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Wenn uns ein Mond nicht mehr genügt

23. Oktober 2018

China möchte einen künstlichen Mond im All installieren. Warum? Um Stromkosten zu sparen. Was absurd klingt, ist schon längst in der Planung und sorgt für so einige Fragen.

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Ein rötlich gefärbter Vollmond neben einem Kran
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Warum auch nicht. In Zeiten von Fake News kann man nebenbei auch gleich noch einen Fake Moon verkünden. Passt doch ganz wunderbar! Es gibt nur ein nicht ganz unwichtiges Detail: China meint's wohl ernst.

Das Land will einen Satelliten in die Erdumlaufbahn schicken, der mithilfe von Reflektoren einen künstlichen Mond simuliert. Sinn und Zweck des Ganzen: Der Satellit soll die Straßenbeleuchtung in der südwestchinesischen Millionenmetropole Chengdu ersetzen. Umgerechnet rund 150 Millionen Euro an Stromkosten möchte China jährlich damit einsparen.

Science-Fiction? 

Man könnte das als Größenwahnsinn abtun, aber Wu Chunfeng, Leiter der Wissenschaftsgesellschaft Tian Fu New Area Science Society und Vorsitzender des eng mit dem chinesischen Weltraumprogramm verbundenen Unternehmens CASC, hat in der Zeitung China Daily ein paar Details verraten. Die Pläne scheinen demnach recht konkret: So soll schon 2020 ein erster Test-Satellit ins All geschossen werden. Der soll sicherheitshalber erst mal über einer Wüste scheinen, um Funktion und Auswirkungen untersuchen zu können. Geht alles gut, sollen 2022 drei weitere Satelliten folgen. 

Fragt man den Physiker Scott Manley, wird der Plan – jedenfalls so wie in China Daily dargestellt – nicht funktionieren. Warum nicht? Ganz einfach: "Die Entfernung stimmt nicht." Nach Chunfeng soll der Satellit seine Runden in 500 Kilometern Höhe drehen, also nur unwesentlich höher als die Internationale Raumstation. "Das ist schon in Ordnung," sagt Manley, "aber der Reflektor soll Licht über eine längere Zeit spenden. In dieser niedrigen Erdumlaufbahn wird der Beleuchtungssatellit aber nur wenige Minuten zu sehen sein", so Manley. Der künstliche Mondschein würde also blitzschnell weiterziehen.

Es werde Licht, oder auch nicht 

Ganz neu ist die Idee nicht, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf Nachfrage schreibt. "Pläne, eine künstliche Beleuchtung für Areale auf der Erde im Weltraum aufzubauen, gibt es seit den 1960er Jahren in aller Regelmäßigkeit", so Pressesprecher Andreas Schütz. Zuletzt experimentierte Russland in den 1990er Jahren mit faltbaren Spiegeln im All, die Sonnenlicht auf die Erde werfen sollten. Das Projekt war unter dem Namen "Space Mirror" bekannt, verlief allerdings nicht wie erhofft.

Während der erste Satellit Znamja 2 ("Banner 2") aufgrund von technischen Problemen nicht die erhoffte Helligkeit brachte, passierte beim zweiten Versuch im Februar 1999 mit Znamja 2,5 noch weniger: Das Solarsegel entfaltete sich erst gar nicht. Der dritte Test, Znamja 3, wurde daraufhin mitsamt dem Programm eingestellt. 

"Die Russen hatten bei ihrem Projekt den Winkel ihrer Beleuchtung noch gar nicht beachtet", sagt Manley. Auch ihr Reflektor hätte sich also mit sieben Kilometern in der Sekunde wegbewegt.

Um einen stabilen künstlichen Mondschein zu schaffen, müsste man den Satelliten also in die geostationäre Umlaufbahn schicken. Die liegt in knapp 36.000 Kilometern Höhe. Allerdings müsste dann auch die Größe des Spiegels entsprechend angepasst werden, sagt Manley. Er würde dann einige 100 Meter messen. "Dass sich solch ein großer Reflektor in der Schwerelosigkeit dann noch richtig entfaltet, ist ziemlich kompliziert."  

