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China übt den Drahtseilakt

Thomas Kohlmann
4. März 2019

Die chinesische Staats- und Parteiführung muss derzeit einen Drahtseilakt absolvieren, um die lahmende Wirtschaft auf Wachstumskurs zu halten. Ein Absturz hätte für die Machthaber in Peking gravierende Folgen.

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China Drahtseilakt in Taiyuan
Bild: picture-alliance/dpa/H. Yuanjia

Xi Jinping hat viel zu tun: Der chinesische Staats- und Parteichef muss den schwelenden Handelsstreit mit den USA beenden, das Land zu einem modernen Industriestaat umbauen und die Unwuchten im chinesischen Wirtschaftssystem unter Kontrolle halten. Denn nach wie vor ist Chinas Wirtschaft extrem abhängig von Investitionen. Und wo viel investiert wird, da entstehen Schulden - immense Schulden, wenn es um das Reich der Mitte mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern geht.

In den vergangenen zehn Jahren kletterte die Verschuldung Chinas von 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf aktuell mehr als 250 Prozent. Der Löwenanteil geht dabei auf das Konto von Chinas hoch verschuldeten Unternehmen.

Kein Wunder, denn noch immer liegt der Anteil der Investitionen am BIP mit rund 45 Prozent fast doppelt so hoch wie in entwickelten Industriestaaten. Dagegen trägt der Konsum mit einem Anteil von rund einem Drittel des chinesischen BIP nur etwa halb soviel zur Wirtschaftsleistung bei wie in modernen Industrienationen. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen in China Konsummuffel sind, erklärt der China-Experte Arthur Kroeber. Es zeige vor allem, wie extrem die chinesische Volkswirtschaft noch immer von Investitionen angetrieben wird, sagt der Gründer und Leiter des Thinktanks Gavekal Dragonomics in Hong Kong. Kroeber bringt das Dilemma, in dem China steckt, auf den Punkt: "China tritt nun in eine Phase ein, in der Wirtschaftswachstum vor allem dadurch entsteht, dass zusätzliche Produktivität aus den bereits existierenden Wirtschaftsgütern herausgepresst werden muss. Das ist immer eine harte Umstellung und wir können davon ausgehen, dass es für China ein steiniger Weg wird."

China Geisterstadt Rushan city 01/2014
Die Zukunft leerstehender Immobilien, wie hier in der Küstenprovinz Shandong, ist eines von Chinas ungelösten Problemen Bild: picture-alliance/Imaginechina

Immobilienblase vor dem Platzen?

Ebenfalls durch Schulden finanziert ist der chinesische Bauboom, der zu einer massiven Spekulationsblase geführt hat. Nach Berechnungen von Li Gan, Professor für Volkswirtschaft an der Universität für Finanzwesen und Wirtschaft in Chengdu, leidet kein anderes Land auf der Welt unter einem so hohen Anteil an unvermieteten Wohnungen wie China: 65 Millionen Privatimmobilien stehen leer, das ist mehr als ein Fünftel des urbanen Wohnbestands des Landes. Das bedeutet, dass ihre Besitzer mit ihnen keine Mieteinnahmen erzielen, trotzdem aber laufende Kosten für Erhalt und Finanzierung aufbringen müssen. "Falls es auf dem Immobilienmarkt knallt, wird die Menge an Wohnungen, die dann abgestoßen wird, China wie eine Flutwelle treffen", warnte Li Gan gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Vor rund eineinhalb Jahren ermahnte Staatschef Xi Jinping seine Landsleute, dass "Häuser dazu gebaut werden, um darin zu wohnen und nicht um mit ihnen zu spekulieren." Doch trotz aller Warnungen und Einschränkungen beim Immobilienkauf ist der Trend zum Erwerb einer Zweit- oder Drittimmobilie in den Metropolen des Landes ungebrochen. Das ergeben die aktuellen Zahlen der unter Li Gan in 363 Bezirken Chinas durchgeführten Untersuchung "China Household Finance Survey".

Kampf gegen abflauende Konjunktur

Für seine Kritiker steht Xi Jinping mittlerweile für niedriges Wachstum, eine hohe Verschuldung und die zunehmende Kontrolle der Wirtschaft durch Staat und Partei. Mit der unter ihm entwickelten Wirtschafts- und Technologiestrategie "Made in China 2015" ist das Unbehagen gegenüber dem Reich der Mitte weltweit stark angestiegen - vor allem, wenn es um die Art und Weise geht, wie sich China Zugang zu ausländischer Hochtechnologie verschafft oder seine eigenen Unternehmen auf dem Heimatmarkt gegen ausländische Konkurrenz schützt. Dieses Unbehagen ist auch einer der tiefliegenden Gründe für den Handelskonflikt mit den USA. Und mittlerweile scheint in Peking die Botschaft angekommen zu sein, dass auch nach der Amtszeit von Donald Trump die USA entschlossen sind, China wirtschaftspolitisch engere Grenzen zu setzen. 

