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Burgenstraße: My home is my castle!

Caroline Schmitt20. August 2015

Die Burgenstraße ist eine der beliebtesten Ferienrouten Deutschlands. Sie führt vorbei an 90 Burgen und Schlössern. Einige davon sind heute noch bewohnt. Und eine Führung mit den Hausherren macht besonders viel Spaß.

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Baden-Württemberg - Bad Wimpfen
Alles im Blick - der Blaue Turm in Bad WimpfenBild: picture-alliance/F. Gierth

Bad Wimpfen in Baden-Württemberg ist ein Ort wie aus dem Bilderbuch. Die Fachwerkhäuser in den verwinkelten Altstadtgassen sind mit Efeu und Blumenkästen geschmückt, zwischen Gaststätten und Wohnhäusern parken alte Vespas und Fahrräder, in den Schaufenstern steht bemalte Keramik. Auf dem Marktplatz wird gerade geheiratet.

Einzimmerwohnung über den Wolken

134 Stufen über all dem thront Bianca Knodel, seit 1996 lebt und arbeitet sie im Blauen Turm. Der ist seit dem Mittelalter ununterbrochen bewohnt. Heute ist er ein echter Besuchermagnet - auch wegen seiner lebensfrohen und offenen Bewohnerin. Bianca Knodel ist die Turmwächterin von Bad Wimpfen. Früher beobachteten Turmwächter das Umland und schlugen sofort Alarm, wenn ein Feuer ausbrach oder sich feindliche Heere näherten. Die Türmerin von heute ist Ticketverkäuferin und Geschichtenerzählerin.

Für Bianca Knodel beginnt ein ganz normaler Tag um 7.30 Uhr, wenn sie von ihrem "Lebensgefährten", einem schwarzen Kater geweckt wird. "Dann frühstücke ich in aller Ruhe und richte die Wohnung her. Der Turm wird dann ganz gemütlich um 10 Uhr für Besucher geöffnet", erzählt sie.

Bianca Knodel, Türmerin in Bad Wimpfen
Lebt mit Besuchern und Stürmen - Türmerin Bianca KnodelBild: Roland A. Wildberg

Zum Ticketverkauf gehört selbstverständlich ein Schwätzchen an der "Mautstelle". Danach steigen die Besucher die 134 Stufen hinauf und genießen auf der Aussichtsplattform den Blick über das Neckartal, mitsamt seinen Kanufahrern und Weinbergen. Bianca Knodel bezieht die Touristen auch in den Alltag auf dem Turm ein. "Ich gehe einmal pro Woche einkaufen, dann stelle ich einen Kasten Bier unten hin und schreibe: 'Lieber Gast, wer den Kasten nach oben trägt, bekommt ein Freibier'. Das funktioniert jedes Mal", grinst sie.

Vom Turm den Sturm betrachten

Von den Eintrittsgeldern allein kann sie nicht leben. Sie wohnt mietfrei, erhält Anteile an den Einnahmen und vermietet nebenbei ihre alte Wohnung in Bad Wimpfen. Sie liebt ihre 53 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung samt Whirlpool in luftiger Höhe. Die Magie des Ortes verzaubere sie immer wieder, vor allem bei Sturm. "Das Gewitter kommt von Westen, man kann zusehen, wie es sich zusammenbraut. Ich setze mich dann ans Fenster, mache eine Flasche Wein auf und sehe zu, wie es blitzt und donnert. Ich liebe das", erzählt Deutschlands einzige Türmerin.

Wie lange hält sie das noch durch? Na, mindestens noch 21 Jahre. "Das bin ich uns Frauen schuldig. Der älteste Türmer Deutschlands wurde nämlich 84, also muss ich 85 werden", beteuert sie todernst, mit einem Glas Sekt in der Hand.

Ein etwas anderes Einfamilienhaus

Acht Kilometer weiter nördlich, in Neckarmühlbach liegt die Burg Guttenberg. Mit ihrem mächtigen Bergfried, den vielen Mauern und Wachtürmen thront sie über dem Neckartal. Sie wurde im 12. Jahrhundert erbaut und niemals zerstört.

Bernolph Freiherr von Gemmingen-Guttenberg vor seiner Burg
Arbeits- und Wohnsitz - Burgherr Bernolph Freiherr von Gemmingen-GuttenbergBild: Thomas Rentschler

Durch das Haupttor betritt man das weitläufige Gelände, zu dem auch der kleine Familienfriedhof der Guttenbergs gehört. Sie residieren hier seit 550 Jahren und 17 Generationen.

