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Politik

Chinas weltpolitische Ambitionen

8. Mai 2018

Die DW-Reihe "Chinas Aufstieg" widmet sich in Teil II der Geopolitik: In Wirtschaft und Militärausgaben schon Nummer zwei, fehlt es China außenpolitisch an einer Strategie, wie selbst chinesische Vordenker einräumen.

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China USA Donald Trump & Xi Jinping | Große Halle des Volkes
Bild: Reuters/D. Sagolj

Chinas Präsident Xi Jinping mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Er hat vorgeschlagen, die Beziehungen der Großmächte auf eine neue Grundlage zu stellen, bei der die USA und die Volksrepublik China in einer so wörtlich "G2-Welt" die Führung übernehmen würden. Xi hat den "chinesischen Traum" formuliert, der an Chinas ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen und das Reich der Mitte wieder an seinen angestammten Platz an der Spitze der Nationen führen soll.

Nicht zuletzt bringt der Präsident seit 2016 vermehrt eine "chinesische Lösung" ins Spiel. Gemeint ist damit, dass das chinesische Modell - autoritäre Einparteienherrschaft plus wirtschaftliche Freiheiten - für regionale und globale Probleme effizientere und bessere Ergebnisse liefert als die vom Westen favorisierte liberale Demokratie plus freie Marktwirtschaft.

Die Wandlungsfähigkeit chinesischer Außenpolitik

Das außenpolitische Selbstbewusstsein Chinas hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant gewandelt. Zwar wurde die Volksrepublik China 1972 mitten in der Kulturrevolution Ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, aber das Land war aufgrund innerpolitischer und wirtschaftlicher Herausforderungen lange Jahre ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.

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Studentenproteste 1989 auf dem Platz des Himmlischen FriedensBild: Reuters/A. Tsang

 Mit dem Tiananmen-Massaker 1989, bei dem fast 3000 Studenten und Aktivisten ums Leben kamen, änderte sich das. China geriet in seine erste große außenpolitische Krise. Die USA, aber auch die Europäische Union, verurteilten die Niederschlagung der Demokratie-Bewegung und verhängten ein Waffenembargo, das bis heute in Kraft ist.

In der Folge initiierte China ein im Westen kaum wahrgenommenes verstärktes außenpolitisches Engagement, das sich vor allem auf seine unmittelbaren Nachbarn richtete. Zu dieser Neuausrichtung gehörte auch ein neues Sicherheitskonzept, dessen erklärtes Ziel es war, das Denken des Kalten Krieges zu überwinden und die USA aus Asien herauszudrängen, wie Chu Shulong, Direktor des Instituts für Internationale Strategie und Entwicklung der Tsinghua Universität schreibt. Eine der wichtigsten sicherheitspolitischen Entscheidungen Chinas überhaupt, so Chu.

Etablierte Regeln und Weltfinanzkrise

Mit Beginn des neuen Jahrtausends prägte der damalige Staatspräsident Jiang Zemin das Schlagwort von "Chinas friedlichem Aufstieg". Ziel war die Integration in die Weltwirtschaft, ohne den Argwohn der USA oder der chinesischen Nachbarn zu wecken. China spielte in dieser Phase nach den global etablierten Regeln, und zwar sehr erfolgreich. 2001 wurde China Vollmitglied der Welthandelsorganisation.

Die internationale Finanzkrise 2007/08 traf den Westen hart und stellte den "Western way of life" insgesamt infrage. China war demgegenüber von der Krise kaum betroffen. Der damalige Präsident Hu Jintao formulierte 2009 die Kerninteressen Chinas, die die Sinologin Angela Stanzel in einer Analyse zu Chinas Gesamtstrategie für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations so zusammenfasst: "Wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Souveränität (d.h. Stabilität der Kommunistischen Partei) und Sicherheit (also die territoriale und nationale Integrität)."China setzte erstmals konsequent und öffentlich auf die Durchsetzung eigener Interessen. Medial in Szene gesetzt wurde der neue Anspruch mit den Olympischen Sommerspielen von 2008 in der Hauptstadt Peking.

Auf Hu Jinato folgte 2013 Xi Jinping, der die aktuelle Phase einleitete und wie kein anderer seiner Vorgänger seit Mao für ein starkes China steht, wie Stanzel resümiert: "Pekings Außenpolitik ist selbstbewusster als je zuvor. Die Zeiten der Zurückhaltung sind endgültig vorbei." Der neue Anspruch manifestiert sich vor allem in Xi Jinpings Prestigeprojekt "Seidenstraßen-Initiative" (englisch: Belt and Road Initative, kurz BRI), aber auch in Chinas Demonstration militärischer Macht im Südchinesischen Meer, oder in Chinas lautstarkem Eintreten für den freien Welthandel, der seit Amtsantritt des US-Präsident Donald Trump immer wieder in Frage gestellt wird.

