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Chinesische Millionenstadt nach Chemieunglück ohne Trinkwasser

23. November 2005

Eine der größten Städte Chinas hat nach einem Unglück in einem Chemiewerk die Wasserversorgung für vier Millionen Einwohner einstellen müssen. Unter der Bevölkerung gehen Angst und Panik um.

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Wasservorräte wurden panikartig aufgestocktBild: dpa

Erstmals räumten am Mittwoch (23.11.2005) die Behörden von Harbin in Nordostchina ein, dass die für vier Tage geplante Unterbrechung der Trinkwasserversorgung aus Angst vor Vergiftungen durch ein Unglück in einem Chemiewerk angeordnet werden musste. Tagelang hatte es bereits wilde Gerüchte und Panikkäufe von Wasser gegeben.

Bereits vor zehn Tagen hatte es eine Explosionsserie in einer Chemiefabrik in der Nachbarprovinz Jilin gegeben. Die Folge: Auf einer Länge von 80 Kilometern sei der Songhua Fluss, der durch Harbin fließt, mit Benzol vergiftet, berichtete die Umweltbehörde der Provinz Heilongjiang. Das in der Industrie gebräuchliche Benzol ist giftig, krebserregend und kann bei hoher Dosierung tödlich sein.

Der Giftteppich sollte die Millionenstadt Harbin am Donnerstag erreichen. Das verunreinigte Wasser werde mindestens 40 Stunden brauchen, um an der Stadt vorbeizufließen, hieß es.

Millionen Menschen betroffen

Aus Angst versuchten viele Menschen, mit der Bahn oder dem Flugzeug die Stadt zu verlassen. Für die nächsten zwei Tage waren keine Fahrscheine mehr für Züge zu bekommen, berichteten Reisebüros. Notfallpläne für 15 Krankenhäuser der Stadt wurden entworfen, um sich auf eventuelle Vergiftungen vorzubereiten, berichteten amtliche Medien. Nach Angaben der Behörden ist vor allem die Wasserversorgung des inneren Stadtgebiets mit seinen vier Millionen Einwohnern betroffen. Mit Vororten zählt Harbin fast zehn Millionen Menschen.

Am Montag hatte die Stadtregierung die Berichte über befürchtete Verunreinigungen als "nur ein Gerücht" abgetan und stattdessen von einer Überprüfung des Rohrsystems gesprochen. In einer "Kehrtwende", wie es die Tageszeitung "China Daily" nannte, räumten die Behörden dann aber die Gefahr durch die Chemikalien und den Ernst der Lage ein. Nachdem die Supermärkte bereits leer gekauft waren, wurden 16.000 Tonnen abgefülltes Trinkwasser aus anderen Städten nach Harbin transportiert. Die eigentlich für Dienstagmittag angeordnete Unterbrechung wurde auf Mitternacht verschoben, damit sich die Einwohner besser vorbereiten konnten.

Gerüchte und verfehlte Informationspolitik

Wasser wurde in Eimer und alle möglichen Behälter bis hin zu Thermosflaschen abgefüllt. "Wir haben so etwas noch nie erlebt, deswegen bereiten wir uns besser vor", wurde ein Bewohner zitiert. "Wer weiß, wann die Wasserversorgung wieder aufgenommen wird." Die Schulen wurden geschlossen. Die Heißwasserversorgung für die Heizungen in Harbin, das zu den kältesten Städten Chinas zählt und für ein jährliches Festival mit großen Eisskulpturen bekannt ist, soll nach Beteuerungen der Behörden nicht beeinträchtigt sein. Grundwasser werde auch noch aus den Brunnen der Stadt gepumpt.

Zur Verunsicherung der Bevölkerung trug nicht nur die verharmlosende Informationspolitik der Stadtregierung bei, sondern auch ein Gerücht über ein angeblich bevorstehendes starkes Erdbeben, dass neben den Berichten über das Chemieleck die Runde machte.

Eine russische Sprecherin des World Wildlife Fond (WWF) sagte, das verseuchte Wasser des Songhua könne in drei bis vier Tagen die russische Grenzstadt Chabarowsk erreichen und dann in den russischen Fluss Amur münden. (stl)