1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bulgarien zieht Bilanz

15. Juli 2010

Viele Bulgaren zeigen sich ein Jahr nach der Bildung der neuen Regierung von Bojko Borisov zufrieden. Wichtige Reformen im Gesundheits- und Sozialsystem stehen aber noch aus.

https://p.dw.com/p/OIwK
Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borisov (Foto: dpa)
Borisov scheut unpopuläre MaßnahmenBild: picture-alliance/ dpa

Die Bulgaren hatten vor einem Jahr hohe Erwartungen an ihre neue Regierung. Bojko Borisov, der ehemalige Bürgermeister von Sofia, hatte nach der Wahl am 05.07.2009 Maßnamen gegen die Kriminalität und für eine Verbesserung der Lebenssituation der Bürger angekündigt. Einige Erwartungen wurden sogar erfüllt.

Erfolge der neuen Regierung

Außenminister Nikolai Mladenov (Foto: AP)
Außenminister Mladenov will die EU-Erweiterung voranbringenBild: AP

"Besonderes gute Ergebnisse hat diese Regierung im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und gegen die Korruption vorzuweisen", so Alexander Andreev, Leiter der Bulgarischen Redaktion der Deutschen Welle. In den letzten Monaten hat die bulgarische Polizei mehrere Mitglieder großer Verbrecherbanden verhaften können, darunter auch eine Bande, die zahlreiche Entführungen auf dem Kerbholz hatte. Zudem gab es mehrere Anklagen wegen Veruntreuung von Geldern aus EU-Fonds.

Als zweiten Pluspunkt nennt Andreev die Außen- und Balkanpolitik: "Die Regierung Borisov steht auf einem klaren EU- und NATO-Kurs. Balkanpolitisch hat der neue Außenminister Nikolai Mladenov sehr konstruktive Gespräche in der Türkei, Serbien und Mazedonien geführt", so Andreev.

Im Unterschied zu seinen Vorgängern habe Mladenov eine bedingungslose Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft von Serbien und Mazedonien versprochen und damit einige verstaubte Ansprüche von Sofia an Skopje und Belgrad fallen gelassen. Bulgarien unterstütze auch die EU-Heranführung der Türkei. Auch dies sei ein Novum in der bulgarischen Politik, so der Experte.

Populismus und ein Jahr ohne Reformen

Ein Wahlplakat von Bojko Borisov wird eingerollt (Foto: AP)
Nach den Wahlen folgte ErnüchterungBild: AP

Jedoch sei im Bereich der überfälligen Gesundheits- und Rentenreformen wenig bis gar nichts geschehen. Auch habe die Finanz- und Wirtschaftskrise die katastrophale Lage der Staatsfinanzen verschlimmert, so Andreev. Ungelöste Probleme seien zudem "die sehr große Bürokratie und Staatsverwaltung, sowie die sehr langen bürokratischen Wege für Privatwirtschaft und Investoren aus dem Ausland."

Seiner Meinung nach liegt das daran, dass sich der neue Ministerpräsident als "sanfter Populist" und "Lippenleser" entpuppt habe. Deshalb habe die neue Regierung keine unpopulären Reformen entwickelt und durchgesetzt. "Populismus und ein Jahr ohne ernste Reformen stehen also auf der Minusseite", sagt Andreev.

Die Bulgaren sehen keine "rosige Zukunft"

Die globale Wirtschaftskrise hat einige der neuen EU-Mitglieder aus dem ehemaligen Ostblock stärker getroffen als die alten EU-Länder. So sei auch das Leben des durchschnittlichen Bulgaren 2010 schlechter geworden.

Bulgarischer Traktor mit Kartoffeln (Foto: AP)
Das Agrarland wurde von der Wirtschaftskrise hart getroffenBild: AP

´

"Das durchschnittliche Einkommen ist auf monatlich ca. 320 Euro gesunken. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf über zehn Prozentgestiegen und die Energiepreise um bis zu 20 Prozent. Bei einer monatlichen Inflation von etwa ein Prozent sind die Krisenängste entsprechend groß", erklärt Andreev.

Die bulgarischen Haushalte verfolgen gerade einen Sparkurs. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2009 hätten die Bulgaren rund fünf Milliarden Euro weniger ausgegeben. Sie schränkten ihren Konsum ein und sparen, weil sie "keine rosige Zukunft sehen". Zudem habe die Regierung im Juni ein Paket mit Sparmaßnamen in vielen Bereichen verabschiedet. So muss zum Beispiel der diplomatische Dienst des Landes im nächsten Jahr mit 20 Prozent weniger Geld auskommen.

Die Regierung bleibt

Trotz dieser Probleme und unabhängig von der Tatsache, dass die Regierung keine eigene Mehrheit im Parlament hat, ist Andreev überzeugt, dass Ministerpräsident Borisov bis zum Ende des Mandats in seinem Amt bleiben wird. "Die kleineren Parteien, die diese Regierung unterstützen, stehen fest hinter Borisov", betont Andreev.

Autor: Bahri Cani
Redaktion: Fabian Schmidt