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Politik

Chia Rabiei - der Held von Würzburg

Mitra Shodjaie | Eskandar Abadi
30. Juni 2021

Chia Rabiei hat sich dem Messerstecher von Würzburg zunächst allein entgegengestellt. "Ich habe es für meine wehrlosen Würzburger Mitbürger getan", sagt der Kurde mit iranischer Staatsbürgerschaft.

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Nach Messerattacke in Würzburg Augenzeuge Chia Rabiei
Bild: Carolin Gißibl/dpa/picture alliance

Es ist der 25. Juni, Chia Rabiei geht über den Barbarossaplatz in der Würzburger Innenstadt, als er plötzlich Schreckliches sieht: Ein Mann sticht mit einem Messer auf einen Menschen ein, aus einigem Abstand schauen andere mit Entsetzen zu, wiederum andere laufen fort, so schnell sie können.

Rabiei sagt, er habe gar nicht gewusst, was los sei - und doch rennt er auf den Messerstecher zu und versucht ihn zu stoppen, indem er mit seinem Rucksack auf ihn einschlägt. Der Angreifer wendet sich nun ihm zu, Chia rutscht auf dem regennassen Boden aus und stürzt.

Er selbst schildert den Augenblick so: "Ich lag auf dem Boden und habe mich mit Händen und Füßen gewehrt. Die Wachleute aus einem Kaufhaus in der Nähe haben die Szene gesehen. Dann bin ich wieder auf die Beine gekommen und da ist der Angreifer geflohen. Ich bin ihm dann hinterhergelaufen."

Leider, sagt er, gebe es keine Filmaufnahmen von seinem Kampf. Er habe gehört, manche Menschen würden behaupten, er habe gar nichts Besonderes geleistet. Das habe er auch nicht, sagt er selbst, aber immerhin habe er mehrere Minuten lang mit einem Mann gekämpft, der mit einem Messer bewaffnet war und zuvor bereits drei Menschen getötet hatte.

Nach Messerattacke in Würzburg Augenzeuge Chia Rabiei
Haben beide versucht, den Attentäter zu stoppen: Chia Rabiei (li) und Dietrich Winter Bild: Carolin Gißibl/dpa/picture alliance

Ein paar Straßen vom Schauplatz des Anschlags entfernt wird dieser Mann schließlich von der Polizei gestellt, mit einem Schuss ins Bein kampfunfähig gemacht und verhaftet. Rabiei berichtet, der Angreifer habe das Messer die ganze Zeit über in der Hand gehalten und es erst nach dem Beinschuss fallen lassen.

"Ich erwarte keine Belohnung"

Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, hat den Schauplatz des Attentats in Würzburg am vergangenen Sonntag besichtigt und dabei auch Chia Rabiei getroffen. Er bedankte sich bei ihm dafür, "dass Sie den Mut haben, sich zu engagieren, ohne dass Sie scheinbar verpflichtet sind".

Am Montag sagte Söder dann der Zeitung "Main-Post", er gedenke, den Menschen, die versucht haben, den Angreifer zu stoppen, die Tapferkeitsmedaille des Freistaats Bayern zu verleihen. Sie hätten "ein Höchstmaß an Zivilcourage gezeigt", so der Ministerpräsident. Die bayrische Tapferkeitsmedaille ist eine Auszeichnung für Personen, die ihr eigenes Leben riskieren, um das anderer Menschen zu retten.

Chia Rabiei sagt dazu: "Ich danke Herrn Söder, aber ich habe das nicht getan, um eine Medaille, ein Lob oder einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Ich habe das aus meinem Gefühl der Menschlichkeit heraus getan und erwarte keinerlei Belohnung dafür."

Seit seinem beherzten Einschreiten leidet Rabiei unter Schlaflosigkeit und Albträumen. Er hofft, dass ihn diese Probleme nicht daran hindern, gut Deutsch zu lernen.

Von Mahabad nach Würzburg

Chia Rabiei wurde 1979 in der Stadt Mahabad im West-Iran geboren. Nach Abitur und Wehrdienst heiratete er mit 21 Jahren und arbeitete fortan im Supermarkt seiner Familie in seiner Heimatstadt. Für ein Jahr ging er nach Erbil im Irak, wo er in einer Eisdiele arbeitete. Zuletzt lebte er wieder im Iran und war Taxifahrer in Festanstellung.

Vor anderthalb Jahren kam er dann mit seiner Frau, ihrer gemeinsamen Tochter und seiner Schwiegermutter nach Deutschland und stellte Antrag auf Asyl. Die Tochter, 17 Jahre alt, lebt heute mit ihrer Mutter und Großmutter in einer anderen Stadt in Deutschland. Rabiei und seine Frau haben sich in Deutschland getrennt.

Die ersten drei Monate als Asylsuchender in Deutschland verbringt er in Bamberg. Weil er Untätigkeit nicht gewohnt ist, sagt er, habe er in dieser Zeit in der Küche der Gemeinschaftsunterkunft mitgearbeitet.

Würzburg Chia Rabiei Amoklauf in Würzburg
Chia Rabiei während seiner Zeit im IranBild: Privat

Nach seiner Verlegung nach Würzburg übernimmt er eine Zeit lang die Pflege der Grünanlagen der Unterkunft. "Ich habe immer mein eigenes Geld verdient", sagt Rabiei. Eine Weile habe er abends am Mainufer Leergut eingesammelt und dieses am Pfandautomaten im Supermarkt eingelöst.

"Nur meine Schuldigkeit getan"

In Würzburg hat es bereits vor fünf Jahren einen ähnlichen Vorfall wie die jüngste Messerstecherei gegeben: Damals stach ein junger afghanischer Asylsuchender mit einem Messer auf Passagiere in einem Zug ein und verletzte mehrere Menschen.

Auf die Frage, ob sich diese Attentate, beide verübt von Asylsuchenden, auf die Einstellung der Würzburgerinnen und Würzburger gegenüber Ausländern ausgewirkt haben, antwortet Rabiei: "In den anderthalb Jahren, die ich jetzt hier lebe, habe ich nie etwas Negatives erlebt. Die Menschen sind freundlich zu mir und ich bin freundlich zu ihnen."

Rückblickend sagt Rabiei, er habe nur seine Schuldigkeit gegenüber dem Land getan, das ihm Zuflucht gewährt hat. In dem Moment des Angriffs habe er darüber aber gar nicht nachgedacht. Antrieb sei ihm einzig und allein sein Sinn für Menschlichkeit gewesen.

"Es freut mich, dass ich mich zumindest ein wenig für die Großzügigkeit des deutschen Staates revanchieren konnte", so Rabiei. "Man hat mir hier eine Bleibe, Geld und etwas zu essen gegeben. Dagegen ist das, was ich getan habe, nichts."

Aufgrund seines mutigen Eingreifens kommt es nun vor, dass Menschen ihn auf der Straße erkennen, Selfies mit ihm machen möchten oder ihm danken. Das sei ein sehr gutes Gefühl, so Rabiei, nur um dann wieder und wieder zu betonen, dass er nicht des Ruhmes wegen eingeschritten sei: "Was ich getan habe, war das Mindeste, was ich für die wehrlosen Menschen in meiner Stadt, für meine Mitbürger, tun konnte."

Er sagt, ihm sei jetzt nur daran gelegen, schnell Deutsch zu lernen, um möglichst bald ein engagierter Bürger seiner neuen Heimatstadt zu werden.

Johanna Rüdiger (DW Kultur) traf den Würzburg-Attentäter 2018 persönlich