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Kommentar

4. Januar 2012

Mit einem TV-Interview allein ist verlorene Glaubwürdigkeit nicht wiederherzustellen. Christian Wulff bleibt ein Bundespräsident auf Bewährung, meint DW-Chefredakteurin Ute Schaeffer.

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Rücktritt abgewendet – Glaubwürdigkeit wiederhergestellt? Durch sein Fernsehinterview versuchte Christian Wulff, beides zu erreichen. Das erste mag vorerst gelingen. Das zweite aber wird schwieriger. Der Rückhalt für den Bundespräsidenten schwindet. Auch deshalb wandte sich der Bundespräsident zur besten Sendezeit an die breite Öffentlichkeit. Er räumte Fehler ein. Durch seinen Umgang mit der Kreditaffäre habe er dem Amt nicht gedient, seine Drohanrufe bei Pressevertretern erklärte er für unvereinbar mit dem Amt. In anderen Punkten zeigte er sich weniger kritisch: so seien die engen Kontakte zu Wirtschaftsvertretern und seine Urlaube auf deren Kosten in seiner Zeit als Ministerpräsident keine Vorteilsnahme. Er habe gegen kein Gesetz verstoßen. Wulff präsentierte sich demütig und warb dafür, sein Fehlverhalten als menschlich zu bewerten. Doch in der Sache, in Aussage und Bewertung gab es wenig Neues.

Auch nach 20 Minuten Fernsehfragen sucht man nach klaren Antworten: Hat Christian Wulff das Format, weiteren Schaden vom Amt abzuwenden? Und hat er dieselben Erwartungen an das Amt, wie die Bürger, die er als erster Mann im Staat vertritt? Daran darf man Zweifel haben. Denn – auch die, welche sich für seinen Verbleib im Amt aussprechen – haben sicher mehr Selbstkritik erwartet von einem Mann, der öffentlich erklärt: "Wer zur Elite eines Landes gehören will, muss auch Vorbildfunktion und Verantwortung übernehmen – ohne Wenn und Aber."

Ute Schaeffer (Foto: DW)
Ute SchaefferBild: DW

Schloss Bellevue kein Platz für einen Lernprozess

Ohne Wenn und Aber ist nach dem öffentlichen Auftritt Wulffs nun zu erwarten, dass er sich der besonderen Verantwortung des höchsten Amtes im Staat stellt und es souverän ausfüllt, als moralische und repräsentative Instanz und als Vorbild. Schloss Bellevue - der Amtssitz des Bundespräsidenten - ist nicht der richtige Platz für einen Lernprozess. Den will Wulff durchlaufen haben, wie er selbst sagt. Das höchste Amt im Staat lebt durch die Person, die es innehat – von deren Integrität und Glaubwürdigkeit. Daran wird Wulff weiterhin arbeiten müssen, sein Medienauftritt ist da bestenfalls ein Aufschlag. Die Bürger im Land erwarten zu Recht, dass wer ein Buch unter dem Titel "Besser die Wahrheit" publiziert, das so auch sieht und lebt. Und wer sich als integrer Familienmensch und Bürger verkauft, so auch agiert. Niemand sollte das besser wissen als Christian Wulff, der als politischer Profi gilt.

Umso erstaunlicher die Reihe seiner Fehltritte. War es dreist oder naiv, dass er die Öffentlichkeit nur häppchenweise über die Praxis seiner privaten Kredite als politischer Amtsträger informierte? Dass er Journalisten bedrohte und Berichterstattung zu verhindern suchte, und das zum Mithören auf dem Anrufbeantworter hinterließ?

Es ist eben so, wie Wulff selbst vor wenigen Monaten richtig gesagt hat: "Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich eben auch nicht in eine eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden." Für den Bundespräsidenten gilt das in besonderer Weise. Und so mag er selbst es zwar für abwegig erklären, aber auch nach dem Interview bleibt er ein Bundespräsident auf Bewährung.

Autorin: Ute Schaeffer
Redaktion: Friedel Taube