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Chaos in griechischen Flüchtlingslagern

1. April 2016

Das griechische Parlament debattiert zur Stunde über die Vorgaben zur Umsetzung des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei. In griechischen Lagern sorgen unterdessen schwere Auseinandersetzungen für Aufruhr.

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Protestmarsch von Flüchtlingen und Studenten in Athen (Foto: Picture alliance, dpa)
Protestmarsch von Flüchtlingen und Studenten in AthenBild: picture-alliance/dpa/W.Aswestopoulos

Die griechischen Abgeordneten wollen die gesetzliche Grundlage für die Rückführung von Migranten schaffen. Sie war im Rahmen des Deals zwischen der EU und der Türkei am 20. März beschlossen worden. Demnach sollen alle Flüchtlinge, die nach diesem Stichtag illegal von der Türkei nach Griechenland übergesetzt sind, zwangsweise zurückgebracht werden können. Vorher haben die Migranten jedoch das Recht auf eine Einzelfallprüfung in Griechenland. Nur wer nachweisen kann, dass er in der Türkei verfolgt wird, darf bleiben. Die Rückführung soll am Montag (04.04.2016) beginnen.

Athen und Ankara bereiteten bereits mit Hochdruck die Abschiebung der ersten 500 Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln in die Türkei vor, verlautete am Donnerstag aus Kreisen der EU-Kommission. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bestätigte in einer Fernsehansprache, dass die Umsetzung des Plans wie vorgesehen starten werde.

Im Gegenzug sollen die EU-Länder für jeden zurückgeschickten Syrer einen Syrer aus der Türkei auf legalem Wege aufnehmen - bis zu einer Obergrenze von 72.000. Zudem erhält die Türkei finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge.

Der Deal zwischen der EU und der Türkei soll die Anzahl der neu ankommenden Flüchtlinge drastisch reduzieren. Er ist rechtlich wie moralisch umstritten. Die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" etwa wirft der Türkei vor, in den vergangenen Wochen massenhaft Flüchtlinge aus Syrien zurück in das Bürgerkriegsland abgeschoben zu haben.

Gewaltausbrüche unter Flüchtlingen

Griechenland fordert seit längerem eine massive Entlastung, es fühlt sich bei der Versorgung der mehr als 50.000 Migranten im Land allein gelassen. Immer wieder eskaliert die Situation in den teils provisorischen Unterbringungen. Die Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" hat nach neuen Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen angekündigt, sich aus dem Auffanglager der griechischen Insel Chios zurückzuziehen. In der Nacht waren zwei Männer bei heftigen Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Afghanen durch Messerstiche verletzt worden, wie das Insel-Newsportal "politischios" berichtete. Sie mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Zudem hätten viele weitere Menschen Verletzungen davongetragen. Die Polizei habe Blendgranaten eingesetzt, um die Tumulte aufzulösen.

Die Insassen zerstörten demnach auch das Zelt für medizinische Versorgung samt Inventar im Wert von 30.000 Euro. Das Lager habe am Morgen nach den Krawallen einem Schlachtfeld geglichen. Die Inselbehörde habe in Athen zusätzliche Bereitschaftspolizisten angefordert, weil es inzwischen fast jeden Tag zu Auseinandersetzungen komme. In dem Lager befinden sich derzeit 1500 Menschen. Mehrere hundert von ihnen sind bereits aus dem umzäunten Lager auf Chios ausgebrochen. Wie die Zeitung "Ta Nea" berichtet, durchschnitten sie den Maschendrahtzaun und machten sich auf den Weg Richtung Inselhafen. Ihr Leben sei in dem "Hotspot" nicht mehr sicher, sagten sie.

In der Hafenstadt Piräus auf dem griechischen Festland war es Mittwochnacht zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen afghanischen und syrischen Migranten gekommen. Die gegnerischen Gruppen bewarfen sich mit Steinen, acht Menschen wurden verletzt.

Die griechische Hafenpolizei versucht mit Hilfe von Übersetzern und Hilfsorganisationen, die Menschen zum Abzug aus dem Hafen von Piräus zu bewegen. Noch rund 5300 der Migranten halten sich im Hafen auf. Im Laufe des Tages sollten 700 vornehmlich afghanische Staatsbürger mit Bussen in verschiedene offizielle Auffanglager gebracht werden, berichtete der griechische Fernsehsender Skai. Die meisten von ihnen wollen nicht in die staatlich organisierten Lager. Sie haben Angst, dort "vergessen" zu werden, und wollen eigentlich weiter nach Deutschland.

Heftige Kritik an freiwilligen Helfern

In die Kritik geraten auch immer mehr freiwillige Helfer, Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Bei verschiedenen Vorfällen spielten sie eine fragwürdige Rolle, berichteten griechische Medien. Im Hafen von Piräus beispielsweise hätten NGOs das Kommando übernommen, eigene Regeln aufgestellt und so den Staat ersetzt, schreibt das griechische Newsportal "tribune".

NGO-Mitarbeiter helfen bei der Errichtung von Containern in Piräus (Foto: imago)
NGO-Mitarbeiter helfen bei der Errichtung von Containern in PiräusBild: Imago

Der griechische Verband der Krankenhausmitarbeiter fordert in einer Mitteilung sogar den vollständigen Rückzug der NGOs aus den Flüchtlingslagern. Er kritisiert, dass die Hilfsorganisationen vor Ort in den Lagern gewissermaßen per Gesichtskontrolle entschieden, wer Zugang habe und wer nicht. Umgekehrt gebe es keinerlei Kontrolle der Hilfsorganisationen, der Aktivisten und der unzähligen freiwilligen Helfer.

Mitte März war der Aktionismus von Helfern schon einmal in die Schlagzeilen geraten, als Unbekannte im Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze Flugblätter verteilten, mit denen sie die Flüchtlinge über die Grenze ins Nachbarland lotsen wollten. Mehr als tausend Menschen machten sich auf den Weg über einen reißenden Fluss, etliche verletzten sich, drei Menschen ertranken.

Flüchtlingsstrom leicht abgenommen

Indessen hat der Flüchtlingszustrom über die östliche Ägäis in den vergangenen 24 Stunden leicht abgenommen. Nach Angaben des griechischen Flüchtlings-Krisenstabs setzten von Donnerstag- bis Freitagmorgen 340 Menschen von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln über. Am Vortag waren es knapp 400.

chr/mak (dpa, afp)