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Erfolgreicher "Bufdi"

26. Februar 2012

Der Bundesfreiwilligendienst übertrifft alle Erwartungen. Nach knapp acht Monaten sind fast alle 35.000 Stellen vergeben, der Bedarf längst nicht gedeckt. Eine Aufstockung lehnt der Bund aber ab.

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Eine Bundesfreiwilligendienstleistende saugt staub. Eine ältere Damen sitzt am Tisch und schaut zu (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

"Wir haben einen enormen Erfolg, mit dem so niemand gerechnet hat", schwärmt Jens Kreuter, Leiter des Arbeitsstabs Freiwilligendienste im Bundesfamilienministerium. Als der Bundesfreiwilligendienst am 1. Juli 2011 an den Start ging, wusste noch niemand so genau, ob sich ausreichend Bewerber finden würden, die sich für nur rund 300 bis 500 Euro pro Monat Vollzeit engagieren. Der Bundesfreiwilligendienst war eingerichtet worden, um die mit der Aussetzung der Wehrpflicht gekoppelte Aussetzung des Zivildienstes zu kompensieren. Bisher musste jeder, der nicht ausgemustert wurde, und der den Wehrdienst verweigert hatte, den Zivildienst absolvieren. Es gab also einen gewissen Zwang.

Porträt von Jens Kreuter (Foto: dpa)
Jens Kreuter vom BundesfamilienministeriumBild: picture-alliance/ dpa

Die Frage war: Gibt es auch ohne Zwang genügend Menschen in Deutschland, die ihre Zeit dafür einsetzen, für wenig Geld das Gemeinwohl zu unterstützen, egal ob im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich? Es gibt sie. "Der Zivildienst ist rechnerisch vollständig kompensiert worden. Und die Teilnahmezahlen beim Bundesfreiwilligendienst übertreffen alle Erwartungen", so Jens Kreuter. Er muss es wissen, war er doch früher der Bundesbeauftragte für den Zivildienst. Und auch er wurde überrascht von der Bewerberflut.

Wartelisten und Einstellungsstopp

Der Bund hat für das Jahr 2012 Geld bereitgestellt für insgesamt 35.000 Bundesfreiwilligendienstleistende - wie es in bestem Beamtendeutsch heißt. Der Volksmund nennt sie kurz "Bufdis". Die 35.000 Plätze sind fast alle vergeben. Bei einigen Einrichtungen heißt es: Nichts geht mehr. "Für die Caritas gibt es bundesweit 3.900 Plätze im Bundesfreiwilligendienst und die sind zu großen Teilen jetzt schon belegt", sagt Claudia Beck, Pressesprecherin des Deutschen Caritasverbandes.

Porträt von Claudia Beck (Foto: Deutscher Caritasverband e. V.)
Claudia Beck vom Deutschen CaritasverbandBild: Deutscher Caritasverband e. V.

Bei den meisten anderen Einrichtungen sieht es ähnlich aus. "Viele große Träger, viele große Zentralstellen haben aktuell für diese Monate einen Einstellungsstopp", so Jens Kreuter vom Familienministerium. Einige führen Wartelisten, andere bitten die Bewerber, sich später zu bewerben. Überwiegend beginnen die Bufdis jedes Jahr zwischen Juli und September. Je nach Bedarf und Einrichtung können sie aber auch zu anderen Terminen anfangen.

Viele Bewerber, die bisher nicht zum Zug gekommen sind, müssen jetzt also auf den nächsten Termin hoffen. "Viele" heißt in diesem Fall mehrere Zehntausend. Denn die Zentralstellen, die die Plätze vergeben, haben anhand der Bewerberzahlen hochgerechnet, wie viele Stellen hätten besetzt werden können. "Das war eine Prognose der Zentralstellen, der großen Wohlfahrtsverbände", sagt Jens Kreuter, "die gesagt haben: Wenn der Bund unbegrenzt Geld zur Verfügung stellen würde - was er natürlich nie tun kann - dann glauben wir, dass wir am Ende des Jahres tatsächlich 60.000 Freiwillige hätten."

Mehr Geld für mehr Bufdis?

Einige Verbände fordern denn auch eine Aufstockung der Mittel. Maria Loheide vom Bundesvorstand der Diakonie hat bereits den Bundestag aufgefordert, neues Geld zur Verfügung zu stellen, "jedoch nicht zu Lasten anderer sozialer Bereiche." Allerdings fordern nicht alle Organisationen eine Aufstockung der Plätze. "Ich halte das jetzt noch für zu früh", sagt Claudia Beck vom Deutschen Caritasverband. "Ich denke, man sollte wirklich erstmal abwarten, wie sich die Nachfrage entwickelt, ob sie stabil bleibt. Sieben Monate sind eine kurze Zeit für einen neuen Dienst."

