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Kunst

Christos Reichstagsverhüllung

Gaby Reucher
24. Juni 2015

Die Verhüllung des Berliner Reichstags war eine von Christos spektakulärsten Kunstaktionen. Sie lockte vor 20 Jahren fünf Millionen Besucher in die Hauptstadt. Ein Massenspektakel, das bis heute nachwirkt.

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Bildergalerie 20 Jahre Reichstagsverhüllung Christo
Bild: picture-alliance/AP Photo

Für seine Kunstprojekte braucht Christo vor allem drei wichtige Eigenschaften: Geduld, Beharrlichkeit und Überzeugungskraft. Für die "Verhüllung des Berliner Reichstags" wurden diese Eigenschaften auf eine harte Probe gestellt. 23 Jahre lang kämpfte Christo um die Verwirklichung seiner Kunstaktion. Der geschichtsträchtige Bau faszinierte ihn als Symbol der Freiheit, weil von dort 1918 die Republik ausgerufen wurde. Außerdem lag das Gebäude direkt an der Berliner Mauer, gegen die Christo schon 1962 mit seinem Projekt "Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang" protestiert hatte. Damals hatte er 441 Ölfässer gestapelt und die Pariser Rue Visconti versperrt, um so seinen Unmut gegen das DDR-Regime und den Bau der Berliner Mauer auszudrücken.

Professionelle Kletterer rollen die Stoffplanen ab
Professionelle Kletterer rollen die Stoffplanen abBild: picture alliance/dpa/W. Kumm

Die Idee, das Berliner Reichstagsgebäude zu verhüllen, war begleitet von heftigen Kontroversen. Als staatliches Symbol der Deutschen solle der Reichstag das Volk einen und nicht durch eine umstrittene künstlerische Aktion polarisieren, meinten viele Anhänger der Christdemokratischen Partei (CDU). Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth fand, dass gerade die Verhüllung die ambivalente Geschichte dieses Gebäudes erst sichtbar machen würde. Als der Bundestag am 25. Februar 1994 endlich für die Kunstaktion stimmte, war das für Christo ein großer Moment: "Bis 1989 war der Reichtag ein Mausoleum, ein Gebäude ohne Zukunft, eine schlafende Schönheit. Das Aufregende ist, dass wir das Projekt Reichstag in diesem Moment der Umstrukturierung realisieren und dass wir diese Umgestaltung physikalisch demonstrieren können."

Enthüllen durch Verbergen

Christo hat als Vertreter der sogenannten "Land Art" gemeinsam mit seiner 2009 verstorbenen Frau Jeanne-Claude spektakuläre Verhüllungs- und Gestaltungsaktionen von Gebäuden, Parks und ganzen Landstrichen in Angriff genommen. In den 60er Jahren, einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, hatte die "Land Art" eine politische Dimension. Es war der Protest gegen das Besitzbürgertum. Geografischer Raum wurde zu einem Kunstwerk verwandelt, das man nicht ausstellen oder besitzen konnte.

Orange Tore im Central Park New York
"The Gates", ein Projekt in New York, auf das Christo sogar 25 Jahre warten musste.Bild: picture-alliance/Schroewig/Graylock

Diese Idee schwingt auch in Christos Werken mit, wobei er heute seine groß angelegten Projekte ohne ihre Kommerzialisierung gar nicht verwirklichen könnte. Die Großprojekte im Freien sind bewusst nur kurze Zeit zu sehen, dafür aber öffentlich und für alle kostenfrei zugänglich. "Dass sie verschwinden ist ein Teil des ästhetischen Konzeptes. Dadurch sind sie tief verwurzelt mit der Freiheit, denn die Freiheit ist Feind des Besitzes und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauerhaftigkeit", sagte Christo im Zuge der Arbeiten am Berliner Reichstag.

Freiheit als zentraler Begriff

Freiheit ist ein zentraler Begriff für den einstigen Flüchtling aus Bulgarien. Deshalb bleibt er bei all seinen Projekten finanziell unabhängig und finanziert sie selbst aus dem Verkauf von Skizzen, kleineren Objekten und signierten Fotos. In Sofia hatte der gebürtige Bulgare Christo Vladimiroff Javacheff in den fünfziger Jahren Malerei, Bildhauerei und Architektur studiert. 1956 floh er über die tschechoslowakische Grenze. In Paris fand er Anfang der 60er Jahre Anschluss an die Künstlergruppe der "nouveaux réalistes", der neuen Realisten. Sie wollten wie er die Wirklichkeit mit anderen Augen sehen, die Gesellschaft aufrütteln, indem sie mit neuen Techniken und Materialien Objekte aus der Realität in die Kunst integrierten und verfremdeten.

