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Christian Krachts "Imperium"

21. Februar 2012

Satire oder rechtes Gedankengut? Der vierte Roman von Christian Kracht hat eine Kontroverse ausgelöst. Dabei ist "Imperium" vor allem eines: eine farbenprächtige und fulminant erzählte Abenteuergeschichte.

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Christian Kracht, Autor Buch "Imperium" Copyright: Frauke Finsterwalder ***Das Foto ist nur in Verbindung mit dem aktuellen Buch „Imperium“ honorarfrei. (Rezension, Lesung, Interview zum Buch) Jegliche andere Nutzung bitte beim Fotografen arfragen***
Bild: Frauke Finsterwalder

Im Schatten der Kokospalmen lebt der Aussteiger August Engelhardt, eine Art Ur-Hippie: Bartträger, Vegetarier, Nudist, so wird er von Autor Christian Kracht beschrieben. Angeekelt von der modernen Zivilisation, dem Zwang, sich mit Kleidung zu bedecken und das Fleisch hin gemeuchelter Tiere zu verzehren ist er im Südseeparadies gelandet. Stumme Gefährten in der Einsamkeit sind Charles Dickens, Gottfried Keller und E.T.A. Hoffmann, deren Werke, langsam dahingilbend, die Bücherregale in Engelhardts Palmenhütte bevölkern. Der Aussteiger und seltsame Heilige huldigt einem komischen Sonnenkult, er hat eine groteske philosophische Leidenschaft für die Kokosnuss entwickelt und die exotische Frucht zum einzig wahren Lebensmittel erkoren, von dem er sich fortan ernährt.

Ausbeuter und Glücksritter

Hier trifft, in tropischer Atmosphäre, vieles zusammen: Esoterik und Freikörperkultur, Wirres und Abenteuerliches, Lebensreform und Sinnsuche, Kolonisatoren und Glücksritter. Wir lernen sie im Verlaufe des Romans alle kennen: den abgehalfterten Hotelier, den korrupten Gouverneur, die tratschenden Damen der Gesellschaft, den hypochondrischen Pianisten (auch er ein Flüchtling aus der Zivilisation), den homosexuellen Antisemiten (durch eine herab fallende Kokosnuss haucht er sein Leben aus) – und, natürlich, die Eingeborenen des Inselparadieses mit seinen fliegenden Fischen, exotischen Gewächsen, weißem Strand und blauem Meer.

Die Reproduktion eines Fotos aus dem Jahr 1906 zeigt (oben) den Schriftsteller August Engelhardt mit dem Musiker Max Lützow auf der Insel Kabakon im Bismarck-Archipel. Engelhardt, 1877 in Nürnberg geboren, gilt als Gründer der ersten Hippie-Kommune, als er sich 1902 auf der Insel nieder ließ. Der Briefmarkensammler Dieter Klein aus Wuppertal fand das Foto in der achtziger Jahren bei einer Auktion. dpa/lby (zu dpa-KORR "Sonne und Kokosnuss: Vor 100 Jahren eröffnet ein Franke die erste Hippie-Kommune" vom 18.01.2010)
Der historische August Engelhardt mit dem Musiker Max Lützow 1906Bild: picture-alliance/dpa

Tropischer Wahnsinn

Es ist eine Zeit der Wende. Das 19. Jahrhundert ist zu Ende, das 20. gerade angebrochen. Während man in den abgelegenen Orten der deutschen Kolonien auf luftumfächelten Veranden süffige Cocktails schlürft, ist viele tausend Kilometer entfernt längst die Moderne angebrochen. Kriege, Katastrophen und Völkermord zeichnen sich am Horizont ab. Plötzlich ist da noch dieser andere "kleine Vegetarier" - in München strebt Adolf Hitler die Stufen zur Feldherrnhalle empor - "eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase" – womit natürlich sein Bart gemeint ist. Langsam ändern sich auch die Verhältnisse drüben in "Neupommern" und "Herbertshöhe" – so heißen die von Deutschen besiedelten Südsee-Städtchen. Der Eremit August Engelhardt auf dem Eiland Kabakon– den es übrigens wirklich gegeben hat! – erkrankt, verfällt, wird schließlich wahnsinnig.

Rechte Gedanken?

Der Roman, der jetzt einen lautstarken Literaturstreit auslöste, ist ein großes, buntes Spektakel; eine Abenteuergeschichte und zugleich ein literarischer Kunstgriff: Christian Kracht hat einen Erzähler geschaffen, der aus der Vogelperspektive des Wissenden berichtet. Er hat eine heitere, kluge Parodie geschrieben, einen Abgesang auf Weltmachtsträume und Glaubenskriege. Er formuliert glänzend, spielt mit den Zeitebenen, mit Vor- und Rückgriffen und mit seinem großartigen Gespür für Ironie spielt er auch mit Klischees.

Buchcover Imperium, Christian Kracht

Dies ist der vierte Roman des Schweizer Autors, der gern provoziert und mit seinen Werken noch jedes Mal Aufsehen erregt hat. Manche sind der Auffassung, "Imperium" sei sein bestes Buch. Doch es gibt auch Kritik. Für den Rezensenten des "Spiegel" ist es antidemokratisch und durchdrungen von einer "rassistischen Weltsicht", sein Autor mithin ein "Türsteher rechter Gedanken". Dieser Verriss ging Kracht und seinem Verlag dann doch zu weit. In einer Mitteilung spricht Kiepenheuer und Witsch von "Rufmord", die Vorwürfe seien bösartig, hier werde einer der wichtigsten Gegenwartsautoren perfide an den Pranger gestellt. Auch in den Feuilletons deutscher Tageszeitungen ist man des Lobes voll und hat wenig Verständnis für die Vorwürfe des "Spiegel". Christian Kracht jedoch hat mittlerweile seine Berliner Premierenlesung zum Buchstart abgesagt. Er sehe sich im Moment außer Stande, nach Deutschland zu kommen, ließ er über seinen Verlag wissen.

Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Gabriela Schaaf


Christian Kracht: Imperium. Roman. Kiepenheuer & Witsch Verlag. Köln 2012; 256 S. 18,99 Euro.