1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Chinas Sorge wegen IS übertrieben"

Waslat Hasrat-Nazimi9. Juli 2015

Bei einem Regionalgipfel in Russland will China auch über die Präsenz des "Islamischen Staats" in Afghanistan sprechen. Afghanistan-Experte Borhan Osman erläutert im DW-Gespräch die tatsächliche Gefahrenlage.

https://p.dw.com/p/1FvDP
IS-Propaganda in den sozialen Medien
Bild: Twitter/BenuKombe

Chinas Präsident Xi Jinping, Russlands Präsident Wladimir Putin und weitere Staatsführer der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit wollen im russischen Ufa unter anderem über die sich weiterhin verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan, auch durch den "Islamischen Staat", beraten.

Deutsche Welle: Der chinesische Vizeaußenminister Cheng Guoping sieht Afghanistan zunehmend vom Islamischen Staat bedroht. Stimmen Sie ihm zu?

Borhan Osman: Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan hat sich sicherlich verschlechtert, vor allem in Teilen Nord-Afghanistans. Das hat aber weniger mit der Präsenz des IS in der Region zu tun. Die Sorgen der nördlichen Nachbarn Afghanistans und Chinas sind insofern übertrieben, als sie die schlechte Sicherheitslage auf die Bedrohung durch den IS reduzieren.

(Archiv) Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Sicherheit von 2014 in Duschanbe, Tadschikistan. (Foto: Reuters)
(Archiv) Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Sicherheit von 2014Bild: Afg. President Office

Warum will China gegen eine mögliche Gefahr durch den IS vorgehen?

Chinas Sorge gilt vor allem einer möglichen Stärkung der "Islamischen Bewegung Ost-Turkistan" (ETIM) (ETIM wird in China als Terrorgruppe und Separatistenorganisation angesehen, Anm. d. R.) und einer Radikalisierung der uigurischen Muslime, und nicht so sehr einer Präsenz des IS in Afghanistan als solcher. Dennoch ist die Vorstellung, dass sich der IS in Afghanistan festsetzen könnte, für China alarmierend, weil sich diese Gruppe mit islamistischen Gruppen in China verbrüdern und damit weitaus gefährlicher als beispielsweise die Taliban werden könnte.

Erst kürzlich haben die Taliban den IS davor gewarnt, eine "parallele Aufstandsbewegung in Afghanistan" zu führen. Wird es vermehrt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen kommen?

Bisher gibt es keine Hinweise auf größere Kämpfe zwischen beiden Gruppen. Die größten Auseinandersetzungen fanden in den vergangenen Wochen in der ostafghanischen Provinz Nangarhar statt. Die Taliban konnten jedoch ihre Kontrolle über diese Bezirke behaupten. Der IS hat im Gegenteil sogar bei Kämpfen den Kürzeren gezogen und Terrain verloren, wo er angegriffen hatte. Die Aussichten, dass der IS die Dominanz der Taliban erschüttern könnte, sind gering.

(Archiv) Die Moschee in Kashgar, Xinjiang, wird streng überwacht. (Foto: Getty Images)
(Archiv) Die Moschee in Kashgar, Xinjiang, wird streng überwachtBild: Getty Images

Gulbuddin Hekmatjar, der frühere Ministerpräsident von Afghanistan und Anführer der Aufstandsbewegung Hisb-i Islami, hat seine Anhänger dazu aufgerufen, sich dem IS anzuschließen. Welche Rolle spielt er hierbei?

Hikmatjar hat davon gesprochen, dass er in einzelnen Fällen seinen Anhängern empfohlen habe, den IS im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen. Es gibt Berichte über Hisb-i-Islami-Kämpfer in Osten Afghanistans, die behaupteten, nun dem IS anzugehören. Jedoch scheinen diese nicht auf Anordnung Hikmatjars übergelaufen zu sein. Sein Einfluss auf die aktiven aufständischen Kämpfer ist in den letzten Jahren offenbar stark gesunken. Deshalb ist sein Aufruf an seine Anhänger, an der Seite des IS gegen die Taliban zu kämpfen, wohl vor allem als verzweifelter Versuch eines Warlords zu sehen, im Machtpoker dabei zu bleiben.

Wie ist das Ansehen des IS in der afghanischen Bevölkerung?

Es ist kaum vorstellbar, dass der IS breite Zustimmung in Afghanistan finden könnte. Vereinzelt sind kleinere Gruppen aufgetaucht, die versuchen, für sich einen Platz in der Gesellschaft zu etablieren. Ihr Ruf nach einem Kalifat findet aber keinen Widerhall. Es mag eine begrenzte Zahl von jungen Menschen geben, die schon entsprechend radikalisiert sind oder auf der Schwelle dazu sind. Diese sind jedoch von der lokalen Bevölkerung isoliert . In Nangarhar haben IS-Kämpfer Propagandamaterial über ihren angeblichen Kontakt mit der Bevölkerung verteilt. Die Bilder zeigen aber keineswegs wohlwollende Menschen, sondern zutiefst erschrockene.

Borhan Osman forscht beim Afghanistan Analysts Network in Kabul.