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Der Fall Allende: Eine Autopsie soll die Wahrheit ans Licht bringen

23. Mai 2011

Um den Tod von Chiles Ex-Präsidenten Allende im Jahr 1973 ranken sich bis heute Gerüchte und Mythen. War es wirklich Selbstmord oder vielleicht doch Mord? Viele Chilenen hoffen auf eine klare Antwort.

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Die Leiche von Salvador Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragen (Foto: AP)
Die Leiche von Salvador Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragenBild: AP

Wenn an diesem Montag (23.05.2011) die Überreste von Ex-Präsident Salvador Allende exhumiert werden, öffnet sich ein neues und kontroverses Kapitel in der jüngsten Geschichte Chiles. Die Familie Allende beteuert, dass sie der Suizid-Version Glauben schenkt. Dennoch hält sich die Version hartnäckig, dass Allende vom Militär umgebracht wurde. Die Tochter des Ex-Präsidentin, Senatorin María Isabel Allende Bussi, hofft, die Obduktion werde alle Zweifel und Spekulationen über die Todesursache beenden und zu einer historischen und juristischen Wahrheit führen.

Was damals geschah...

Salvador Allende (Foto: AP)
Salvador AllendeBild: AP

Als am 11. September 1973 der chilenische Präsidentenpalast La Moneda von den putschenden Militärs bombardiert und belagert wurde, beschloss der sozialistische Präsident Salvador Allende, bis zur letzten Minute dort zu verharren. Er flüchtete schließlich in einen Saal, in dem er kurz nach seinem Tod von einem seiner Vertrauten, dem Arzt Patricio Guijón, gefunden wurde. Laut Guijón soll sich Allende mit einem einst von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro geschenkten Gewehr in den Mund geschossen haben.

Die Leiche Allendes wurde daraufhin zum Militärkrankenhaus gefahren, wo eine erste Autopsie die Zeugenaussage bestätigte. Noch mitten in der Nacht wurde er in einem Friedhof in der Hafenstadt Viña del Mar beigesetzt, 130 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt. Einige Verwandte wohnten der Beisetzung bei, sie durften den Toten aber nicht sehen.

Schon einmal wurde der Leichnam Allendes exhumiert: 1990 wurde er in das Mausoleum der Familie auf dem Hauptfriedhof von Santiago überführt, um ihm die Ehre eines Staatsbegräbnisses zu erweisen. Zu der neuerlichen Untersuchung kommt es auf Initiative der Familie Allende. Im April hatte ein Richter eine entsprechende Petition der Familie angenommen und die Exhumierung angeordnet.

Zweifel an der offiziellen Version

Dr. Marcel Verhoff, Gerichtsmediziner an der Universität Gießen (Foto: DW/Verhoff)
Dr. Marcel Verhoff, Gerichtsmediziner an der Universität GießenBild: privat

Die öffentliche Meinung teilt sich in zwei Lager: Die einen argumentieren, die Suizidthese habe den Interessen der damaligen Militärregierung genützt. Die anderen gehen davon aus, dass die Version einer Ermordung Allendes eher den Diktaturgegnern entgegenkam. Ihnen lieferte ein vermeintliches Verbrechen Argumente im Kampf gegen die Diktatur General Pinochets.

Im Zentrum steht nun die Frage, ob heute, 37 Jahre nach Allendes Tod, die Experten überhaupt verlässliche Ergebnisse liefern können. Dr. Marcel Verhoff ist Gerichtsmediziner an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Für ihn ist entscheidend, in welchem Zustand die Leiche ist. Er geht davon aus, dass der Leichnam Allendes nicht vollständig erhalten war, als er 1990 in die Familiengruft überführt wurde. "Wenn der Schädel noch vollständig erhalten ist, müssten entsprechende Verletzungen auch nach 37 Jahren zwingend nachvollziehbar sein. Andererseits müssten Verletzungen, die gegen einen Mundschuss sprechen, ebenfalls am Schädel oder am übrigen Skelett ablesbar sein." Verhoff geht davon aus, dass die mikroskopischen Studien nach wenigen Tagen verfügbar sein könnten. Notwendig seien aber noch weitere Untersuchungen wie Computertomographien.

Vergangenheitsbewältigung als Basis für die Zukunft

Prof. Dr. Stefan Rinke vom Lateinamerika-Institut an der FU Berlin (Foto: DW/Rinke)
Prof. Dr. Stefan Rinke vom Lateinamerika-Institut der FU BerlinBild: privat

Für Professor Stefan Rinke vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin ist die Suche nach der Wahrheit ein unentbehrlicher Prozess: "Als Deutscher, der einem Volk angehört, welches selbst schwere Zeiten durchgemacht hat, bin ich überzeugt: Die Klärung der Vergangenheit ist absolut notwendig, um in die Zukunft schauen zu können. Dies kann nicht geschehen, wenn die Menschen nicht wissen, was geschehen ist, wenn es kein gerechtes Urteil gibt." Möglicherweise werde es zwar keine juristische Wahrheit geben, zumindest aber eine historische Wahrheit. Für den inneren Frieden eines Landes, zumal wenn es um einen so kontroversen Fall wie den Tod Allendes gehe, sei dies absolut notwendig.

Der Tod Allendes markiert den Beginn einer Diktatur in Chile, die bis 1990 andauerte. "Der Zeitraum von 20 Jahren seit der Rückkehr der Demokratie ist noch zu kurz. Es wird noch eine weitere Generation brauchen, bis die Menschen die Geschehnisse geschichtlich einordnen können", sagt Rinke. Die Exhumierung, die an diesem Montag auf dem Hauptfriedhof von Santiago de Chile eingeleitet wird, ist ein wichtiger Schritt.

Autorin: Victoria Dannemann/David Moreno Rivilla

Redaktion: Birgit Görtz