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Kurswechsel

Shi Ming 6. Oktober 2006

Das Zentralkomitee (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas berät über den künftigen sozial- und wirtschaftspolitischen Kurs. Es zeichnen sich Programmkorrekturen der größten Regierungspartei in der Welt ab.

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Präsident Hu Jintao (l.) und Premierminister Wen Jiabao stehen in einem halben Meter Abstand vor einer Reihe roter Blumen
Präsident Hu Jintao (l.) und Premierminister Wen JiabaoBild: picture-alliance / dpa

"Harmonische Gesellschaft" stand als Motto für diese ZK-Plenarsitzung fest, lange bevor sichtbar wurde, was damit gemeint ist. Nun verkünden wie auf Kommando hochrangige Ideologen der Zentralparteischule in Peking konkretere Programmpunkte. Sie umfassen eine Änderung der Grundfunktion der Regierung. Diese solle sich nicht länger vordergründig um Ökonomie kümmern, sondern um soziale Gerechtigkeit. Auch sollen sozial Geschröpfte und Erniedrigte mehr Petitionsmöglichkeit erhalten, um ihre Sorgen und Wut bei der obersten Führung kundzutun.

Interessen ausbalancieren

Zwei Männer stehen im Vordergrund, im Hintergrund bereitet eine Frau Essen zu.
Wanderarbeiter in PekingBild: AP

Vor kaum anderthalb Jahren hatte die Kommunistische Partei (KP) Chinas per Staatsdekret dieselben Petitionsmöglichkeiten eigenhändig stark eingeschränkt. "Die höchste Priorität für uns liegt darin, alle Seiten, alle tangierten Interessen auszubalancieren, damit ein relatives Gleichgewicht zwischen den Interessen und Gegeninteressen erhalten bleibt", sagt Fang Ning, Leiter des politischen Forschungsinstituts an der Akademie der Sozialwissenschaften, dem wichtigsten Thinktank der KP-Führung. "Dann erst kann man dank der Entwicklung Chinas Zukunft gestalten. Dies ist eine neue Erkenntnis über die Gesetzmäßigkeit der Gesellschaft, die China nach jahrzehntenlanger Suche erst gefunden hat."

So neu wie Chinas Herrscher glauben machen wollen, sind soziale Härte und Konflikte in China gewiss nicht. Neben Landflucht und Arbeitslosigkeit schürt die Korruption den Unmut der Massen, auch in Großstädten wie Shanghai und Peking. Vor diesem Hintergrund ist der so genannte neue, noch vage Ton aus Peking für Professor Eberhard Sandschneider, Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und China-Experte aus Berlin, keineswegs überraschend. "Zunächst einmal bedeutet dies, dass sich die chinesische Gesellschaft ganz offensichtig im Zuge des Wirtschaftserfolges, den das Land verzeichnet, auch in erheblichen Wandlungen befindet", sagt Sandschneider. Die KP müsse sich auf diesen Wandel einstellen, wenn sie mit den negativen Folgen umgehen wolle. "Mit Pauschallösungen an soziale Probleme heranzugehen, würde sicherlich nicht fruchten."

Rühmlichkeiten versus Schanden

Ohne pauschale Grundsatzentscheidungen, aber auch ohne Skrupel hinsichtlich der Mittel geht am Wochenende (7./8.10.2006) die KP-Führung um Hu Jintao in die Klausur, bei der sowohl die kapitalistische Globalisierung wie auch sozialistische Disziplin beschworen werden sollen. Im Stillen allerdings stehen staatsdirigistische Konzepte bereits fest. Dabei soll der Staat demnächst nicht nur bestimmen, welches ausländische Kapital noch in China willkommen ist. "Die ökonomische Entwicklung ist gekoppelt an die Umwelt und Ökologie", sagt der Politikwissenschaftler Fang. "Wir müssen parallel zu der ökonomischen Entwicklung die Wertevorstellungen der Menschen, ja ihre Bedürfnisse verändern, anstatt grenzenlos diese Bedürfnisse zu befriedigen."

Konkret propagiert seit einem Jahr die KP-Führung einen umfassenden Moralkodex aus acht Rühmlichkeiten und als deren Gegenpart ebenfalls acht Schanden. Zu letzteren gehören neben Antipatriotismus Faulheit und korrupte Dekadenz. Töne, die in China Erinnerungen an die maoistische Kulturrevolution wachrufen. Im Westen werden diese Töne von China-Experten nicht sonderlich ernst genommen. "Wann immer die Frage nach der Moral auftaucht, wird sehr schnell eingefordert, dass alles besser und anders werden sollte - auch im Westen", sagt Sandschneider. "Das sind relativ typische und fast mit Verlässlichkeit kalkulierbare Reaktionen, die immer dann auftauchen, wenn gesellschaftlicher Wandel so rabiat schnell vor sich geht, wie es gerade in China der Fall ist."

Der Unterschied zum Westen: Die KP Chinas mit ihren 70 Millionen Mitgliedern kontrolliert unangefochten alle Ressourcen zum Regieren in China. Damit dies so bleibt, stellt Fang nur eine Bedingung, die auch auf der ZK-Sitzung das Thema sein wird: Die Korruption in der KP selbst. "Die chinesische Politik ist in ihrer Organisation zentralistisch, weil es die Führung durch die KP gibt - und noch lange geben wird", sagt Fang. "Dies setzt voraus, dass innerhalb der KP Chinas selbst keine eigenen Interessen zugelassen werden dürfen."