Buch versus EBook; DW-Grafik: Peter Steinmetz 2009_10_13-Buch-versus-Ebook
Buchhandlungen sollen beides anbieten: Buch und ebookBild: DW/picture-alliance/dpa/AP

Der stationäre Buchhandel hat es versäumt, offensiv für seine Leistungen zu werben, weil er zu spät auf den strukturellen Wandel reagiert hat. Die abwehrende Haltung vieler Beschäftigter auf den technologischen Fortschritt hat der Branche geschadet. Statt die Entwicklung zu bekämpfen, müssen sich die Buchhändler damit abfinden, dass sich ihr Berufsbild verändert hat, wie sich viele Berufsbilder durch die Elektronik verändert haben. Es geht nicht mehr nur um eine Ware, die sie anfassen können, um bedrucktes, gebundenes Papier - der Buchhändler der Zukunft ist auch Datenhändler. Seine Aufgabe wird darin liegen, sich bei den Kunden als Berater unentbehrlich zu machen, auch als E-Book-Berater.

Verändertes Freizeitverhalten

Während viele Verlagsvertreter und Buchhändler die aktuelle Krise des Buchmarktes lieber als Schwäche deklarieren, sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Das Frühjahr 2011 war insgesamt um 1,3 Prozentpunkte schwächer als das im vergangenen Jahr. Bedenkt man, dass die Branche bereits 2010 einen leichten Rückgang hinnehmen musste, so lässt sich ein allgemeiner Abwärtstrend beobachten.

Durch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, durch Smartphones und Tablet PCs hat sich das Freizeitverhalten verändert. Die Menschen lesen immer weniger als früher, sagt Michael Menard vom Börsenverein. "Im Schnitt der Bevölkerung sind es 12 Bücher im Jahr. 2005 waren es noch 12,6." Bezieht man diese Zahl auf den Jahresumsatz der Branche von insgesamt 9 Milliarden Euro, lässt sich erkennen, dass die Auswirkungen immens sind. Der Rückgang entspricht einem Verlust von 400 Millionen pro Jahr.

Vielleser und Nichtleser

Eine junge Frau arbeitet an einem Computer, auf dessen Bildschirm ein Logo des Online-Netzwerkes Facebook zu sehen ist. (gestellte Aufnahme), aufgenommen am 18.2.2009 in Berlin. Foto: Britta Pedersen dpa +++(c) dpa - Report+++
Anders Lesen...Bild: dpa

Vergleicht man das Ergebnis mit der 2007 durchgeführten Befragung zum Leseverhalten, so zeigt sich, dass etwas mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung weniger liest als früher oder nie gelesen hat. Die andere Hälfte jedoch gibt an, sie lese gleich viel oder sogar noch mehr."Und die, die mehr lesen, lesen echt viel mehr", sagt Michael Menard vom Börsenverein, "so dass sich das in etwa ausgleicht". Wenn ein großer Teil der Bevölkerung nur zwei statt drei Bücher pro Jahr liest, wird das durch jene kompensiert, die jetzt 30 statt früher 24 Bücher pro Jahr lesen. So fangen die Vielleser manche Verluste auf.

Das gedruckte Buch wird also wohl nicht vom Markt verschwinden. Dennoch muss sich der stationäre Buchhandel darauf einstellen, dass es langfristig an Bedeutung verlieren wird, und rechtzeitig neue Geschäftsbereiche erobern. So wie etliche Buchhandlungen das bereits tun, indem sie Papier- und Schreibwaren sowie Geschenkartikel ins Sortiment aufgenommen haben. Vor allem aber müssen sich die Buchhändler dem ebook gegenüber öffnen. Sonst geht es ihnen wie mit dem Versandgeschäft und Amazon macht das Geschäft.

Autorin: Heide Soltau
Redaktion: Gabriela Schaaf