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Cameron bekommt seinen Willen

Bernd Riegert20. Februar 2016

Der britische Premier hat sich beim Brüsseler Gipfel durchgesetzt: Die EU sagt Großbritannien Sonderrechte zu, damit seine Bürger in der Union bleiben möchten. Abgestimmt wird im Sommer. Bernd Riegert aus Brüssel.

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David Cameron (Foto: AFP)
Selbstbewusst in Brüssel: Cameron führt die Yes-Kampagne anBild: Getty Images/AFP/J. Thys

Zwischen Vorspeise und Hauptgang beim Abendessen setzte die reichlich genervte Präsidentin von Litauen, Dalia Grybauskaite, eine Nachricht per Twitter ab. "Das Drama ist vorbei", schrieb sie kurz und knapp, wie es ihre Art ist. Den ganzen Tag über hatte sie sich über David Cameron, den britischen Premier, lustig gemacht. "Der braucht sein Drama, der bekommt es auch", hatte sie Reportern in Gipfelpausen erklärt. Für die litauische Staatschefin war der ganze fast 30 Stunden dauernde Gipfelmarathon nur eine Inszenierung, um dem Briten zu ermöglichen, sich zu Hause als Sieger über die EU darzustellen. "Wir spielen unsere Rollen", sagte Frau Grybauskaite. "Egal, was wir hier vereinbaren und wie viel Gesichtswahrung oder Kosmetik wir betreiben, am Ende entscheiden die britischen Wähler."

Cameron: Das reicht für ein Bleiben

Der britische Premier hat eine Vereinbarung mit den übrigen 27 Mitgliedsstaaten erzielt und konnte mit einiger Erleichterung sagen: "Ich glaube, dass reicht für mich, damit ich empfehlen kann, dass das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleibt und das Beste aus beiden Welten hat." Das Beste aus der EU-Mitgliedschaft und der britischen Sonderrolle, so Cameron weiter. "Großbritannien wird auf Dauer von der immer stärkeren Integration ausgenommen. Wir werden nie ein Teil eines europäischen Superstaats sein." Er habe seine Ziele erreicht und Garantien von den übrigen Mitgliedsstaaten erhalten, sagte der konservative Premier. Noch während seiner Pressekonferenz hielt Cameron ein leidenschaftliches Plädoyer für einen Verbleib Großbritanniens in der EU, der es seit 1973 angehört. Die Ja-Kampagne für die Volksabstimmung, die im Sommer, wahrscheinlich am 23. Juni, kommen soll, hat der Premier so bereits begonnen. Der Ausgang des Referendums ist nach Umfragen noch weitgehend offen.

Jean-Claude Juncker und Donald Tusk (Foto: AFP)
Erleichterung: Kommissionspräsident Juncker (l.) und Ratspräsident TuskBild: Getty Images/AFP/J. Thys

Großbritannien darf ausscheren

EU-Ratspräsident Donald Tusk bezeichnete die Vereinbarung als fair und ausgewogen. "Wir haben hart gestritten, auch über kleinste Details. Das war anstrengend und nicht ungedingt glamourös." Am Ende hätten alle Staats- und Regierungschefs zugestimmt. Erst wenn sich die Wählerinnen und Wähler gegen einen Ausstieg Britanniens, den Brexit, aussprechen, werden die am Freitag vereinbarten neuen Regeln auch tatsächlich in Gesetze gegossen. Wenn das Referendum negativ ausgeht, dann wird auch die Vereinbarung null und nichtig. Auf dieser "Selbstzerstörungsklausel" hatte unter anderen Belgien bestanden. Die Chance auf Nachverhandlungen und ein erneutes Referendum sollte es nicht geben. "Wir können so eine Phase der Unsicherheit und Ungewissheit nicht noch einmal über Jahre leisten", sagte der belgische Premier Louis Michel.

Großbritannien soll nach den von Donald Tusk vorgelegten Texten davon ausgenommen werden, eine immer engere Union mit den restlichen EU-Mitgliedern anzustreben. Diese "ever closer union" ist in den Lissabonner Grundlagenverträgen eigentlich vorgesehen.

