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Charlotte Rampling fordert Publikum heraus

Elizabeth Grenier
12. Februar 2019

Ihre Filme sorgten für Kontroversen und provozierten mit expliziten Darstellungen von Sex und Gewalt. Jetzt erhält die britische Schauspielerin Charlotte Rampling den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk.

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Berlinale 2019 Film Der Nachtportier
Bild: Lotar Film/Istituto Luce Cinecittà

In ihrer über fünf Jahrzehnte währenden Karriere hat Charlotte Rampling mehr als 110 Film- und Fernsehrollen gespielt und dabei auf Englisch, Französisch und Italienisch gedreht. Jüngeren Zuschauern ist sie aus der TV-Serie "Dexter" bekannt, Anhänger des europäischen Kinos wissen sie dagegen für ihr eindringliches Spiel zu schätzen, wie zuletzt in "45 Years" oder "Hannah".

Die 73-jährige, vielfach prämierte Schauspielerin wird am 14. Februar bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin mit dem Goldenen Ehrenbär für ihr Lebenswerk geehrt. Rampling, die mit Regisseuren wie Woody Allen ("Stardust Memories", 1980) und Lars von Trier ("Melancholia", 2011) drehte und als Muse von François Ozon galt ("Unter dem Sand", 2000; "Swimming Pool", 2003; "Angel", 2007), wurde stets über ihre sexuelle Aura definiert, insbesondere im Zusammenspiel mit ihren kontroversen Rollen und Filmen.

Befreiung in der Londoner Künstlerszene

Als junge Frau hatte sie in der Londoner Künstlerszene gleichermaßen Zuflucht und Freiheit gefunden, nachdem sie von ihrem Vater, einem Staffellauf-Olympiasieger und Berufsoffizier, mit strenger Disziplin erzogen worden war. Durch Modeljobs für befreundete Fotografen erkannte sie ihre Wirkung auf andere. So beschloss Rampling, es mit der Schauspielerei zu versuchen.

Anfangs trat sie als Statistin in Richard Lesters Beatles-Musical "A Hard Day's Night" (1964) und seinem Film "Der gewisse Kniff" (1965) auf. Ein Jahr später bekam sie die Rolle einer oberflächlichen und hedonistischen Frau in Silvio Narizzanos "Georgy Girl", der die sexuelle Befreiung im freizügigen London der 1960er Jahre behandelte.

Im gleichen Jahr nahm sich Ramplings zwei Jahre ältere Schwester das Leben. Charlottes Vater bestand darauf, dass ihre psychisch instabile Mutter niemals von der Todesursache erfahren durfte. Nach der familiären Tragödie stürzte sich Rampling in die Arbeit.

Charlotte Rampling
Mit "Die Verdammten" kam Charlotte Rampling 1969 im anspruchsvollen Kino anBild: Warner Bros.

Im Historiendrama "Die Verdammten", des italienischen Meisterregisseurs Luchino Visconti, spielte sie 1969 ihre erste anspruchsvollere Rolle. Das Oscar-nominierte Werk zeichnete den Aufstieg der Nazis anhand der Familie von Essenbeck nach, die einen Stahlkonzern im Ruhrgebiet unterhält und von der realen Industriedynastie der Krupps inspiriert war. Der Film provozierte mit Darstellungen und Andeutungen von Inzest, Pädophilie, Homosexualität, Mord, Drogensucht und Selbstmord.

Rampling verkörperte darin eine Mutter mit moralischem Anstand: Auf der Flucht vor der Gestapo wird sie mit ihren Kindern von den Nazis in ein Konzentrationslager geschickt. Rampling fürchtete zunächst, sie sei nicht reif genug, um eine fast zehn Jahre ältere Frau darzustellen. Visconti überzeugte sie schließlich: "Ich kann es hinter deinen Augen sehen, du bist in jedem Alter."

"The Look" wird zum Markenzeichen

Eben diese Augen, mysteriös und katzenblau, wurden zum Markenzeichen der Schauspielerin. Ihr Kollege Dirk Bogarde nannte sie nur "The Look". Nach "Die Verdammten" spielte sie 1974 erneut mit Bogarde. In Liliana Cavanis umstrittenem Erotikdrama "Der Nachtportier" gab Rampling eine Holocaust-Überlebende, die 1957 zufällig auf den ehemaligen Nazi-Offizier (Bogarde) trifft, der sie im Konzentrationslager vergewaltigt und gleichzeitig beschützt hatte. In der Folge nehmen sie ihre sadomasochistische "Liebesbeziehung" wieder auf.

Der Film gilt als eine der ersten Darstellungen des Stockholm-Syndroms: Der 1973 geprägte Begriff beschreibt die physiologische Abhängigkeit, die eine Geisel zu ihrem Entführer entwickelt. Vielen galt der Film jedoch als Skandal, weil er explizite sexuelle Darstellungen mit einer fiktiven Erzählung über den Nationalsozialismus verband.

Berlinale 2019 Film Der Nachtportier
"Der Nachtportier": Eine Holocaust-Überlebende lässt sich auf ein sadomasochistisches Spiel mit ihrem Peiniger einBild: Lotar Film/Istituto Luce Cinecittà

Cavani behauptete, dass ihre Arbeit von den Zeugnissen einer nichtjüdischen Partisanin inspiriert worden sei, die das Konzentrationslager Dachau überlebt habe. Viele Kritiker bescheinigten dem Film jedoch eine bestenfalls dünne dokumentarische Ebene und zählten historische Ungenauigkeiten auf. "Die Qualen der Gefangenen in den Lagern werden einfach nur um der Sensation willen ausgebeutet", schrieb eine Kritikerin der "New York Times", ein Kollege bezeichnete den Film schlicht als "ein Stück Schrott".

"Der Nachtportier" fand allerdings auch prominente Anhänger, die den vollzogenen Tabubruch begrüßten. Der Film begründete schließlich ein neues Genre: Naziploitation. Solche Filme verbinden sexuelle Ausbeutung mit der Darstellung von Nazis. Seiner Ästhetik verdankt der Film die Aufnahme in die Videoreihe Criterion Collection, die "wichtige klassische und zeitgenössische Filme" umfasst.

Charlotte Rampling winkt und lächelt
She's got the Look: Charlotte Rampling erhält den Goldenen Ehrenbär für ihr LebenswerkBild: picture alliance/AP Photo/ANSA/E. Ferrari

Nicht nur der Film, sondern auch Charlotte Rampling selbst sah sich harter Kritik ausgesetzt - die offenbar nachwirkte. In der Filmbiografie  "The Look" (2011) erinnert sich die Schauspielerin an die Reaktion der New Yorker Kritikerin Pauline Kael, die ihr Vorwürfe machte, weil sie die Rolle überhaupt angenommen hatte.

Als ein Motiv für ihre Entscheidung nannte Rampling einmal, dass sie Dirk Bogardes Urteil vertraut hätte. Zwar habe sie erkannt, welche Gefahren von dem Drehbuch ausgingen, aber: "Es war etwas derart Faszinierendes an dem Thema, dass ich es unmöglich nicht machen konnte."

In ihrer Filmbiografie erzählt Rampling, dass sie sich von diesen Erfahrungen nicht davon abbringen lassen wollte, kontroverse Rollen anzunehmen. "Ich wusste, wenn ich diese Art von Rollen nicht mehr spielen würde, müsste ich dem Kino den Rücken kehren. Das Unterhaltungsgenre hat mich nicht besonders interessiert."