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Gastland Finnland auf der Buchmesse

Holger Heimann6. Oktober 2014

Noch nie wurden so viele Titel aus dem Finnischen ins Deutsche übersetzt wie jetzt. Womöglich korrigieren sie unser Bild von Finnland. Viele Romane setzen sich drastisch mit den Kriegen des 20. Jahrhunderts auseinander.

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Deutschland Frankfurter Buchmesse 2014 Finnland als Gast: Pavillon (Foto: "FILI/Matti Mikkilä".)
Bild: FILI/Matti Mikkilä

Finnland auf der Frankfurter Buchmesse

"Finnland. Cool" - so ist der diesjährige Auftritt des Ehrengastes auf der Buchmesse überschrieben. Und als unterkühlt und schräg wurden die Finnen auch stets gern porträtiert - ob in Büchern oder Filmen. Es ist eine Tradition, die durchaus fortgeschrieben wird. In den neuen Krimis von Autoren wie Matti Rönkä und Markku Ropponen etwa begegnet man entweder betont lässigen oder skurril-humorigen Ermittlern. Doch die Tonlage der gesamten finnischen Literatur, die in Frankfurt vorgestellt wird, bestimmen sie nicht.

Klassiker und Nobelpreisträger

Rund 5.000 Titel erscheinen jährlich in Finnland, 130 davon wurden jetzt ins Deutsche übertragen, darunter auch Neuübersetzungen von Klassikern. Der Roman "Frommes Elend" von dem bei uns kaum bekannten, einzigen finnischen Literaturnobelpreisträger Frans Eemil Sillanpää ist so ein Klassiker, auch Aleksis Kivis Großerzählung "Sieben Brüder". Nahezu 80 Autoren wollen zur Messe anreisen - deren Werke lassen sich schwerlich unter einem Label zusammenfassen, zu vielgestaltig sind die Sujets und Schreibweisen.

Der finnische Minister für Kultur und Sport, Paavo Arhinmäki (l-r), Iris Schwanck, Direktorin von "Finnland. Cool.", der Autor Roman Schatz und Buchmesse-Direktor Juergen Boos blicken am 10.10.2013 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen) am Rande einer Pressekonferenz in die Runde. (Foto: dpa)
Finnlands Kulturminister Paavo Arhinmäki, Iris Schwanck, Direktorin von "Finnland. Cool.", der Autor Roman Schatz und Buchmesse-Direktor Juergen Boos (von l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa

Dennoch gibt es in der gegenwärtigen finnischen Literatur ein beherrschendes Thema, es sind die Gewalteruptionen des 20. Jahrhunderts. Da ist mithin der Zweite Weltkrieg, in dessen Fortgang sich Finnland erst mit den Deutschen verbündete und später mit den Russen eine Übereinkunft suchen musste. Noch stärker aber hat wohl der Bürgerkrieg 1918, als Folge einer gespaltenen Nation nach dem Ersten Weltkrieg, Geschicke und Seelenlage des kleinen Landes bestimmt.

Trauma und Tabu

Für den Schriftsteller Kjell Westö ist es "das dunkelste Kapitel in der Geschichte Finnlands". Die blutigen Kämpfe zwischen den sozialistischen "Roten" und den bürgerlichen "Weißen" hätten in jeder Familie Spuren hinterlassen. Nach seinem Buch "Wo wir einst gingen" kehrt Westö mit seinem neuen Roman "Das Trugbild" nun in diese düstere Zeit zurück.

Kjell Westö (Foto: dpa)
Kjell WestöBild: picture-alliance/dpa

Die Haupthandlung des wie ein Kammerspiel anmutenden Buches ist zwar 1938 angesiedelt und erzählt von der scheuen Zuneigung des Helsinkier Anwalts und liberalen Intellektuellen Claes Thune zu seiner Sekretärin Matilda Wiik, doch ausführliche Rückblenden führen immer wieder in das Jahr 1918: Weil sie für die Rote Garde arbeitete, wurde Matilda in ein Lager gebracht, gedemütigt, vergewaltigt. Ihr Schicksal steht beispielhaft für das vieler junger Frauen zur damaligen Zeit.

Der Bürgerkrieg 1918 sei Trauma und Tabu zugleich gewesen, sagt denn auch Leena Lander: "Es war lange Zeit nicht möglich, offen über die Toten, die Gewalt zu sprechen." In ihrem Roman "Das Sonntagsmädchen" schildert die Autorin, wie eine Gemeinschaft im Südwesten Finnlands auseinander bricht und Nachbarn plötzlich zu Feinden werden. Lander, die mit dem Schriftsteller Hannu Raittila verheiratet ist, hat sich für ihr Porträt eines Dorfes in grausamen Zeiten eng an tatsächliche Geschehnisse gehalten. Mit ihrem Schreiben verbindet sie die Frage: "Was hätte ich getan, was meine Familie? Wären wir Helden gewesen oder Killer?"

Leena Lander (Foto: Effigie/Leemage)
Leena LanderBild: picture alliance / Effigie/Leemage

Bestseller: Oksanen an der Spitze

Vergangene Epochen holt auch Sofi Oksanen in ihre Bücher. Schauplatz ihrer Romane ist jedoch nicht Finnland, sondern Estland, wo ihre Mutter geboren wurde. Das Schreibprojekt der zur Zeit gefragtesten finnischen Autorin über das schwierige Bestehen einer Nation, die sich fortwährend den strategischen Interessen fremder Mächte ausgesetzt sah, ist noch unabgeschlossen. Vier Bände plant Oksanen. Mit dem zweiten Teil "Fegefeuer", der 2010 auf Deutsch herauskam, gelangte sie zu internationalem Ruhm. Im jetzt erschienenen dritten Teil "Als die Tauben verschwanden" verfolgt sie den Aufstieg eines skrupellosen Kollaborateurs, der sich erst mit den Deutschen, später mit den Russen zu arrangieren weiß.

Die finnische Schriftstellerin Katja Kettu (Foto: Ofer Amir/Verlag Galiani Berlin)
Katja KettuBild: picture-alliance/dpa

Auch Katja Kettu zählt zu einer jungen Autorengeneration in Finnland, die von der eigenen Familiengeschichte eingeholt und inspiriert wurde. Die auch als Sängern einer Band populäre finnische Künstlerin schildert in ihrem Roman "Wildauge" mit expressionistischem Furor die Liebesgeschichte zwischen einem vom Morden traumatisierten SS-Soldaten und einer finnischen Hebamme in Lappland. