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Chalip: "Freiheit ist unteilbar"

Olga Kapustina12. November 2012

Steht unter Hausarrest, glaubt an die Freiheit: Irina Chalip, mutige Journalistin aus Belarus. Nun zeichnet sie das deutsche Zentrum des Schriftstellerverbandes PEN mit dem renommierten Hermann-Kesten-Preis aus.

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Porträt von Irina Chalip, weißrussische Journalistin, Korrespondentin der russischen Zeitung "Novaja Gazeta", Eherfrau des weißrussischen Oppositionspolitikers Andrej Sannikow (Foto: DW)
Bild: DW

Deutsche Welle: Frau Chalip, werden Sie bei der Preisverleihung anwesend sein?

Irina Chalip: Ich werde an der Preisverleihung sozusagen virtuell teilnehmen. Ich werde über Skype aus Minsk zugeschaltet. Den Preis kann ich aber nicht persönlich entgegennehmen.

Der Generalsekretär des deutschen PEN-Zentrums, Herbert Wiesner, spricht von einer Tradition des leeren Stuhls. Auch dem Chinesen Liu Xiaobo hat das PEN-Zentrum 2010 den Kesten-Preis nicht überreichen können. Er war im Gefängnis.

Ich bin auch nur formell auf freiem Fuß. Ich stehe unter Hausarrest. Ich darf Belarus nicht verlassen. Jeden Montag muss ich mich bei der Polizei melden. An anderen Tagen kommt die Polizei nachts zu mir nach Hause, um zu prüfen, ob ich da bin. Ich darf nach 22 Uhr meine Wohnung nicht verlassen. Im Juli 2013 wird das Gericht entscheiden, ob ich in die Strafkolonie geschickt werde, freigelassen werde oder ob meine Inhaftierung noch einmal verschoben wird.

Vor einem Monat sagte Präsident Alexander Lukaschenko im Interview mit der britischen Zeitung "The Independent", er würde Ihnen erlauben, auszureisen. Können Sie sich jetzt frei bewegen?

Wovon reden Sie denn? Es macht keinen Sinn, die Aussagen von Lukaschenko zu kommentieren. Ihren Wert kennen wir alle nur zu gut.

Ihr Ehemann, Andrej Sannikow, hat vor kurzem politisches Asyl in Großbritannien erhalten. Wie stehen Sie zu seiner Entscheidung?

Diese Entscheidung haben wir gemeinsam getroffen. Ich kann sie nur unterstützen. Ich hatte es bereits satt, die Lebensmittelpakete meinem Mann in den Knast zu schleppen. Ich hatte es satt, sinnlose Telefonate mit den Behörden zu führen, um zu erfahren, wo mein Mann ist, als er wieder einmal aus einem Gefängnis in das andere verlegt wurde. Ich bevorzuge, dass er in Sicherheit ist.

Haben Sie vor, Ihrem Mann nach Großbritannien zu folgen?

Ich habe vor, meine Strafe in Belarus zu verbüßen. Ich will nicht im Kofferraum eines Autos oder so ähnlich fliehen. Damit sie hier einen internationalen Haftbefehl gegen mich ausstellen und mich einer neuen Straftat beschuldigen. Diese Frage ist für mich von daher jetzt irrelevant. Eigentlich träume ich davon, dass meine Familie sich in Belarus wieder vereint.

Jetzt, wo mein Mann in Sicherheit ist, kann er mehr dafür tun, dass sich etwas in unserem Land ändert. Sehr viel hängt von der Position des Westens ab. Wenn wir die Möglichkeit haben, hier zu agieren, müssen wir sie nutzen. Ich kann mich nicht ganz frei äußern. Die Menschen, die nach dem 19. Dezember 2010 Belarus verlassen haben, sind inzwischen zu einer politischen Kraft geworden. Ich glaube, dass gemeinsames Handeln innerhalb und außerhalb des Landes den Wandel in Belarus beschleunigen wird.

Vor kurzem sind auch die Oppositionellen Alexander Otroschtschenkow und Dmitri Bondarenko, die Mitglieder des Sannikow-Teams, ins Ausland gegangen.

Die belarussische Regierung konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass diese Menschen nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis wieder politisch aktiv wurden. Der Sicherheitsdienst hat alles getan, damit sie das Land verlassen. Wenn zum Beispiel die Frage gestellt wird: Willst du die Witwe von Sannikow sein oder willst du die Frau von Sannikow sein? Dann bevorzuge ich das Zweite.

Was werden Sie in Ihrer Rede vor dem Deutschen PEN-Zentrum am 11. November sagen?

Meine Hauptbotschaft besteht darin, dass die Freiheit unteilbar ist. Es gibt keine Versammlungsfreiheit ohne die Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit ist ohne die Redefreiheit nicht denkbar. Die Unternehmerfreiheit geht nicht ohne die Meinungsfreiheit. Es gibt entweder die Freiheit als Ganzes - oder es gibt eben keine Freiheit. Doch die Redefreiheit ist meiner Meinung nach vorrangig.

Das Deutsche PEN-Zentrum würdigt Irina Chalip mit dem Hermann-Kesten-Preis für das konsequente Eintreten für die Freiheit des Wortes. Die Korrespondentin der russischen Zeitung "Nowaja Gazeta" in Minsk setzt sich seit vielen Jahren für mehr Demokratie in Belarus (auch Weißrussland) ein. Ihr Mann, Andrej Sannikow, war bei den letzten Präsidentschaftswahlen ein Gegenkandidat zu Alexander Lukaschenko. Der autoritär regierende Staatschef hatte 80 Prozent der Stimmen erhalten und ließ die anschließenden Proteste gegen Wahlfälschung gewaltsam niederschlagen. Sannikow und Chalip wurden an jenem 19. Dezember 2010 festgenommen. Chalip wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, die sie jedoch erst in zwei Jahren antreten muss, wenn ihr Sohn schulpflichtig ist. Sannikow wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Mai 2011 wurde er begnadigt und aus der Haft entlassen. Ende Oktober bekam Sannikow politisches Asyl in Großbritannien.