Trial and error

Nichtsdestotrotz ist die Vision eines Fake Moons nicht völlig abgehoben. Anwendungsgebiete gäbe es für solche angewandte Solartechnik durchaus. In Norwegen gibt es zum Beispiel schon eine Art abgespeckte Version. In Rjukan bringen riesige Spiegel Sonnenlicht in die von Bergen umschlossene 3500-Seelen-Gemeinde. 

Lesen Sie hier mehr: Spiegel bringen Sonne

Spiegelinstallation, die in Norwegen die Sonne refklektiert
Im norwegischen Rjukan hat das Schattendasein seit 2013 ein Ende: Riesige Spiegel bringen Sonnenlicht in das von Bergen umschlossene DorfBild: MEEK, TORE/AFP/Getty Images

Genauso wie die Beleuchtung von Pol-nahen Gebieten, die im Winter keine Sonneneinstrahlung erhalten, ist auch die nächtliche Beleuchtung von Großstädten ein mögliches Szenario, so wie China es derzeit plant. Ob die Spiegel dabei auf einem Hügel stehen, oder in die Umlaufbahn geschossen werden, ist allerdings ein nicht ganz unerheblicher Unterschied. China hat nach eigenen Aussagen die Forschung mithilfe "namhafter Institute und Universitäten" abgeschlossen – und lässt es auf einen neuen Versuch ankommen.

Die großen Unbekannten 

Doch an der Kritik derartiger Projekte hat sich bis heute nichts geändert. Wie auch schon bei den Tests der russischen Kollegen bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet. Etwa lassen sich die konkreten Auswirkungen eines zusätzlichen Mondes kaum absehen.

Populationsökologe Reinhard Klenke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sieht ähnlich wie zahlreiche DW-User noch einigen Klärungsbedarf, etwa beim Thema Lichtverschmutzung.

"Um Energie zu sparen, ist das durchaus eine clevere Idee", findet Klenke, "aber auf der anderen Seite sind die Auswirkungen natürlich sehr breit, da die Beleuchtungsbedingungen über einen sehr großen Raum verändert werden." Lichtverschmutzung lautet das Stichwort. 

Schon jetzt leben Studien zufolge über 80 Prozent der Weltbevölkerung unter einem mehr oder weniger lichtverschmutzen Himmel. Konkret heißt das, dass die zunehmende Beleuchtung von Straßen, Plätzen, Häusern oder Denkmälern den Blick auf den Sternenhimmel trübt.

Aber das ist nicht nur ein Problem für Sternenliebhaber, sondern auch für die Tier- und Pflanzenwelt. Neben den nachtaktiven Tieren, die sich problemlos im Dunkeln orientieren, hat die Lichtverschmutzung auch negative Folgen für Pflanzen, die den Wechsel von Tag und Nacht für die Photosynthese benötigten. 

Mehr dazu: Der Blick in die sternenlose Nacht

Veränderter Biorhythmus

Ein zusätzlicher Mond "wird die Bedingungen grundsätzlich ändern", sagt Klenke. Insbesondere, wenn dieser Mond über einen großen Bereich eine undifferenzierte Aufhellung schafft, also die Unterschiede von Tag, Nacht und Dämmerung verschwimmen.

Diese Auswirkungen werden dann ähnlich sein, wie bei allem anderen künstlichen Licht, und den Biorhythmus beeinflussen. "Über lange Zeiträume kann das evolutive Veränderungen haben. Tiere passen sich an. Das muss nicht unbedingt schädlich sein, das kann einfach anders sein", sagt Klenke nüchtern. 

Die Veränderungen wären jedoch weitreichend: Tiere könnten ihr Verhalten langfristig ändern, ihre Konkurrenzbeziehungen kämen durcheinander und sie würden ihre Nahrungssuche anpassen.

Ein Beispiel: Tiere, die in der Dämmerung normalerweise nicht mehr sehen können, könnten mit dem künstlichen Mond über einen längeren Zeitraum aktiv sein, um Beute zu machen. Und Beutetiere, die im Schutze der Nacht Deckung suchen, finden diese nicht mehr. "Einzelne Individuen werden dadurch Vorteile haben, andere nicht", prognostiziert der Biologe. 

