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Bundestag: Liberalismus ohne FDP

Marcel Fürstenau25. September 2013

Im frisch gewählten Parlament gibt es erstmals keine freidemokratische Fraktion. Das bedeutet aber nicht, dass sich niemand mehr für ihre Ziele einsetzt. Liberale Programmatik findet sich auch bei den anderen Parteien.

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Papierfähnchen mit dem gelb-blauen FDP-Logo (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Als einzige Partei in Deutschland macht die FDP die Freiheit des einzelnen Menschen zum Maß, Mittel und Zweck all ihrer Politik." Dieser Satz steht im 2012 verabschiedeten Grundsatzprogramm der gerade mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag gewählten Liberalen. Ein anderer Satz aus den "Karlsruher Freiheitsthesen", wie das liberale Grundsatzprogramm heißt: "Wir sind Anwalt für all diejenigen, die Verantwortung in unserer Gesellschaft und für diese Gesellschaft übernehmen." Welche im Bundestag vertretene Partei wäre dagegen! Freiheit und Verantwortung - die zentralen Begriffe im FDP-Repertoire sind auch die Lieblingswörter des parteilosen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Dem deutschen Staatsoberhaupt werden sie abgenommen, der FDP nicht (mehr).

Die historische Wahl-Niederlage der Liberalen muss also weniger mit undankbaren Wählern zu tun haben, als mit dem Widerspruch zwischen Wort und Tat. Für die FDP müssen nun Andere in die Bresche springen, wenn es um freiheitliche Anliegen geht. Und selbstverständlich haben sie das auch in der Vergangenheit schon getan. Der Unterschied: Konservative, Sozialdemokraten, Grüne und Linke verwenden das positiv besetzte Begriffspaar Freiheit und Verantwortung weniger radikal und weitreichend als die FDP.

Auch Grüne und Linke gegen Vorratsdatenspeicherung

Beim Datenschutz zum Beispiel, einem klassisch liberalen Thema, unterscheiden sich FDP, Grüne und Linke höchstens in Nuancen. Alle drei lehnen die verdachtsunabhängige massenhafte Speicherung von elektronischen Kommunikationsverbindungen ab. Den Kampf gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung müssen Grüne und Linke künftig ohne die Liberalen führen.

Sie werden diesen Kampf wahrscheinlich verlieren, sollte es zu einer Großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten kommen. Angela Merkels CDU und deren bayerische Schwesterpartei CSU hätten die Vorratsdatenspeicherung schon gerne in der gerade beendeten Legislaturperiode durchgesetzt, wenn sich die FDP nicht erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt hätte. Von der SPD ist wohl kaum Widerstand zu erwarten.

Zwei Arbeiter überkleben ein Wahlplakat von FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle (Foto: dpa)
Plakatierer überkleben Wahlwerbung der Freidemokraten: Neuer Bundestag ohne klassische FDP-SlogansBild: picture-alliance/dpa

Ein anderer Klassiker liberaler Politik ist die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe zwischen Frau und Mann. Bei diesem Thema stimmen die Vorstellungen mit denen von Grünen, Linken und SPD überein. "Wir wollen die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften öffnen und diese damit auch im Adoptionsrecht und im Steuerrecht gleichstellen", heißt es bei den Sozialdemokraten. Hinter diese Position fallen einzig die Unionsparteien zurück.

Fast alle sind für die doppelte Staatsbürgerschaft

Auch in der Integrations- und Zuwanderungspolitik sind liberale Vorstellungen kein Alleinstellungsmerkmal der FDP. Mit Ausnahme der CDU/CSU sind alle für die doppelte Staatsbürgerschaft. Ein ähnliches Bild beim Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder nicht in eine Kindertagesstätte geben wollen: Die Unionsparteien haben es gegen den Willen ihres nun abhandengekommenen Koalitionspartners FDP durchgesetzt. Die anderen Fraktionen waren sowieso dagegen. Betreuungsgeld ist aus ihrer Sicht Ausdruck eines altmodischen, rückwärtsgewandten Familienbildes.

Liberale Positionen in der Gesellschaftspolitik haben im neuen Bundestag also auch ohne eine FDP-Fraktion zahlreiche Unterstützer. Anders sieht es in der Wirtschaftspolitik aus. Die Freien Demokraten haben bis zuletzt als Einzige gegen einen allgemeinen Mindestlohn gekämpft. Im neuen Bundestag ist praktisch niemand mehr dagegen. Die Bandbreite reicht von der Forderung nach branchenspezifischen Lösungen bis hin zu einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.

In der Wirtschaftspolitik fehlt eine liberale Stimme

Zum Markenkern liberaler Wirtschaftspolitik gehört seit jeher der Ruf nach niedrigen Steuern. Dass man damit Bundestagswahlen gewinnen kann, zeigte sich 2009, als die FDP ihr historisch bestes Ergebnis schaffte (14,6 Prozent). Von den versprochenen Entlastungen spürten die Meisten dann kaum etwas, nicht zuletzt deshalb flog die Partei jetzt erstmals aus dem Parlament. Von den übrig gebliebenen Parteien wagt es keine, von niedrigeren Steuern zu sprechen. "Mehr Privat, weniger Staat" - diesen klassischen FDP-Slogan wird man im neuen Parlament so schnell nicht mehr hören.

Der Blick auf die Programmatik der Parteien lässt erkennen, dass es liberale Politik mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag zwar schwerer haben wird, aber keineswegs der Vergangenheit angehören muss. Sie wird insgesamt aber weniger zur Geltung kommen. Das gilt in stärkerem Maße für die Wirtschafts-, als für die Gesellschaftspolitik und wird entscheidend davon abhängen, wer Deutschland künftig regieren wird.