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Chemie-Nobelpreis: Das Unsichtbare sichtbar machen

Brigitte Osterath/ cb10. Dezember 2014

Lange Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass man mit einem Lichtmikroskop Viren und einzelne Moleküle nicht sehen kann. Drei Forscher bewiesen das Gegenteil und bekamen dafür den Nobelpreis.

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Fluoreszenzmikroskopie (Foto: wikipedia).
Die Chemie-Nobelpreisträger machten solche Bilder möglichBild: CC BY-SA-Zsynth

Vergesst alles, was ihr über Lichtmikroskope gelernt habt! So oder so ähnlich könnte die Überschrift für den diesjährigen Chemie-Nobelpreis lauten. Die drei Preisträger, zwei Amerikaner und ein Deutscher, stellten die Konventionen auf den Kopf.

Schon in der Schule lernten Kinder das Hauptprinzip der optischen Mikroskopie: Beim Blick durch die Linse kann man nichts erkennen, das kleiner ist als 200 Nanometer, also zweihundert Millionstel eines Millimeters. Der Umriss einer großen Bakterie oder einer menschlichen Zelle waren zwar zu erkennen, die kleinen Strukturen in den Zellen aber nicht. Auch Viren waren nicht sichtbar, von einzelnen Molekülen ganz zu schweigen.

Das ist heute anders - auch dank der Arbeit von Eric Betzig vom Howard Hughes Medical Institute in Ashburn, USA, Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen und William Moerner von der Stanford University in den USA.

Die drei Forscher bekamen den Chemie-Nobelpreis "für die Entwicklung von hoch-aufgelöster Fluoreszenz-Mikroskopie".

William E. Moerner, Stefan W. Hell, Eric Betzig (vlnr) (Foto: EPA/STANFORD UNIVERSITY).
Die drei Preisträger William E. Moerner, Stefan W. Hell und Eric Betzig (v.l.n.r.)

Große Überraschung - aber nur bei den Preisträgern selbst

"Ich war total überrascht", sagte Stefan Hell nach der Verkündung des Nobelpreises anfang Oktober. Er konnte es erst glauben, als er die Stimme Staffan Normarks erkannte. Das Mitglied des Nobelpreis-Komitees überbrachte Hell die frohe Botschaft am Telefon.

Stefan Hell arbeitet außerdem am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Dort in der Pressestelle hat man den Nobelpreis für Hell seit Jahren erwartet. "Wir hatten nur den Physik-Nobelpreis auf dem Schirm", sagte eine Sprecherin des Forschungszentrums damals zur DW. Mit dem Chemie-Nobelpreis hatte in Heidelberg keiner gerechnet.

Michael Boersch, Professor für Mikroskopie-Methodik am Universitätsklinikum in Jena, arbeitete 2012 als Gastprofessor an der Stanford University mit William E. Moerner zusammen. "Moerner war der erste, der ein einzelnes Molekül in Absorption hat messen können", sagte Boersch der DW. "Insofern ist das nicht sehr überraschend, dass er irgendwann einen Nobelpreis kriegt. Er war der Kandidat für einen Chemie-Nobelpreis."

Die Fluoreszenz macht's

"Ein seit 150 Jahren geltendes, fundamentales Gesetz wurde ausgehebelt", sagte Volker Westphal, Kollege von Stefan Hell am Max-Planck-Institut, im DW-Gespräch.

Stefan Hell sagt, er habe an die 200-Nanometer-Grenze der optischen Mikroskopie nicht geglaubt. "Ich konnte keinen chemischen Grund erkennen, warum man nicht auch kleinere Sachen sehen konnte", so Hell. "Ich habe gemerkt, dass es einen Weg geben muss, indem man mit den Molekülen spielt, sie an- und abschaltet."

Der Forscher verband die Zellen, die er sich anschauen wollte, mit fluoreszierenden Farbstoffen. Diese Farbstoffe kann man eben sozusagen an- und abschalten: Sie werden durch Licht und andere Strahlung in höhere Energiezustände versetzt. Wenn die Substanz in ihren Normalzustand zurückkehrt, strahlt sie Licht aus - der Farbstoff leuchtet.

Fluoreszenzmikroskopie
Eine Zelle unter dem Fluoreszenzmikroskop

Winzig, aber sichtbar

Hell entwickelte eine spezielle Mikroskopie-Methode, die mit zwei Laserstrahlen arbeitet. Einer regt die Farbstoffmoleküle an, sodass sie leuchten. Der zweite Laserstrahl schaltet das Leuchten wieder ab - aber nicht in Bereichen von nur wenigen Nanometern. Auf diese Weise erhielt Hell Bilder mit einer Auflösung, die viel besser war als alles, was mit einem normalen Mikroskop möglich gewesen wäre.

William Moerner und Eric Betzig arbeiteten separat an einer zweiten Methode: Einzelmolekül-Mikroskopie. Auch hier spielen Fluoreszenz und die Möglichkeit, individuelle Moleküle an- und auszuschalten die entscheidende Rolle. Die zwei Nobelpreisträger haben es möglich gemacht, einzelne Moleküle unter einem Mikroskop zu sehen.

"Moerner war mit der Erste, der einzelne Farbstoffmoleküle, die etwa einen Nanometer groß sind, detektieren konnte, und zwar wirklich Anfang der 90er Jahre", sagte Michael Boersch, Moerners ehemaliger Kollege.

Fluoreszenz-Mikroskop Foto: Jan-Peter Kasper dpa/lth
Forscher weltweit schauen mit Fluoreszenzmikroskopen in das Innere von Zellen.Bild: picture-alliance/dpa/Jan-Peter Kasper

Lebende Dinge unter dem Mikroskop

Es gibt eine Sache, die die Entdeckung der drei Preisträger besonders interessant für andere Forschungsbereiche macht, sagt Sven Lidin vom Nobelpreis-Komitee. Zwar ist mit einem Elektronenmikroskop bereits möglich, sehr kleine Organismen - wie Zellstrukturen, Viren und einzelne Moleküle - zu sehen, aber diese Methode funktioniert nur, wenn das Untersuchungsmaterial, zum Beispiel das Gewebe, tot ist.

"Jetzt können wir E.coli-Bakterien untersuchen, ohne sie zu töten, ohne sie zu fixieren", sagt Lidin. "Wir können sie in Echtzeit untersuchen."

Auch Ottmar Wiestler, Vorsitzender und wissenschaftliches Mitglied des Stiftungsvorstands des Deutschen Krebsforschungszentrums, sagt, das sei der entscheidende Vorteil der Methode. "Wir können lebende Krebszellen untersuchen und schauen, wie sie auf verschiedene Krebsmedikamente reagieren", sagte er der DW. Zu beobachten, wie Krebszellen ihre Struktur verändern, wenn sie mit verschiedenen Substanzen in Kontakt kommen, kann bei der Entwicklung neuer Medikamente helfen, sagte Wiestler. "Wir können auch Synapsen von lebenden Neuronen untersuchen und die Interaktion von Viren und Zellen beobachten."

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung dieser Entdeckung ist die Aids-Forschung: Wissenschaftler nutzen die Technik, um das HI-Virus und seine Oberfläche genauer zu untersuchen. Die breite Einsetzbarkeit und der große Nutzen, der die neue Untersuchungsmethode bringt, macht sie so nobelpreiswürdig.