1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Bundeswehr im Abseits"

15. April 2010

Der unangekündigte Blitzbesuch von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg in Afghanistan beschäftigt an diesem Donenrstag (15.04.) die Kommentatoren der deutschsprachigen Tageszeitungen.

https://p.dw.com/p/Mwbx
Bild: picture-alliance/dpa

Die Welt, Berlin:

"Guttenbergs größte politische Leistung besteht darin, den am Hindukusch stationierten Soldaten endlich eine Stimme zu geben. Das, was sie in Afghanistan erleben, schlug sich weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit authentisch nieder. Dafür liebt man ihn in der Bundeswehr - aber im Volk? Der SPD-Chef Gabriel hat diese Schwachstelle instinktsicher geortet und mit seiner Forderung nach einem neuen Mandat für einen "Kriegseinsatz" politisch instrumentalisiert. Der attackierte Minister macht auf dem Seil, über das er seit Monaten balancieren muss, bislang zwar eine gute Figur. Vielleicht wird er aber einen zeitweiligen Absturz in den Beliebtheitsskalen in Kauf nehmen müssen, um seiner transatlantischen Linie treu bleiben zu können - und den Soldaten, die er von Amts wegen schützen muss. Auf lange Sicht wird ihn das politisch stärken - auch im Wahlvolk."

Leipziger Volkszeitung:

"Nachdem auch der afghanische Präsident Karsai zum Westen auf Distanz ging und die deutsche Bevölkerung den Einsatz zu fast zwei Drittel ablehnt, fragen sich viele, wofür sie am Hindukusch eigentlich noch kämpfen. Längst ist zudem klar, dass angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage im Raum Kundus Ausrüstung und Truppenstärke nicht mehr stimmen. Dass Guttenberg nun zwei Panzerhaubitzen und einige Schützenpanzer versprach, reißt das Ganze nicht raus. (...) Zum Klartext gehört allerdings, dass mehr Waffen und mehr Soldaten auch mehr Kampf bedeuten. (...) Die deutschen Politiker haben eine große Verantwortung, dies der skeptischen Bevölkerung zu erklären und die Risiken für die eigenen Soldaten abzuwägen."

Rheinische Post, Düsseldorf:

"Die Bundeswehr steht in Kundus nicht nur gegenüber den Taliban mit dem Rücken zur Wand: Die amerikanischen Verbündeten übernehmen im Verantwortungsbereich der Deutschen gerade ungefragt das Kommando. Tausende US-Fallschirmjäger rücken zurzeit im Norden Afghanistans ein, um die Islamisten zu verjagen. Denn schleichend sind große Teile der Region außer Kontrolle geraten - eine Blamage für Deutschland. US-Kommandeur Stanley McChrystal lässt keine Gelegenheit aus, die Verbündeten spüren zu lassen, dass sie aus seiner Sicht versagt haben. So bemängelte der General gestern, die deutschen Truppen seien für harten Kampf nicht ausgebildet. Dabei weiß McCrystal genau, dass der angeblich mangelnde Kampfeswillen auf die Direktiven der deutschen Politik zurückgeht, nicht auf das Unvermögen der Soldaten. Inzwischen seien die deutschen Offiziere im Isaf-Hauptquartier in Kabul weitgehend kaltgestellt, heißt es. Ob Verteidigungsminister zu Guttenberg gestern in Kundus darauf angesprochen worden ist, dass die Bundeswehr in Afghanistan gleich doppelt im Abseits steht?"

Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg:

"Verteidigungsminister zu Guttenberg und sogar Kanzlerin Merkel nehmen das Wort Krieg in den Mund - wenn auch nur umgangsprachlich. Und der Minister kam bei seinem jüngsten Besuch am Hindukusch nicht mit leeren Händen. Endlich werden die Bitten der Soldaten erhört - und die Truppen in Afghanistan mit schwerem Gerät wie der Panzerhaubitze 2000 ausgerüstet. Das wirft freilich neue Fragen auf. Denn die Waffen passen nicht zur aktuellen Strategie, möglichst direkt in Kontakt zur Bevölkerung zu treten und zivile Opfer zu vermeiden. Die Zukunft des Einsatzes ist ohnehin unklarer denn je. Denn wenn zu Guttenberg den Soldaten den Eindruck vermittelt, dass die Politik in Deutschland mit großer Mehrheit hinter ihnen steht, entspricht dies längst nicht mehr der Realität. Das zeigt nicht zuletzt der Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel, der die "Kriegs-Erklärung" Merkels und zu Guttenbergs dazu nutzt, ein neues Mandat für den Einsatz zu fordern. Zwar sucht Gabriel damit nur den Applaus des linken Parteiflügels. Doch werden auch die gut informierten Taliban aufmerksam registrieren, dass die parteiübergreifende Zustimmung zu der Mission am Hindukusch zu bröckeln beginnt."

Autorin: Esther Broders
Redaktion: Miriam Klaussner