Bernolph Freiherr von Gemmingen-Guttenberg, 52, wohnt und arbeitet schon sein ganzes Leben lang auf vier Stockwerken im östlichen Wohnbau. Die Burg ist sein Wohnort, sein Arbeitsplatz, seine Einnahmequelle. Er ist verantwortlich dafür, dass das Gesamtunternehmen "Burg" reibungslos läuft. Dazu gehören die Burgschenke, das Burgmuseum samt Folterkammer, Ritterrüstungen und Bibliothek, die Holzwirtschaft und die Deutsche Greifenwarte.

Unzähmbare Burgbewohner: Falken

Die Shows der Vogelwarte sind ein echter Besuchermagnet. Die Falken fliegen über die Köpfe der Besucher, während die Falkner unterhaltsam von ihrem ungewöhnlichen Arbeitsalltag erzählen: Die Falken sind "nicht zähmbar", sie kommen nur aus reiner Bequemlichkeit und wegen der regelmäßigen Mahlzeiten zurück.

Bernolph Freiherr von Gemmingen-Guttenberg vermittelt den Besuchern ein authentisches Bild vom Leben auf seiner Burg, erzählt von den Freuden und den Herausforderungen. Deshalb werden Führungen nur von Familienmitgliedern angeboten - persönliche Anekdoten inklusive. So war seine Ehefrau erst bereit einzuziehen, als auf der "bis dahin kalten und zugigen Burg" eine Zentralheizung eingebaut wurde. Den Gefallen tat er ihr natürlich. Bis heute gibt es jedoch keine Wärmedämmung, dafür aber "ziemlich gute Fenster".

Zwischen Romantik und Denkmalschutz

Der Freiherr verschweigt die Schattenseiten nicht. Ein Leben auf einer Burg mit vielen verborgenen Winkeln mag zwar romantisch klingen, ist im Geschäftsalltag aber vor allem eines: teuer. Die Mauern und Bauten müssen fachgerecht in Stand gehalten werden. Nur mit einer sorgfältigen Denkmalpflege kann das historische Erbe auch für zukünftige Generationen bewahrt werden. Ein befreundeter "Sandsteinpapst" in Süddeutschland hat zum Beispiel gerade aufwändige Arbeiten am Burgfried verrichtet. Generell gibt es je nach Material oder Gemäuer einen anderen Experten, der Gutachten, Schätzungen und Empfehlungen erstellt. "Es ist nicht so, als ob da jemand aus Jux und Tollerei auf der Burg lebt. Das verschlingt Unsummen, Sie müssen ganz schön ackern", sagt er.

Burg Guttenberg, Ansicht mit Turm
Weite Wege und dicke Mauern - Burg GuttenbergBild: Thomas Rentschler

Flucht in den Hochsitz

Manchmal nimmt sich er sich die Freiheit abzuschalten. Wenn das Wetter besonders schön ist, sagt er sich: "Es reicht, jetzt gehe ich in den Wald und setze mich auf meinen Hochsitz."

Und seine drei Kinder? Es gab schon Momente, in denen sie das Burgleben nicht so toll fanden. "Vor ein paar Jahren waren wir in den Sommerferien in einem winzig kleinen Fischerhäuschen in Schweden. Als wir zurückkamen, sagten die Kinder: 'Wir wollen wieder zurück, wir wollen nach Schweden ziehen.'" Sie vermissten die Nähe zu den Eltern, die sie im Wohnzimmer leise reden hörten, während sie nebenan in ihren Betten lagen. Auf der Burg sind Wohn- und Kinderzimmer durch einen 36 Meter langen Flur getrennt.

Heute sind die Kinder 13, 16 und 17 Jahre alt und aus dem gröbsten raus. Guttenberg hofft, dass der Funke und die Leidenschaft für die alten Mauern eines Tages bei einem der Kinder überspringt.

Ähnlich wie Bianca Knodel auf dem Blauen Turm kann sich Freiherr von Gemmingen-Guttenberg im Moment nicht vorstellen, woanders zu leben. Das Gesamtunternehmen "Burg" mache ihm noch zu viel Spaß. Später wäre Frankfurt am Main vielleicht eine Option. "Da ist natürlich die Kultur eine andere, die Wege kürzer, man muss keine drei Stockwerke mehr nach oben laufen", zwinkert er verschmitzt.

Kanufahrer auf dem Neckar, im Hintergrund Bad Wimpfen
Auch vom Neckar aus zu sehen - Blauer Turm in Bad WimpfenBild: Thomas Rentschler

Und so, im Gespräch mit den Burgherren und -frauen von heute, wirken jahrhundertealten Mauern auf der Burgenstraße plötzlich gar nicht mehr so eingestaubt, sondern sie strotzen vor Leben und Leidenschaft.