Ein Bundesfreiwilligendienstleistender sitzt neben einem älteren Mann am Tisch und unterstützt ihn beim Essen (Foto: dpa)
Bufdi-Einsatz im SeniorenheimBild: picture alliance / dpa

Die Frage nach zusätzlichem Geld für zusätzliche Freiwillige hat der Bund ohnehin bereits beantwortet - und zwar negativ, wie Freiwilligendienstbeauftragter Jens Kreuter erklärt: "Bei uns wird der Haushalt vom Parlament gemacht. Und nur das Parlament könnte in solchen Größenordnungen das Geld zur Verfügung stellen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich bereits öffentlich dahingehend geäußert, dass sie das nicht befürworten, so dass wir in der Verwaltung damit auch nicht rechnen."

Zu viele Freiwillige in Deutschland?

Auf die Frage, ob der Bundesfreiwilligendienst zu erfolgreich ist, lacht Jens Kreuter: "Na ja, zu viel Freiwilligkeit und zu viel Engagement kann es sicher nicht geben. Es ist ja auch nicht so, dass sich keiner mehr engagieren könnte." So dauere der Freiwilligendienst in aller Regel ein Jahr und damit würden jedes Jahr auch alle Plätze wieder neu frei. Und neben dem Bundesfreiwilligendienst gebe es noch andere Möglichkeiten, sich zu engagieren. "Wenn man die verschiedenen Rechtsformen zusammen zählt: Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ), Bundesfreiwilligendienst, dann haben wir jetzt über 85.000 Freiwillige in Deutschland. Das ist enorm. Das ist wirklich wunderbar", freut sich Kreuter - und relativiert sofort: "Aber das heißt eben auch, auch im nächsten Jahr müssen sich erst mal wieder 85.000 Menschen dafür begeistern lassen."

Eine jüngere Hand führt eine ältere Hand mit Gabel vom Teller zum Mund (Foto: dpa)
Ein "Bufdi" unterstützt einen älteren Menschen beim EssenBild: picture alliance / dpa

Bisher zumindest sieht alles danach aus. Denn auch wer sich im Freiwilligen Sozialen Jahr engagieren möchte, muss damit rechnen, nicht sofort genommen zu werden, so die langjährige Erfahrung von Claudia Beck vom Deutschen Caritasverband: "Da erleben wir, dass wir zum Beispiel für das Jahr 2011 im katholischen Bereich dreimal soviel Bewerbungen hatten wie wir Plätze anbieten können."

Wir erleben also in Deutschland gerade, dass sich mehr Menschen engagieren möchten als es Möglichkeiten dazu gibt. Ein Luxusproblem. Beim Bundesfreiwilligendienst ist die hohe Anzahl an Bewerbern auch damit erklärbar, dass der Dienst offen ist für Menschen jeden Alters, während das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr nur Menschen bis 27 Jahre absolvieren können. So ist immerhin rund ein Drittel der "Bufdis" älter als 27 Jahre. Auch Rentner machen mit. Und selbstverständlich können auch Menschen aus dem Ausland "Bufdi" werden, sagt Jens Kreuter: "Ganz ausdrücklich ist der Bundesfreiwilligendienst offen für Menschen aus allen Ländern. Wir haben auch ein gutes Incoming-Programm. Wer für solch ein Jahr nach Deutschland kommen möchte, ist dazu herzlich eingeladen."

Bufdi versus BFDler

Ob die Bewerberzahlen für den Bundesfreiwilligendienst so hoch bleiben, kann derzeit niemand absehen. Das Gleiche gilt für die Frage, ob sich in der Bevölkerung der Name Bufdi langfristig durchsetzt. Für Jens Kreuter, den "Herrn der Bufdis", wäre das wohl der Wehrmutstopfen in dieser Erfolgsgeschichte. Auf die Frage, ob er den Namen Bufdi mag, antwortet er nach einem Lachen und einem kurzen Zögern so: "Wenn Sie das so direkt fragen - nein."

Eine junge Frau hilft einer älteren Dame beim Aufstehen aus dem Bett (Foto: dpa)
Hilfe beim AufstehenBild: picture-alliance/dpa

Die allermeisten Freiwilligen, die er kenne, fänden, dass das Wort Bufdi keinen schönen Klang habe: "Ich spreche ganz konsequent von BFDlern, so wie wir beim FSJ ja auch von FSJlern sprechen." Selbstverständlich hat man sich im Ministerium auch Gedanken darüber gemacht, wie man den Begriff "Bundesfreiwilligendienstleistender" handlicher machen kann. "Wir haben am Anfang überlegt, ob wir staatlicherseits da irgendeinen Vorschlag oder eine Vorgabe machen sollen, haben uns aber dagegen entschieden. So etwas muss sich in einer Gesellschaft von alleine entwickeln. Es ist nicht Aufgabe der Regierung, den Slang auch noch vorzugeben", sagt Kreuter - und ergänzt: "Aber wie gesagt, ich spreche von BFDlern."

Autor: Marco Müller
Redaktion: Andrea Lueg