Komplizierte Kompromisse

Die Briten werden eingeschränkte Mitspracherechte bei Entscheidungen der Euro-Zone erhalten. Ein Veto gegen Entscheidungen der Währungsgemeinschaft, der 19 Staaten angehören, bleibt ihnen aber verwehrt. Die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten sollen eine Möglichkeit bekommen, Beschlüsse aus Brüssel aufzuhalten. Dazu müssten 55 Prozent der Parlamente, also 15 von 28 Mitgliedsstaaten, die Initiative ergreifen. In der Praxis, so glauben EU-Diplomaten, wird dies kaum eintreten, weil sich die Parlamente gegen die eigenen Regierungen wenden müssten. Die werden schließlich von den Parlament mit Mehrheit getragen und haben in Brüssel im Ministerrat miteinander verhandelt.

EU-Einwanderer bekommen weniger Sozialleistungen

Bis zum Schluss umstritten waren die Ausnahmen bei Sozialleistungen, die David Cameron zum Dreh- und Angelpunkt gemacht hatte. Er will Einwanderung aus anderen EU-Staaten verhindern. Da die Freizügigkeit innerhalb der EU aber ein unveränderbares Grundprinzip der Union ist, sollten wenigstens die sozialen Wohltaten für Polen, Litauer und andere EU-Nationalitäten gesenkt werden. Bis zu vier Jahre dürfen diese Leistungen jetzt eingeschränkt werden, wenn eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind. Großbritannien muss nachweisen, dass eine Notlage und ein Missbrauch der Sozialsysteme besteht. Ob dies in Großbritannien tatsächlich der Fall ist, darüber streiten die Experten. Die Zeitung "The Guardian" hatte immer wieder die Statistiken angezweifelt, die die Regierung Cameron zur Begründung ihrer Forderungen vorgelegt hatte.

Einige osteuropäische Staaten hatten die britischen Sonderwege kritisiert, weil sie eine Diskriminierung ihrer Bürger in Großbritannien fürchten. "Die Freizügigkeit wird nicht in Frage gestellt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Für alle gelten die gleichen Regeln." Jetzt habe die EU dem britischen Premier ein Paket in die Hand gegeben, mit der er zuhause für Europa werben könne, stellte Merkel erleichtert fest.

Ein Brexit könnte teuer werden

Großbritannien hat außerdem eine Reform der Kindergeldzahlungen in der gesamten EU durchgesetzt. Künftig soll sich das Kindergeld an den Lebenshaltungskosten im Land des Wohnsitzes orientieren. Diesen Änderungen und vielen anderen Gesetzen muss auch das Europäische Parlament noch zustimmen. Insgesamt sei das aber ein fairer Deal, meinte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok.

EU-Verträge sollen irgendwann geändert werden

Die 27 übrigen EU-Staaten sagten Cameron zu, dass sie bei nächster Gelegenheit die EU-Grundlagenverträge ändern würden, um die britische Sonderrolle festzuschreiben. Diese Zusage ist einer internationaler Rechtsakt, der bei den Vereinten Nationen hinterlegt wird.

David Cameron sagte, die Briten dürften ihr Pfund behalten, müssten nie für Bankenrettung in der Euro-Zone auskommen. Das hatte aber eigentlich auch niemand in Abrede gestellt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wertet die Vereinbarungen als Erfolg. Eine weitere Zusammenarbeit in der Euro-Zone werde nicht an Großbritannien scheitern. Einig seien sich alle Staats- und Regierungschefs gewesen, dass die Europäische Union ständig verändert und verbessert werden müsse, sagte David Cameron. "Die EU ist nicht perfekt. Sie braucht permanente tiefgreifende Reformen, aber Großbritannien sollte diese von innen heraus mitgestalten." Die Briten würden nur da mitmachen müssen, wo das vorteilhaft für sei sei. "Wir werden Zugang zum gemeinsamen Markt haben und an der gemeinsamen Terrorbekämpfung teilnehmen, aber wir machen da nicht mit, wo wir das nicht wollen."

Merkel nutzt Verhandlungspause für belgische Fritten

Am Sonnabend wird Cameron in einer außerordentlichen Sitzung seinem Kabinett die Beschlüsse erläutern. Am Montag stellt er sich den Fragen im britischen Parlament. Die Front zwischen den EU-Gegnern und den EU-Befürwortern verläuft quer durch alle Parteien in Großbritannien. Das trifft auch für die Minister im Kabinett Camerons zu. Ganz am Ende des überlangen Gipfeltages dankte der Premier seinen Mitstreitern in Brüssel. "Die Staats- und Regierungschefs waren außerordentlich geduldig", sagte Cameron. Und das schließt dann auch die Rollenspielerin Dalia Grybauskaite aus Litauen ein.