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"Das ist ein riesiger Imageschaden"

Paula Rösler
7. September 2018

Chemnitz will Europas Kulturhauptstadt 2025 werden. Doch die Ausschreitungen der vergangenen Tage trüben das Stadtbild. Wie Kultur in dieser aufgeheizten Lage vermitteln kann, erklärt Theaterintendant Christoph Dittrich.

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Dr. Christoph Dittrich, Generalintendant Theater Chemnitz
Bild: D. Wuschanski

Deutsche Welle: Herr Dittrich, lange vor den Ausschreitungen in Chemnitz hat die Stadt den Entschluss gefasst, sich als "Europäische Kulturhauptstadt 2025" zu bewerben. Wie kam es dazu?

Christoph Dittrich: Der Titel "Europäische Kulturhauptstadt" soll kein Schönheitswettbewerb sein. Es geht viel mehr um die Stärkung eines Selbstbewusstseins und gelebten kulturellen Miteinanders. Die Stadt Chemnitz hat nicht wie beispielsweise Dresden eine barocke Innenstadt. Sie ist immer ein Industriestandort gewesen, dem die Repräsentation nicht eigen war. Alles, was es hier gibt - das Opernhaus, das Rathaus, die Technische Universität - sind Gründungen, die aus dem Bürgerwillen heraus entstanden sind. 

Trotz vieler Brüche durch Kriege und die Wendezeit, als 60.000 Menschen diese Stadt verlassen und große Lücken hinterlassen haben, sind die Bürger hier immer wieder aufgestanden und haben ihre eigene Stadt geprägt. Aus Brüchen positive Energie für eine selbstgestaltete, offene Kulturgesellschaft zu ziehen, das ist eine Geschichte, die wir analysieren, fortsetzen und in Europa erzählen möchten.

Wie groß ist der Imageschaden, den die Stadt in den vergangenen Tagen davongetragen hat?

Ich muss ganz offen sagen, das ist ein riesiger Imageschaden, vielleicht ist das Wort sogar zu klein dafür. Die Bilder von Chemnitz, die um die Welt gegangen sind, haben jetzt schon spürbare Effekte. Wir haben von Firmen gehört, die ihre ausländischen Mitarbeiter nicht mehr nach Chemnitz reisen lassen, von Ärzten, die kurz vor der Anstellung in Krankenhäusern standen und nun doch nicht kommen. Das ist eine furchtbare Situation, die dem Alltagsleben in Chemnitz widerspricht. Wir erleben hier eigentlich einen guten Zusammenhalt und ein Miteinander. 

Wie haben Sie die Zeit nach den Ausschreitungen erlebt?

Es hat sich innerhalb weniger Tage nach dem Wochenende des 26. August eine unglaubliche Kraft gebildet. Eine Motivation, das nicht so stehen zu lassen, sondern sowohl ein anderes Bild von der Stadt zu zeigen, als auch wirklich etwas für die Gemeinschaft zu tun. Zum Beispiel die Diskursoffenheit zu bewahren, dass man Ängste und Sorgen durchaus artikulieren kann, aber natürlich nicht durch Randale auf der Straße. Sich neben Extremisten zu stellen, die den Hitlergruß zeigen, das geht überhaupt nicht.

Was ist in der Vergangenheit in Chemnitz versäumt worden, dass es zu solchen Szenen auf den Straßen kommen konnte?

Was in Chemnitz versäumt worden ist, kann ich nicht eindeutig beantworten. Ich habe im Alltag eine gute und gesicherte Situation in der Stadt wahrgenommen. Die Technische Universität ist diejenige mit dem größten proportionalen Ausländeranteil aller sächsischen Universitäten. Die hiesige Industrie giert nach den Fachkräften, die auch aus dem Ausland hierher kommen. Es sind viele Karrieren über Nationen verteilt in der Stadt präsent. 

Es erfüllt uns mit Trauer, dass ein Mensch getötet worden ist. Wie dann innerhalb kürzester Zeit eine Instrumentalisierung dieses Verbrechens stattfand, dass es zur Bedrohung von Ausländern gekommen ist, ist nach wie vor ein Schock und treibt diese Stadt besonders um.

Welche Rolle spielt die Kultur im Umgang mit Rechtsextremismus? 

Zum einen ist die Kultur immer auch ein Appell an Humanität und gegen Rassismus und Extremismus. Diese Verständigung ist eine der Kunst innewohnende Kraft. Darüber hinaus braucht es jetzt verstärkt Angebote, die eine Partizipation der Teilnehmer ermöglichen. Das können Bürgerbühnen sein oder bestimmte Formate, die auch wirklich ein Gespräch im Kulturort Theater ermöglichen. 

Ich glaube, was die Kultur außerdem leisten kann, ist die überregionale und internationale Vernetzung, ohne dass sie mit dem Zeigefinger erfolgt. Wir haben sofort so viele Anrufe bekommen von Künstlerkollegen aus ganz Deutschland. Dieses Interesse unterstreicht, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht nur Chemnitz betrifft. 

Können Sie von anderen Städten mit ähnlichen Problemen lernen?

Wir können sehr gut unter anderem von den Dresdner Erfahrungen lernen. Aber auch wir in Chemnitz starten nicht bei Null. Ich berichte in diesem Zusammenhang gerne von dem Chemnitzer Friedenstag, an dem der Zerstörung der Stadt am 5. März 1945 gedacht wird. Über viele Jahre haben Rechtsextremisten versucht, an diesem Tag die Stadt als Aufmarschgebiet zu missbrauchen. Durch das Zusammenwirken vieler Gruppen aus Sport, Bildung, Kultur und Wirtschaft, ist es gelungen, dies zu verhindern. Wir haben hier schon hervorragende Netzwerke, die jetzt wieder aktiviert werden müssen. 

Nach dem Gratiskonzert am Montag, zu dem rund 60.000 Menschen aus ganz Deutschland kamen, spielen die Chemnitzer Theater an diesem Freitagabend Beethovens 9. Sinfonie auf dem Theaterplatz. Wie kam es zu der Initiative?

Auch wir wollen ein gemeinschaftsstärkendes Signal senden, eine Art Loslaufen des Immunsystems dieser Stadt von innen heraus. Wir haben einige befreundete Theater angeschrieben und um Verstärkung gebeten. Unser eigentlich 40 Personen umfassende Opernchor wird heute mit über 260 Sängern aus dem gesamten Bundesgebiet auftreten. Darüber hinaus sind alle Sparten des Hauses beteiligt, es gibt Beiträge des Figurentheaters, des Schauspiels, des Balletts, es sind wirklich alle dabei.  

Dr. Christoph Dittrich ist Generalintendant der Städtischen Theater Chemnitz.

Das Gespräch führte Paula Rösler.