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Christa Wolf tot

2. Dezember 2011

Christa Wolf zählt zu den wichtigsten Schriftstellerinnen im Nachkriegsdeutschland. Jetzt ist sie im Alter von 82 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

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Christa Wolf (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Wer bin ich wirklich und was hindert mich daran, ich selbst zu sein?" Das ist die Kernfrage in allen Büchern Christa Wolfs. Mit ihr beginnt ihr Roman "Nachdenken über Christa T.", der Roman, der ihren Erfolg im damaligen Westen begründete. In der DDR hatte sie schon eine gute Karriere als sozialistische Persönlichkeit hinter sich. Ihre Erzählung "Der geteilte Himmel", eine Liebesgeschichte auf dem Hintergrund von Staatstreue und Republikflucht – mit vorsichtig dosierter Systemkritik - hatte der Literaturwissenschaftlerin und Lektorin 1963 den Weg an die Spitze der sozialistischen Literatur geöffnet. Als sie aber 1965 auf dem berüchtigten 11. Plenum der SED zum Kampf gegen die eingeleitete Zensur und Gleichschaltung der Literatur aufrief, endete ihre steile Ostkarriere zunächst.

Bücher von Christa Wolf wurden Mangelware in DDR-Buchhandlungen. Dafür wuchs ihr Ansehen im westlichen Ausland stetig. Mit "Kindheitsmuster", ihrem 1976 erschienenen Roman, wurde aus der Ostautorin eine gesamtdeutsche Klassikerin. Die Geschichte der Familie Jordan in den Zeiten des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs war auch die Geschichte der Christa Wolf, die – wie ihre Heldin Nelly - 1929 in Landsberg an der Warte geboren wurde. "Kindheitsmuster" war der erste DDR-Roman, der sich ganz persönlich-selbstkritisch mit der eigenen Nazi-Geschichte auseinander setzte.

Die deutsche Schriftstellerin Christa Wolf, geborene Ihlenfeld, aufgenommen im Dezember 1973 in Kleinmachnow bei Berlin(Foto: dpa)
Christa Wolf 1973Bild: picture-alliance/ZB

"Es gehört zu den Büchern oder den Themen, von denen man lange Zeit weiß, dass man es irgendwann schreiben wird. Und dann kommt der Zeitpunkt, wo man das Gefühl hat: Jetzt geht es", so die Schriftstellerin in einem früheren Interview. Bis sie so weit war, habe es allerdings 25 Jahre lang gedauert, denn lange habe sie damit gehadert, dieses Thema wirklich anzugehen.

Unangepasste Frauen

Wie kaum eine andere Schriftstellerin verstand es Christa Wolf, mit Sprache Raum für neues Bewusstsein zu schaffen. Besonders die feministisch bewegten Frauen der 1970er und 1980er Jahre fanden in ihren Romanen Material für die Suche nach dem eigenen Ich. Denn immer standen die Frauen im Mittelpunkt: Frauen, die sich als Fremde, Andere, Nicht-Passende in einer von Männern beherrschten Welt erlebten: literarische Figuren wie Christa T. und Nelly Jordan, mythische Frauen wie Kassandra und Medea - und die Dichterin Caroline von Günderode in dem 1979 erschienen Roman "Kein Ort. Nirgends".

Als Nationalpreisträgerin der DDR und Georg-Büchner-Preisträgerin der Bundesrepublik, als Mitglied der Akademie der Künste in Ost und West war Christa Wolf lange vor dem Mauerfall die einzige wirklich gesamtdeutsche Autorin. Die DDR wusste, was sie an ihrer international geachteten Schriftstellerin hatte und gewährte ihr großzügige Schreib- und Reisefreiheit – auch in der sicheren Gewissheit, dass Christa Wolf, trotz ihres Einsatzes für Wolf Biermann und andere Dissidenten, treu und überzeugt zur Idee des real existierenden Sozialismus stand. Auch nach dem Fall der Mauer trat sie für einen Erhalt der DDR als das bessere, sozialistische Deutschland ein.

Sprachrohr des SED-Regimes?

Wolf bei einer Domonstration am 4.11.1989 (Foto: Ullstein)
Christa Wolf spricht bei einer Demonstration am 4.11.1989 - wenige Tage vor dem MauerfallBild: ullstein bild - Ritter

"Ich habe dieses Land geliebt", verkündete sie, nachdem die DDR verschwunden war. Jetzt zeigte sich, wie eng der Name Christa Wolf mit dem anderen Deutschland verbunden war. Die Öffentlichkeit wollte der Prima-Donna der DDR-Literatur eine kritische Haltung dem untergegangenen SED-System gegenüber nicht glauben. Als sie 1990 die zwanzig Jahre alte Erzählung "Was bleibt" veröffentlichte - eine Alltagsbeschreibung des Überwachungs- und Spitzelsystems DDR - entfachte sie damit eine breite Debatte über die Rolle und Mitschuld der DDR-Schriftsteller. Als sich herausstellte, dass sie Anfang der 1960er Jahre als Stasi-Informantin geführt worden war, wurde ihr die Politikfähigkeit im vereinten Deutschland abgesprochen – obwohl ihre Opferakte um ein vielfaches umfangreicher war als ihre Täterakte. Ihre weiteren Bücher wie "Hierzulande andernorts" oder "Medea – Stimmen" erreichten das Publikum nicht mehr so, wie es ihre früheren Arbeiten getan hatten, obwohl sie ihnen in Qualität und Aktualität in nichts nachstanden. Mit der deutschen Vereinigung hatte Christa Wolf den Glanz der großen deutschen Klassikerin verloren, weil sie nicht politisch korrekt, nicht eindeutig war. Sie hat sich damit arrangiert. "Ich habe das Leben, das zu mir passt", hat sie in einem Interview zu ihrem 70. Geburtstag gesagt.

Im letzten Jahr veröffentlichte Wolf ihr Buch "Stadt der Engel" - eine Art Fortsetzung ihres Buchs "Kindheitsmuster". Darin beschäftigte sie sich mit der Zeit nach dem Mauerfall und dem Bekanntwerden ihrer Tätigkeit für die Stasi als IM "Margarethe".

An diesem Donnerstag (01.12.2011) ist Christa Wolf im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben.

Autorin: Barbara Garde
Redaktion: Silke Wünsch