Insekten können aufatmen! 

Apropos Vorteile: Es gibt aber auch eine Gruppe, die sich über die Mond-Leuchte freuen dürfte: Nachtaktive Insekten wie Nachtfalter zum Beispiel. Diese fliegen – zugegeben versehentlich – Richtung künstliches Licht, da sie sich bei ihren Nachtflügen am Licht des Mondes ausrichten, können sie dieses allerdings nicht von Straßenlaternen oder anderen unserer Lichtquellen unterscheiden. Ob sie die davon ausgehende Gefahr jemals in ihr Verhaltensrepertoire aufnehmen werden, ist fraglich.

Insekten unter einer Straßenlaterne
Mond oder Lampe? Leider haben Insekten meist nicht die Gabe, das voneinander zu unterscheidenBild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

"Das ist übrigens eine der schlimmsten Auswirkungen von solch punktuellen Beleuchtungen", sagt Klenke. Diese habe in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Abnahme der Diversität und Masse von Insekten beigetragen. "Das bleibt nicht nur auf dieser Ebene, sondern die Insekten fehlen dann auch in der Nahrungskette." Einen künstlichen Mond würde diese Insektengruppe wohl also begrüßen.

"Licht, da wo ich es brauche, ansonsten aus"

Welche Auswirkungen der künstliche Mond am Ende hat, sei auch stark von der Steuerung der Beleuchtung abhängig, so Klenke. Die chinesischen Wissenschaftler sagen, der Radius sei bis auf ein paar Meter steuerbar. Der Mond soll eine Fläche von 50 Quadratkilometern beleuchten können – oder aber auch nur zehn. "Generell vertrete ich die Ansicht: 'Licht, da wo ich es brauche, ansonsten ist es aus'", sagt Klenke. 

Acht Mal heller als der Mond ist nicht genug 

Der künstliche Mond soll acht Mal heller scheinen können als unser natürlicher Fixstern. "Das entspricht aber nur einem Fünftel der Helligkeit von Straßenlampen. [...] Wenn man dann auf Lampen verzichten könnte, wäre das interessant", findet auch Reinhard Klenke. Er vergleicht die Intensität eines künstlichen Mondes mit einem Vollmond im Winter, bei dem der Schnee das Licht reflektiert. "Das macht schon etwas aus, aber der Mond ist eben nicht so hell wie eine Straßenlampe." Als alleiniges Leuchtmittel sieht er den Mond also nicht. 

Das hat Wu Chunfeng aber auch nicht vor. Im Gespräch mit China Daily spricht er vom Ersetzen "einiger Straßenlampen". Der künstliche Mond könne auch bei Stromausfällen zum Einsatz kommen, zum Beispiel in Katastrophengebieten, um Hilfs- und Rettungsaktionen zu unterstützen. 

Ein DW-Leser: "I don't need my night skies lit up"

Ein Twitter-User schreibt als Reaktion auf die Nachricht, dass er keinen beleuchteten Nachthimmel haben möchte. Damit ist er nicht allein. Denn auch auf den Menschen wirkt sich ein verschobener Tag-Nacht-Rhythmus aus, was die Diskussion um die Abschaffung der Zeitumstellung nur zu gut zeigt. Es wird sicherlich auch Menschen geben, die mit einem künstlichen Mond nicht mehr schlafen können, sagt Klenke. Andere wiederum werden es gut finden, wenn es länger hell ist. 

Lesen Sie mehr zu Sommerzeit: Die Sommerzeit war doch eh nur ein Witz!

Der Populationsökologe glaubt, dass Menschen langfristig eher noch darunter leiden werden als Tiere. "Die Arten, die mit solch einer Umstellung nicht klarkommen, werden dann eben aussterben. Andere werden unter solchen Bedingungen Chancen ergreifen. Fakt ist, dass das System sich ändert. Ob man das will, ist die Frage." 

Dem stimmt auch Physiker Manley zu. "Es gibt eine Menge Dinge zu beachten, wenn du solch riesengroße Pläne machst", sagt er abschließend. 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.