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Communio und Communities

31. Dezember 2012

In rasantem Tempo entstehen neue Gemeinschaften: Internet Communities. Gleichzeitig gibt es einen Rückzug in die eigene überschaubare Gruppe. Eine heikle Gratwanderung, findet Marko Kuhn von der katholischen Kirche.

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Gemeinschaft
GemeinschaftBild: Fotolia/Frog 974

Wenn Sie diesen Beitrag zum Neuen Jahr aus dem Internet abrufen und eventuell sogar darauf reagieren, dann sind Sie vielleicht schon Teil dessen, was man auf Englisch „Internet Community“ und auf Deutsch „Netzgemeinde“ nennt.

Mit großer Geschwindigkeit hat die neue Kommunikation im Internet neue Formen von Gemeinschaft, neue Zugehörigkeiten und neue Möglichkeiten hervorgebracht, sich an Diskussionen zu beteiligen. Gewiss, an vielen von uns geht das vorbei und noch längst nicht alle sind Mitglieder der neuen „sozialen Netzwerke“. Doch selbst diejenigen, die Facebook, Twitter oder YouTube gar nicht nutzen, bekommen über die Fernesehnachrichten inzwischen Videos gezeigt, die zunächst über das Internet verbreitet wurden – etwa wenn in Bürgerkriegen oder in Diktaturen keine andere Berichterstattung möglich ist.

Wertebasis der Communities

Wenn schon vorher durch weltweites Wirtschaften und leichteres Reisen die Welt zu einem globalen Dorf geworden war, so hat das Internet, vor allem das so genannte „Netz 2.0“, diesen Prozess noch einmal rasant beschleunigt.

Als Christ stelle ich mir hier die Frage, auf welcher Basis und auf welchen Werten diese neue Gemeinschaft und Gemeinde aufgebaut ist. Denn es wäre ja großartig, wenn damit auch das Gefühl der weltweiten Zusammengehörigkeit gestiegen wäre, wenn wir weltweit solidarischer, weniger feindschaftlich leben könnten und freundschaftlich zusammenwachsen würden.

Leider beobachte ich aber auch, dass in einer globalisierten Welt der Rückzug auf die eigene, kleine Gruppe, die ethnische oder nationalistische Gemeinschaft wieder zunimmt. Da haben Menschen Angst, ihre Identität zu verlieren in einer immer unübersichtlicheren und unsicheren Welt. Und aus dieser Angst heraus ziehen sie sich zurück in ihren Kokon, ihre kleine, anscheinend sichere und abgegrenzte Gruppe. Viel Streit und Leid entsteht dadurch und viele werden ausgegrenzt, enttäuscht, aufgestachelt zum Hass.

Wegweisende Communio-Theologie

Im vergangenen Jahr feierten wir den 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Diese Versammlung war für die katholische Kirche wegweisend und zukunftsweisend, denn Sie hat versucht, die Lehre und Praxis mit der modernen Gesellschaft und den veränderten Bedingungen zusammenzubringen, in der die Christen leben.

Bei diesem Konzil spielte ein theologischer Ansatz eine wichtige Rolle, den man „Communio-Theologie“ nennt. Ins Zentrum der Kirche wurde der Begriff der Communio, der Gemeinschaft gerückt, die Gemeinschaft von uns Menschen mit Gott, aber auch die Gemeinschaft der Menschen untereinander. Dazu gehörte eine neue Sicht auf die anderen Religionen und Kulturen, den Dialog in der Kirche aber auch unter den Konfessionen und Religionen.
Und so weist die Erinnerung an dieses Konzil in die Zukunft, in das Jahr 2013 und auf das, was wir brauchen: Wirkliche Gemeinschaft, damit wir uns wahrhaftig und geschwisterlich begegnen können.

Weltweite Solidarität im Bewusstsein der eigenen Wurzeln

Das wünsche ich mir nämlich und Ihnen allen für das neue Jahr: Dass wir die Wärme der Gemeinschaft spüren können, damit wir zu uns selber finden und den Mitmenschen Halt und Geborgenheit geben. Dass wir weltweite Solidarität leben können, weil wir wissen, wo wir herkommen und wo wir hingehören. Dass wir in der Welt der neuen technischen Möglichkeiten unseren Platz haben, als Teil der Netzgemeinde und als Teil der Gemeinschaft vor Ort. Dass wir uns nicht in unsere kleine, scheinbar heile Gruppe flüchten, uns nicht abgrenzen müssen vor den Anderen, dass wir aber auch nicht verloren gehen im globalen Computer- und Wirtschaftsnetz, in der Unübersichtlichkeit einer rein elektronischen Welt.

Die ethnischen oder nationalen „Communities“ brauchen die „Communio“, die Gemeinschaft in Solidarität und auch unsere eigenen Gruppen, Szenen und Vereinigungen brauchen den Sinn für das, was uns verbindet und zusammenhält. Das zweite Vatikanische Konzil und die christliche Botschaft können Leitfäden sein für die Suche nach Gemeinschaft und Gemeinsamkeit. Für ein friedliches, frohes und gemeinschaftliches Jahr 2013.

Marko Kuhn, Königswinter
Dr. Marko KuhnBild: Dr. Silvia Becker

Zum Autor:

Dr. Marko Kuhn hat in Freiburg und Tübingen Theologie studiert. Er promovierte 2006 mit einer Arbeit zu den Afrikanischen Unabhängigen Kirchen. Seit 2007 ist er Referatsleiter Afrika beim Katholischen Akademischen Ausländerdienst in Bonn.