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Die Wahrheit kann tödliche Folgen haben

12. August 2009

Unter den Opfern sind kritische Journalistinnen und Journalisten ebenso wie engagierte Anwälte. Die Täter können oft entkommen, und die Hintermänner bleiben im Dunkeln.

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Menschen trauern an einem orthodoxen Holzkreuz um Anna Politkowskaya (Foto AP)
Bild: AP
Ein Plakat mit der Aufschrift "In vielen Ländern ist die Wahrheit tödlich" hängt am 7. Oktober 2007 vor der russischen Botschaft in Berlin neben einem Foto der ermordeten Anna Politkowskaja. (Foto: AP)
Am 7. Oktober 2007 vor der russischen Botschaft in BerlinBild: AP

Als am 7. Oktober 2006, dem Geburtstag des damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin, die russisch-amerikanische Journalistin Anna Politkowskaja im Treppenhaus ihrer Wohnung getötet aufgefunden wurde, war bei vielen Menschen im Westen die Empörung groß. Auch die Bemerkung Putins, der Tod von Anna Politkowskaja sei schädlicher als alle ihre Berichte, sorgte für Wirbel und signalisierten zugleich das begrenzte Maß an Trauer, das der russische Präsident angesichts des Todes der Regimekritikerin aufbringen konnte.

Die vergitterte Anklagebank im Mordprozess im Februar 2009. (Foto: AP)
Der Mordprozess im Februar 2009Bild: AP

Drei Jahre nach dem Mord kam es zum Prozess gegen die mutmaßlichen Täter, nachdem sich einer der Verdächtigen ins Ausland hatte absetzen können. Der Prozess endete mit Freisprüchen, die aber wegen Verfahrensfehlern am 25. Juni 2009 wieder aufgehoben wurden. Während dieses Prozesses war der Rechtsanwalt der Familie Politkowskaja am 19. Januar 2009 ermordet worden. Stanislaw Markelov war einer der bekanntesten Anwälte für Menschenrechtler, der auch andere Opfer vor russischen Gerichten vertreten hatte. Über den ermordeten Rechtsanwalt führt die Spur zu einem weiteren prominenten Opfer:

Natalja Estemirowa war Mitarbeiterin der Organisation Memorial und wurde erschossen. (Foto: ITAR-TASS)
Erschossen: Natalja EstemirowaBild: picture-alliance/ dpa

Natalja Estemirowa gehörte zum Freundeskreis Anna Politkowskajas, hatte wie sie über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet und wurde Mitte Juli 2009 Opfer eines Mordanschlags. Kurz zuvor hatte sie über die Hinrichtung eines angeblichen Rebellen durch Regierungssoldaten im Internet berichtet.

Einschüchtern ließ sie sich nicht

Ganz im Gegenteil: Die Gefahr, der sie sich aussetzte, war ihr durchaus bewußt. Es sei ihre Arbeit, sich um ungeklärte Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zu kümmern. "Wir werden den Menschen hier helfen, koste es, was es wolle!", diktierte sie Journalisten in die Mikrophone. Ihre massive Kritik an den Verhältnissen in Tschetschenien und darüberhinaus in Russland insgesamt, brachte sie offenbar auf die schwarzen Listen des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow.

Ihre Haltung brachte sie in Lebensgefahr. Am 15. Juli 2009 machte sie sich auf den Weg zum Staatswanwalt, als neben ihr ein Wagen hielt, zwei Männer heraussprangen und sie gewaltsam in das Auto zerrten. Trotz Straßensperren und Kontrollposten ging es in wilder Fahrt ins benachbarte Inguschetien. Wenig später wurde die Menschenrechtlerin mit zahlreichen Schusswunden in Kopf und Brust tot aufgefunden.

Ebenfalls erschossen: Ein Kronzeuge

Freunde und Menschenrechtsorganisationen sehen zwischen ihrem Tod und dem tschetschenischen Präsidenten und Statthalter Moskaus, Ramsan Kadyrow, einen Zusammenhang. Angeblich soll der Präsident eine Liste angefertigt haben, auf der mehr als 500 Personen verzeichnet sind, die umgebracht werden sollten. Zu ihnen gehörte auch Umar Israilov, ein tschetschenischer Flüchtling, der am 13. Januar 2009 in Wien auf offener Straße von drei Tätern umgebracht worden war. An seinem Tod hatte Präsident Kadyrow durchaus Interesse, denn Israilov war als Kronzeuge gegen ihn in einem Prozess wegen Folter aufgerufen worden.

Mahnwache in Berlin im Januar 2009 für den ermordeten Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasia Baburowa. (Foto: AP)
Mahnwache in Berlin für Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa.Bild: AP

Israilov wurde von Stanislaw Markelow rechtsanwaltlich vertreten. Von jenem Rechtsanwalt also, der sechs Tage nach der Ermordung des Kronzeugen Israilov ebenfalls sterben musste. Für den Tod des Reachtsanwaltes gibt es ebenfalls eine "Begründung", denn er besaß ein Dokument, das den Präsidenten schwer belastete. Umar Israilov hatte eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, nach der Kadyrow persönlich ihn Tage lang mit Elektroschocks gequält habe. Nun waren beide tot und die Anklage um ein Argument ärmer.

Eine Woche nach dem Anschlag auf Natalja Estemirowa wurde ein weiteres Mordopfer gefunden: Andrej Kulagin. Kulagin galt seit Mai 2009 als "verschwunden". Weder Freunde noch Kollegen hatten ein Lebenszeichen erhalten. Im Juli 2009 fand man seine Leiche in einer Sandgrube in der nordwestrussischen Teilrepublik Karelien.

Der Menschenrechtler Andrej Kulagin - seine Leiche wurde in Karelien gefunden.
Andrej KulaginBild: Spravedlivos

Kulagin hatte als Regionalleiter der Menschenrechtsorganisation "Gerechtigkeit" in Karelien gearbeitet und war den Behörden ein Dorn im Auge. Am 14. Mai hatte er abends sein Haus verlassen, um sich zu einem telefonisch verabredeten Termin mit einem Informanten zu begeben. Ein Taxifahrer brachte ihn zu einem Cafe, und dort verliert sich seine Spur. Kollegen vermuten, er sei wegen seiner beruflichen Tätigkeit ermordet worden.

Autor: Mathias von Hellfeld
Redaktion: Hartmut Lüning