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Bundespräsident soll Sarrazin abberufen

2. September 2010

In einem bislang einmaligen Schritt will die Bundesbank bei Bundespräsident Christian Wulff die Abberufung ihres Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin beantragen. Wulff hatte der Bundesbank zuvor die Trennung nahegelegt.

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Thilo Sarrazin verlässt ein Fernsehstudio (Archivfoto: dpa)
Wurde jetzt selber abgeschafft: Thilo SarrazinBild: picture-alliance/dpa

Die Deutsche Bundesbank will sich von ihrem umstrittenen Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin trennen. Der Vorstand der Bank habe einstimmig beschlossen, beim Bundespräsidenten die Abberufung Sarrazins zu beantragen, hieß es in einer am Donnerstag (02.09.2010) auf der Homepage der Bank verbreiteten Mitteilung. Damit zog die deutsche Notenbank die Konsequenzen aus der Debatte über die umstrittenen Äußerungen der jüngsten Zeit. Seine Zuständigkeitsbereiche wurden Sarrazin bis dahin entzogen.

Merkel zollt Bundesbank Respekt

Die Entscheidung der Bundesbank für eine Abberufung des Vorstandsmitglieds wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt. Ein Regierungssprecher sagte: "Die Bundeskanzlerin hat die unabhängige Entscheidung des Bundesbankvorstandes mit großem Respekt zur Kenntnis genommen."

Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, betonte, das "Stoppschild für Sarrazin wendet Schaden von der Bundesbank, von Deutschland und dem Ansehen unseres Landes in der ganzen Welt ab". SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, es handele sich um "eine konsequente Entscheidung".

Muss dem Antrag auf Abberufung noch zustimmen: Bundespräsident Wulff (Foto: AP)
Muss dem Antrag auf Abberufung noch zustimmen: Bundespräsident WulffBild: AP

Der frühere Berliner Finanzsenator war wegen seiner Einlassungen zu muslimischen Zuwanderern und einem angeblichen Juden-Gen in die Kritik geraten. Sarrazin wird vorgeworfen, mit seinen Thesen das Ansehen der Bundesbank beschädigt und gegen die Pflicht zur Zurückhaltung eines Vorstandes verstoßen zu haben.

Sarrazins Amtszeit begann im Mai 2009 und sollte regulär 2014 enden. Bundespräsident Christian Wulff hat angekündigt, den Antrag auf Abberufung nach dessen Eingang zu prüfen. "Bis zum Abschluss der Prüfung kann der Bundespräsident nicht Stellung nehmen", heißt es in einer Mitteilung des Präsidialamts.

Einmaliger Schritt

Der Vorgang ist ohne Beispiel in der Geschichte der Bundesbank, deren Vorstand unabhängig agiert. Zwar werden die sechs Mitglieder von Bund und Ländern in das Gremium berufen. Sie können aber von diesen nicht mehr entlassen werden. Das Recht der Abberufung einzelner Mitglieder steht - auf Antrag des Bundesbankvorstands - allein dem Bundespräsidenten zu. Voraussetzung für einen Antrag auf Abberufung sind entweder eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit oder eine "grundsätzliche und weitreichende Verfehlung" des zu feuernden Vorstands.

Eine Begründung für die Abberufung lieferte die Bundesbank in ihrer Pressemitteilung über den geplanten Rauswurf nicht. Mitgeteilt wurde lediglich noch, dass der Corporate Governance-Beauftragte der Bundesbank, Uwe Schneider, diesen Antrag uneingeschränkt unterstützt. Das könnte darauf hindeuten, dass sich die Bundesbank in ihrem Abberufungsantrag auf einen schweren Verhaltensfehler Sarrazins berufen wird.

Wulff hatte der Bundesbank zuvor indirekt die Trennung von Sarrazin nahegelegt. Er sagte dem Nachrichtensender N24 am Mittwoch, er glaube, "dass jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet - vor allem auch international". Auch Merkel hatte scharfe Kritik an Sarrazin geübt.

Parteiausschlussverfahren eingeleitet

"Ich war nie illoyal, aber zu jeder Zeit unabhängig." So beschreibt der 65-jährige Sarrazin sein Selbstverständnis. Seine provokanten Thesen werden ihn möglicherweise nicht nur den Job als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank kosten. Auf der Kippe steht auch seine Mitgliedschaft in der SPD, nachdem der Parteivorstand am Montag ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn eingeleitet hat.

Zuletzt hatte sich Sarrazin erstmals selbstkritisch gezeigt. Zwar verteidigte er hartnäckig seine Thesen zum Scheitern der Integration. Er distanzierte sich aber von seiner Behauptung, alle Juden teilten ein "bestimmtes Gen". "Das war ein Riesenunfug, was ich auch extrem bedauere", sagte Sarrazin in der ARD-Sendung "Hart aber fair". Er hatte auch ein vorzeitiges Ausscheiden aus der Bundesbank-Spitze nicht mehr ausgeschlossen. Jedes Amt sei zeitlich begrenzt, betonte er. "Wann die Begrenzung ist, wird die Zukunft zeigen."

Autorin: Pia Gram (dpa, apn, afp, rtr)
Redaktion: Ursula Kissel