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"Chinas Aufstieg nicht überbewerten"

15. Februar 2011

China hat Japan 2010 als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst. Doch trotz dieser neuen Zahlen: Größe bedeutet nicht automatisch auch Wohstand - meinen die Kommentatoren der europäischen Tageszeitungen.

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Montage von Industrieanlge vor chinesischer Flagge (DW)
Massiv drängt China an die SpitzeBild: DW-Montage

Die britische Zeitung "The Independent" schreibt:

Von den Zahlen darf man sich nicht täuschen lassen. China mag Japan zwar nun offiziell überholt haben und mit einem Bruttoinlandsprodukt von 5,9 Billionen Dollar die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sein. (...) Aber zweitgrößte heißt nicht gleichzeitig zweitwohlhabendste. Der durchschnittliche Japaner verdient fast 40. 000 Dollar pro Jahr, zu vergleichen mit gerade mal 3600 Dollar pro Kopf in China. Obwohl sich Shanghai und Peking mittlerweile Luxusboutiquen rühmen können, leben hunderte Millionen Chinesen weiterhin unter den härtesten Bedingungen, vor allem in ländlichen Gegenden.

Ganz ähnlich sieht es auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung":

Nach der offiziellen Statistik hat China nun den alten Konkurrenten Japan an Wirtschaftskraft überholt. Berücksichtigt man die Kaufkraft des stark unterbewerteten Renminbi, so liegt das von einer kommunistischen Diktatur beherrschte Reich der Mitte schon seit längerem an zweiter Stelle der Weltrangliste. Sein Anteil am Weltsozialprodukt ist in zwei Jahrzehnten von nur 4 auf 14 Prozent gewachsen. Amerika hält noch einen Anteil von etwa 20 Prozent des globalen BIP. Nach realistischen Prognosen könnte die Drachenökonomie aber schon 2015 oder 2016 an den Vereinigten Staaten vorbeiziehen. Deutschland fällt auf gut 3,5 Prozent des Weltsozialprodukts zurück. Für die große Politik sind solche nationalen Wirtschaftsvergleiche von Bedeutung. Für die einzelnen Menschen sind sie praktisch irrelevant. Da zählt das Pro-Kopf-Einkommen. Nach diesem Maßstab ist China kein Riese, sondern ein Zwerg. Es liegt auf Rang 91 der Weltliste, gerade mal vor Bosnien, Ecuador und Albanien.

Die "Neue Osnabrücker Zeitung" beschäftigt sich hingegen vor allem mit der japanischen Seite:

Immobilienblase, Bankenkrise, Massenarbeitslosigkeit: Japans Wirtschaft leidet seit Jahren an vielen Krankheiten zugleich. Profitiert haben davon auch die Chinesen, die ihr Nachbarland jetzt auf der Rangliste der größten Volkswirtschaften überholt haben. Für die japanische Regierung, deren Umfragewerte ohnehin sinken, ist das ein weiterer Tiefschlag. Die Entwicklung markiert aber auch weltweit eine Zeitenwende. Vorbei die Jahre, in denen die westlichen Industriestaaten vor der Wirtschaftsmacht Japans zitterten. Mit Produkten wie dem tragbaren Kassettenrekorder "Walk Man" eroberte das Land einst die Märkte. Japanische Unternehmen kauften weltweit andere Firmen. Hollywood war das sogar einen Film wert: "Die Wiege der Sonne" von 1993 mit Sean Connery spielte mit den Ängsten vor der Wirtschaftsmacht Nippons. Dass Chinas ökonomische Leistung nun größer ist als Japans, darf aber auch nicht überbewertet werden. Beim Pro-Kopf-Einkommen etwa liegt das Reich der Mitte weit zurück. Ein Ansporn sollte die Rangliste jedoch sein.

Die im nordfranzösischen Lille erscheinende Zeitung "La Voix du Nord" schließlich meint:

"Zu Beginn des Jahres des Hasen hat China einen erneuten Sprung nach vorne gemacht und ist gestern offiziell zur zweiten Weltwirtschaftsmacht geworden vor dem japanischen Erbfeind. (...) Für Hu Jintao und seine Nachfolger stellt sich auch die Frage, das Gleichgewicht des chinesischen Wachstums, das sich heute einzig aus Exporten und Investitionen speist, wieder Richtung Konsum der Haushalte zu verschieben. Das Problem: die Chinesen sind viel eher Ameisen als Grillen! Da sie kein soziales Sicherungssystem haben, sparen sie für ihre alten Tage. Der interne Konsum leidet auch unter der Inflationstendenz (...). Das Immobilienpreisfieber nährt eine andere Sorge: die des Platzens der Immobilienblase (...). Wird die Welt beben, wenn aus China die Luft raus ist?"

Zusammengestellt von Esther Felden
Redaktion: Miriam Klaussner