Xi Jinping und Donald Trump
Protagonisten im Handelsstreit: US-Präsident Donald Trump und Chinas Staats- und Parteichef Xi JinpingBild: Getty Images/AFP/N. Asfouri

Nervosität an der Staats- und Parteispitze

Chinas Führung ist so nervös wie lange nicht mehr. Im Vorfeld der Jahrestagung des Volkskongresses hat Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einer "komplizierten und düsteren" internationalen Lage gewarnt und mahnte, dass wegen des "turbulenten, komplexen und heiklen Umfelds" für Chinas Wirtschaft höchste Wachsamkeit geboten sei. Die Mischung aus Handelskonflikt und einem langsameren Wirtschaftswachstum lässt offenbar schon seit Monaten die Alarmglocken in Pekings Machtzentralen klingeln. Denn wenn es auf dem Immobilienmarkt knallt oder die hohe Verschuldung der Staatsunternehmen zu immer mehr Kreditausfällen führt, wird es äußerst unangenehm für die Partei, die Chinas Bürger mit dem Versprechen auf mehr Einkommen und Wohlstand bislang erfolgreich bei der Stange hält.

Die chinesische Führung braucht ein Mindestmaß an Wachstum, um den sozialen Frieden im Land aufrechtzuerhalten. Wenn es nach der Einschätzung von China-Experten geht, muss die Wirtschaft im Reich der Mitte um mindestens sechs Prozent wachsen, damit es ruhig bleibt im Land.

Angst vor der "roten Linie"

"Über die nächsten zwei Jahre benötigt die Regierung ein Wachstum von um die 6,3 Prozent, um ihr Ziel zu erreichen, das BIP und die Einkommen der Chinesen zwischen 2010 und 2020 zu verdoppeln", unterstreicht Max Zenglein vom China Thinktank Merics in Berlin. "Daraus ergibt sich eine rote Linie, unter die das Wachstum nicht fallen kann. Das wird auch nötig sein, um Arbeitsplätze für eine Rekordzahl von Universitätsabsolventen zu schaffen. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit ist eine große Sorge der Regierung."

2018 hatte sich der chinesische Arbeitsmarkt stabil präsentiert und staatliche Vorgaben sogar deutlich übertroffen. Mittlerweile häufen sich allerdings die Berichte darüber, dass dem Boom auf dem chinesischen Arbeitsmarkt die Puste ausgeht. Dazu kommt, dass die Regierung in diesem Jahr von 15 Millionen Menschen ausgeht, die in Chinas Großstädten nach einem Job suchen. Außerdem drängt die Rekordzahl von 8,3 Millionen Hochschulabsolventen 2019 auf den Arbeitsmarkt, so rechnen die Wirtschaftsexperten von Merics vor.

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Mehr Einfluss der Partei

Seit Parteichef Xi Jinping vor sechs Jahren auch das Ruder an der Spitze des Staates übernommen hat, dehnt er konsequent den Einfluss der Partei auf die Privatwirtschaft aus. Um technologisch unabhängiger vom Ausland zu werden oder um Wachstumsziele zu erreichen, überlasse die Regierung nichts dem Zufall, bestätigt Zenglein. "Privatunternehmen kommen in strategischen Bereichen, etwa der Künstlichen Intelligenz oder dem IT-Sektor, eine wichtige Rolle zu. Das führt dazu, dass die Partei auch dort ihre Kontrolle ausweitet, um zu gewährleisten, dass nationale Ziele erreicht werden. Der Staatskapitalismus dominiert weiterhin die chinesische Wirtschaftspolitik", betont der Merics-Experte im Interview mit der DW.

Das geht offenbar so weit, dass Privatunternehmen zur Beteiligung an staatlichen Konzernen gedrängt werden. Beim Telekomriesen China Unicom etwa stiegen im Sommer 2017 die Internetunternehmen Alibaba, Baidu und Tencent als Investoren ein und verpassten dem Staatskonzern eine Kapitalspritze von knapp zwölf Milliarden US-Dollar.

China Li Shufu nach der Eröffnungssitzung des Volkskongresses in Peking
Parteimitglied und Milliardär: Karrieren wie die von Geely-Chef Li Shufu sind in China nicht ungewöhnlichBild: Getty Images/AFP/Goh Chai Hin

Kampf der Systeme geht weiter

Auch wenn der aktuelle Handelskonfllikt mit den USA beigelegt werden kann, indem China mehr Sojabohnen oder andere US-Agrargüter importiert - der grundlegende Konflikt mit dem chinesischen Staatskapitalismus ist damit nicht aus der Welt geschafft. Und die US-Regierung scheint fest entschlossen zu sein, die Versprechen und Verpflichtungen Pekings beim Schutz geistigen Eigentums oder dem fairen Umgang mit ausländischen Unternehmen in China zu überprüfen. Falls der von den USA vorgesehene Kontroll-Mechanismus Alarm schlägt, könnten die USA jederzeit erneut Strafzölle gegen China verhängen.