EU uneins gegenüber China

Auch die Europäische Union spürt die diplomatische Offensive Pekings. Laut einem Bericht der FAZ verfasste China im April 2018 ein vertrauliches Memorandum zur Seidenstraßen-Initiative und verschickte dies an die europäischen Hauptstädte. Das Dokument trägt - im Gegensatz zu sonst üblicherweise bilateral ausgehandelten Protokollen - allein die chinesische Handschrift. Verhandlungsspielräume wollte Peking nicht einräumen. Europäische Staats- und Regierungschefs sollten ihre Unterschrift darunter setzen. Die Verweigerung einer Unterzeichnung könnte mit Nachteilen verbunden sein. Nach Angaben der FAZ hätten einige ost- und mitteleuropäische Staaten unterschrieben. Doch dann einigten sich 27 von 28 EU-Staaten auf einen Unterzeichnungsstopp und auf die Erarbeitung einer gemeinsamen Linie zur BRI.

Infografik Karte 12.000 Kilometer auf der Schiene DEU UK-China Frachtzug
Güterzugverbindungen zwischen China und Europa

Der einzige Staat, der die gemeinsame Position der EU nicht mitträgt, ist Ungarn. Seit Längerem unterhalten China und Ungarn enge Beziehungen. Im Mai 2017 wurden sie auf die höchste diplomatische Stufe, eine umfassende strategische Partnerschaft, gehoben. Ein Jahr zuvor milderte Ungarn (gemeinsam mit Kroatien und Griechenland) eine EU-Stellungnahme zum Schiedsspruch im Südchinesischen Meer ab. Im Januar 2018 erklärte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban auf dem Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos bezüglich des Bedarfs an Infrastrukturinvestitionen: "Wenn die EU keine finanzielle Unterstützung bereitstellt, wenden wir uns an China."

Fehlende Gesamtstrategie

Trotz der Erfolge beschäftigt chinesischen Intellektuellen seit längerem die Frage, ob China eine Gesamtstrategie verfolgt? Wang Jisi, Dekan der "School of International Studies" der Peking Universität, verneint das und stellte fest, dass es nicht ausreicht, Kerninteressen festzulegen. Man müsse auch erklären, wie diese zu erreichen und miteinander zu koordinieren seien.

Politologe und Asienexperte Gerhard Will, der an der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik forschte,  kommt zu einen ähnlichen Schluss: "Um wirklich eine Weltmacht zu sein, braucht man mehr als militärische und ökonomische Macht." Nämlich diplomatischen Einfluss und Soft Power, also die Fähigkeit Nationen ohne wirtschaftliche Anreize oder militärische Einschüchterung zu beeinflussen.

Kambodscha China Li Keqiang und Hun Sen in Phnom Penh
Enge Partner: Chinas Premier Li Keqiang (li) und Kambodschas Premier Hun Sen (re) enthüllen im Januar 2018 eine Tafel im Friedenspalast in Phnom Penh, die einem mit chinesischem Geld finanzierten Krankenhaus gewidmet istBild: picture-alliance/AP Photo/H. Sinith

Chinesischer Traum wenig attraktiv

Während China in den ersten beiden Feldern - Wirtschaft und Militär - zweifellos punktet, bleiben Defizite bezüglich Diplomatie und Soft Power. Zum Beispiel im internationalen Recht. "Wenn China die Normen nicht anerkennt, dann muss es eigene setzen. Aber nicht nur setzen, sondern auch Gefolgschaft dafür einwerben können. Und diesbezüglich sehe ich ein großes Defizit."

Außerdem beobachtet Will in Südostasien, das er als entscheidenden Schauplatz dafür sieht, ob Chinas Aufstieg friedlich verläuft oder nicht, einen großen Kontrast zwischen den Eliten und der jeweiligen Bevölkerung. "China kann zwar einige der Regierungen auf seine Seite ziehen, aber nicht die Bevölkerung. Das wird auf die Dauer zu massiven Konflikten führen."

Kambodscha, das im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) schon seit längerem eine ähnliche Rolle spielt wie Ungarn in der EU, ist klar Richtung China orientiert, zumindest die Regierung um Premier Hun Sen. So verhinderte Kambodscha 2012 und 2016 im Interesse Chinas eine gemeinsame Stellungnahme der ASEAN zum Südchinesischen Meer. Die Bevölkerung Kambodschas sei allerdings keineswegs prochinesisch, sagt Will, der die Region oft bereist. "Je stärker die Einflussnahme, desto geringer werden die Sympathien für China." Dem "chinesischen Traum" fehle es nach wie vor an Attraktivität.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia