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Aus Fehlern gelernt

Volker Witting31. Mai 2015

Fliegerstiefel im Nacken, ein Flüchtling liegt hilflos in seinem Erbrochenen, wird von Wachleuten misshandelt. Diese Bilder aus dem Asylbewerberheim Burbach lösten einen Schock aus. Seitdem hat sich vieles verändert.

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Asylbewerberheim Burbach (Foto: Volker Witting/DW)
Bild: DW/V. Witting

Schon am Eingangstor wird klar: Im nordrhein-westfälischen Burbach ist nichts mehr, wie es war. Hier hat jetzt das Deutsche Rote Kreuz das Sagen und nicht mehr das Privatunternehmen European Home Care. So steht es auf einem großen Schild am Tor. Geöffnet wird es von einem bärtigen Wachmann der Firma Bewa Security. "Die sind jetzt auf Herz und Nieren überprüft", sagt Einrichtungsleiter Hubert Multhaup. "Sogar vom Verfassungsschutz. Schon um sicherzustellen, dass die nicht kriminell oder rechtsradikal sind, wie das wohl auf einige der alten Sicherheitsleute zutrifft."

Hubert Multhaup war eigentlich schon Rentner, als er Anfang Oktober von der Bezirksregierung in Arnsberg mit der Leitung des Übergangsheimes Burbach beauftragt wurde. "Jetzt habe ich hier den schönsten Job, den ich mir vorstellen kann", sagt er zufrieden und mit breitem Lächeln.

Traumjob Heimleitung

Dabei ist sein Job nicht einfach. Das Image der ehemaligen Bundeswehrkaserne im Siegerland, ja der ganzen Flüchtlingspolitik im Land, war ruiniert, als im vergangenen September bekannt wurde, dass in dem vollkommen überbelegten Heim erniedrigt, geschlagen und misshandelt wurde, und zwar systematisch und über eine lange Zeit hinweg. In einem sogenannten "Problemraum" wurden Flüchtlinge vom Wachpersonal eingesperrt.

Damals waren bis zu 800 Menschen hier untergebracht, unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen. Keiner sah da so genau hin; auch die zuständigen Behörden und die Politik nicht, wie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zeigen. Die ganze Republik war schockiert, als bekannt wurde, was in dem Übergangsheim passiert war, so auch DRK-Mann Multhaup: "Das so etwas in Deutschland möglich ist, war für mich unvorstellbar. Ich war geschockt."

Gewalt gegen Flüchtling (Foto: Polizei NRW/dpa)
Opfer der Wachleute : Misshandlung eines FlüchtlingsBild: Polizei NRW/dpa

Schläge und Misshandlungen waren an der Tagesordnung

Die Flüchtlinge, die hierher kommen, sind einfach nur froh, dass sie in Sicherheit sind. "Dass hier Menschen misshandelt wurden, kann ich mir nicht vorstellen. Wir sind hier freundlich aufgenommen worden", sagt eine Frau aus Syrien. Sie will ihren Namen nicht nennen, hat Angst um Mann und Sohn, die dort bleiben mussten. Sie ist mit einem weiteren Sohn und einer Tochter aus Damaskus geflohen. "Wir haben 8000 Euro pro Kopf an die Schleuser gezahlt, mussten unser Haus verkaufen." Sie sind dem Krieg, dem Elend entkommen, einfach nur froh, in Sicherheit zu sein. Die einzige Beschwerde, die sie haben: die ewig dreckigen Toiletten.

Doch sogar da wird Abhilfe geschaffen. Überall in den langen, dunklen Gängen der Kaserne wird gehämmert und gebohrt. Die Bäder werden saniert, Schallschutz und Feuermelder eingebaut. Mehr als 500 Flüchtlinge werden nicht aufgenommen. Vor September vergangenen Jahres waren es oft um die 800. Viel zu viel bei nur vier bis sechs Wachleuten.

Hubert Multhaup, Leiter des Flüchtlingsheims in Burbach (Foto: Volker Witting/DW)
Neuer Heimleiter: Hubert MulthaupBild: DW/V. Witting

Die ehemalige Kaserne wird umgebaut

Seit dem Desaster des vergangenen Jahres ist auf einmal viel mehr Geld da. Die Landesregierung hat begriffen, dass es so nicht weitergeht, und in Burbach sowie im ganzen Bundesland Nordrhein-Westfalen Geld locker gemacht, damit sich Flüchtlinge besser aufgehoben fühlen können. Und auch die zuständigen Behörden haben nachgesteuert. "Die Aufsichtsbehörden schicken unangemeldet Kontrolleure. Die kommen sogar am Sonntag. Also, den Warnschuss hat man gehört", sagt Multhaup dazu.

Im gut ausgerüsteten Kindergarten trifft sich der Nachwuchs aus den Flüchtlingsfamilien, Kinder aus aller Herren Länder spielen, malen, basteln. "Die meisten hier kommen immer noch aus dem Kosovo, obwohl sie kaum Chancen auf Anerkennung haben", meint DRK-Mann Multhaup. Bei Menschen aus Syrien liegt die Prognose für eine Anerkennung viel höher.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Auch die Justiz ist mit der Aufarbeitung des Skandals befasst. Die Staatsanwaltschaft in Siegen und die Polizei in Hagen ermitteln. Die Vorwürfe: Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung. Zehn Beamte recherchieren. Am Anfang standen nur sechs Wachleute im Fokus. Sie sollen zum Teil vorbestraft gewesen sein, und rechtsradikal orientiert.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt der ermittelnde Staatsanwalt, dass es offenbar viel mehr Mitwisser und Täter gegeben haben könnte. Die Ermittlungen laufen noch. Aber schon jetzt stehen mehr als 50 Verdächtige auf den Listen. "Das sind Mitarbeiter des Wachdienstes, aber auch Sozialarbeiter und Leute von European Home Care und zwei Mitarbeiter des Regierungspräsidiums in Arnsberg." Von der Dimension des Falles ist Staatsanwalt Johannes Daheim selbst überrascht worden.

Syrische Familie in Burbach (Foto: Volker Witting/DW)
Angekommen: Flüchtlingsfamilie aus SyrienBild: DW/V. Witting

Heimleiter Hubert Multhaup weiß das natürlich alles. Seine Strategie: Offenheit und die Missstände abstellen. In Burbach scheint das zu funktionieren. An vielen Stellen ist die Kaserne offensichtlich noch baufällig. Die Fassaden bröckeln immer noch, aber der Ruf von Burbach hat sich verbessert. Für die Familie aus Syrien ist Burbach schlicht ihr Fluchtpunkt. Sie haben das neue Burbach erlebt und träumen jetzt von einem friedlichen Leben und einer Zukunft in Deutschland.