Über 1000 baue Schirme soweit das Auge reicht auf japanischem Grasland
Auch nur ein Kunstwerk auf Zeit: "The Umbrellas", 3000 Schirme in Japan und KalifornienBild: Getty Images/Gamma-Rapho/K. Kaku

Das Einwickeln, Verhüllen oder Verkleiden von Gegenständen wie Dosen, Flaschen, und Kisten war schon immer Christos Markenzeichen. Die Deutung seiner Kunst hat er dabei anderen überlassen. Er wollte die Neugierde des Betrachters wecken, genauer hinzuschauen und so Neues im Verborgenen zu entdecken. Christos Biograph David Bourdon spricht vom "Enthüllen durch Verbergen". Parallel hielt sich Christo mit Porträtmalerei über Wasser. In dieser Zeit lernte er Jeanne-Claude kennen. Zufällig war sie am gleichen Tag wie er geboren, am 13. Juni 1935.

Christo & Jeanne-Claude

Christos künstlerische Begabung ergänzte Jeanne-Claude durch ihr Organisationstalent. Gemeinsam planten sie groß angelegte Projekte wie etwa 1969 die Verhüllung eines Teils der Küste von Australien oder den überdimensionalen Vorhang durch ein Tal in Colorado "Valley Curtain" Anfang der 70er. Spektakulär auch in den 80ern die rosa ummantelten Inseln "Surrounded Islands" von Florida. Anfang der 90er ein weiteres Superlativ: Christo und Jeanne-Claude ließen 3000 blaue und gelbe Sonnenschirme in Kalifornien und Japan aufstellen unter dem Titel "The Umbrellas".

Christo und Jeanne-Claude zeigen auf eine Reichstagszeichnung
Christo und Jeanne-Claude mit ihrer Ausstellung "Wrapped Reichstag"Bild: picture alliance/AP Photo/J. Finck

Hausfotograf Wolfgang Volz hat seit 1972 die Entwicklung der überdimensionalen Projekte mit erlebt: "Mit der wachsenden Größe der Projekte wurde die 'Arbeitsfamilie' anders. Es wurden Ingenieure, professionelle Kletterer und andere Spezialisten benötigt." Volz selbst arbeitete nicht nur als Exklusiv-Fotograf für Christo und Jeanne-Claude, sondern auch als Projektleiter. Die Reichstagsverhüllung 1995 war für ihn der Höhepunkt. "Ich hatte 1500 Angestellte. Das war eine große Last, aber eine tolle Sache zugleich."

Projekt Berliner Reichstag

90 Berufskletterer ließen rund 100.000 Quadratmeter feuerfesten Kunststoff an den Fassaden des Reichstags herunter. Kletterer umspannten und verschnürten das Ganze mit kilometerlangen Seilen. Fünf Millionen Menschen besuchten dann in zwei Wochen das Spektakel, befühlten und bestaunten den silbrig glitzernden Stoff und tanzten auf der Wiese vor dem Reichstag: Ein Happening, auch für Volz: "Fünf Millionen Besucher in zwei Wochen, das war Weltrekord für ein kulturelles Ereignis in so kurzer Zeit". Bei aller politischen Ambition, stand am Ende das Massenspektakel "Verhüllter Reichstag" im Vordergrund. Die Faszination der Massen ist durchaus gewollt. Jeanne-Claude fasste es gerne in einem Satz zusammen: "Wir machen Kunst auf Zeit, dessen Inhalt Freude und Schönheit ist".

Der verhüllte Reichstag von oben
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Ausstellung "Wrapped Reichstag"

Fast so lange wie die Diskussion um die Reichstagsverhüllung dauerte es, die damals begleitende Ausstellung "Wrapped Reichstag" wieder zurück nach Berlin zu holen. Nur durch den Unternehmer und Kunstmäzen Lars Windhorst wird das in diesem Herbst gelingen. Er hat Christos Sammlung aufgekauft und stellt das Konvolut dem Bundestag für die nächsten 20 Jahre als Leihgabe zur Verfügung. Dazu gehören 320 Zeichnungen, Modelle, Collagen und Fotos sowie Stoffreste, Taue und Haken von damals. Nach der Sommerpause des Parlaments will Christo die Ausstellung dann eigenhändig mit aufbauen, um sich und seiner verstorbenen Muse Jeanne-Claude den Wunsch zu erfüllen, die Erinnerung an den "Verhüllten Reichstag" lebendig zu halten.