1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Borissow ist Brüssels "Golden Boy"

Alexander Andreev 25. Mai 2016

Der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow hat die osteuropäischen Länder zu mehr Solidarität in der Flüchtlingskrise aufgerufen. Was steckt hinter dieser pro-europäischen Haltung?

https://p.dw.com/p/1Iu6J
Bulgarien Bojko Borissow Premierminister beim EU Flüchtlingsgipfel in Brüssel
Bild: picture alliance/Photoshot

"Der Staat ist zusammengebrochen. Also muss wieder der Straßenjunge aus Bankia kommen, um die Bude in Ordnung zu bringen." Mit diesen Worten umriss Boiko Borissow vor dem Beginn seiner zweiten Amtszeit die Lage im Land und die Aufgabe, vor die er sich gestellt sah. Der bulgarische Premier pflegt sein Image auf eine manchmal etwas eigentümliche Weise.

Der in einem Vorort von Sofia aufgewachsene Borissow kokettiert oft mit seiner bescheidenen Herkunft, zum Beispiel, indem er sich als "Straßenjungen" bezeichnet. Vor einiger Zeit begegnete ich ihm vor einem Hörfunkstudio in Sofia, er kam gerade heraus, ich ging hinein. "Hallo, wir sind uns schon mal begegnet, ich bin Alexander Andreev von der Deutschen Welle", sagte ich. Der Premier schüttelte kräftig meine Hand, duzte mich kumpelhaft und stellte sich vor: "Und ich bin Boiko Borissow aus Bankia."

Boiko, der Kumpel von nebenan: Das ist im Kern das Selbstverständnis, auf das Borissow seine Regierungsphilosophie gründet. Das klingt sympathisch und ist es auch - obwohl es eine politische Weltsicht impliziert, die nicht unproblematisch ist. Denn auf der Straße regieren die Starken. Sie sagen den Schwachen, wo es lang geht. Und die Schwachen kuschen und gehorchen.

Auch auf internationaler Ebene weiß Borissow, wo die Starken sitzen - nämlich in Brüssel, in Berlin (Borissow hat ein Merkel-Foto auf seinem Schreibtisch), in Washington und auch im Vatikan. In einem Gespräch mit dem britischen Premier David Cameron berichtete Borissow voller Stolz: "Drei Päpste haben mich am Kopf gestreichelt!" Legendär sind auch die Küsse, die ihm EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker immer wieder auf die Stirn drückt.

Verteilungsquoten für Flüchtlinge - aber auch neue Zäune

"My golden boy" nennt ihn Juncker. Und in der Tat ist Borissow der Musterschüler Brüssels unter den mittel- und osteuropäischen Regierungschefs. Die Staatsfinanzen sind korrekt. Und Bulgarien hat verbindliche Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen in Europa akzeptiert - anders als Polen, Ungarn, Tschechien oder die Slowakei. Borissow hat sogar die anderen mittel- und osteuropäischen Länder zu mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage aufgerufen.

Grenzzaun an der bulgarisch-türkischen Grenze (Foto: epa)
Bulgarischer Grenzzaun an der Grenze zur TürkeiBild: picture-alliance/dpa/V. Donev

Gleichzeitig aber baut Bulgarien intensiv Sperranlagen an seinen Grenzen zur Türkei und Griechenland. Die bulgarische Grenzpolizei geht harsch gegen illegale Migranten vor. Berüchtigt sind auch die bulgarischen freiwilligen "Flüchtlingsjäger", die als Bürgerwehren Jagd auf die Neuankömmlinge machen - und auch Unterstützung in der Bevölkerung genießen. Dazu gibt es von Borissow innerhalb kurzer Zeit zwei völlig unterschiedliche Statements. Zunächst bedankte er sich bei den "Patrioten", die "dem Staat helfen". Später erklärte er, er würde keine paramilitärischen Gruppen tolerieren, die das Gesetz brechen. Das erste Statement gefällt vielen Bulgaren, das zweite der EU.

Borrisow trägt außerdem die Sanktionen gegen Moskau mit, obwohl die bulgarische Bevölkerung ausgesprochen Russland-freundlich ist. Er hat sogar das für Bulgarien sehr lukrative Pipeline-Projekt South Stream aufgegeben, weil Brüssel das wollte. Als Anerkennung ließ Juncker eine Papierserviette, auf der Borissow den Verlauf von South Stream skizziert hatte, einrahmen und in seinem Kabinett aufhängen.

"Solche Sachen müssen die großen Chefs da draußen entscheiden, nicht wir", sagte Borissow vor kurzem, diesmal anlässlich der Flüchtlingskrise. Die Einschätzung ist symptomatisch - und keinesfalls unlogisch: Das kleine Bulgarien gehört zu den größten Netto-Empfängern von EU-Geldern, also ist es verständlich, dass der Regierungschef in Brüssel und Washington salutiert und sich auf die Stirn küssen lässt.

EU-Gelder als Machtinstrument

Zuhause aber ist Borissow ein ganz anderer. Der Mittelstürmer der Amateurfußballer "Die Tiger von Bistritsa" schießt immer die entscheidenden Tore für seine Mannschaft - eine Grätsche gegen Borissow ist für die Gegenspieler kaum denkbar. Seine Regierung führt er mit eiserner Hand: Widerspruch ist zwar erlaubt, doch am Ende entscheidet der Chef. Borissow selbst formuliert es so: "Wenn ihr zurücktreten wollt, macht das bitte alle zusammen, denn sonst entsteht ein Zirkus im Parlament." Minister tauscht er im Alleingang aus. Besonders interessieren ihn jene Ressorts, in die die meisten EU-Gelder fließen.

Demonstration gegen Flüchtlinge in Sofia (Foto: BGNES)
Demonstration gegen Flüchtlinge in SofiaBild: BGNES

Mit Hilfe der EU-Fonds kann er sich nicht nur als großzügiger Landesvater präsentieren, der seine Untertanen fast täglich mit neuen Autobahnen oder Metrostationen beglückt, sondern auch die Medien beeinflussen, die von EU-finanzierten Projekten oder Werbekampagnen abhängig sind. Kein Wunder also, dass die Bulgaren zum Frühstück Boiko gleich auf mehreren TV-Kanälen serviert bekommen - gleichzeitig und immer live aus dem Studio, witzeln die Bulgaren.

Beobachter gehen davon aus, dass diese EU-Gelder auch ein Machtinstrument sind, das Borissow fern der Öffentlichkeit in Geschäfts- und Politikerkreisen überaus geschickt einsetzt. Diese Vermutungen sind allerdings nicht nachweisbar.

In einigen von Wikileaks veröffentlichten Depeschen der US-Botschaft in Sofia heißt es, der ehemalige Bodyguard Borrisow, der einst auch den letzten bulgarischen Diktator Todor Schiwkow nach dessen Sturz 1989 schützte, verfüge über beste Kontakte in den kriminellen Milieus. Allerdings liegen diese Depeschen schon sechs Jahre zurück.

Und trotz alldem - oder eben gerade deswegen - lieben viele Bulgaren ihren Boiko, den Straßenjungen, der nach eigenen Aussagen "mit einem Schmalzbutterbrot in der Hand gemeinsam mit den Kumpels den Ball auf der Wiese kickt".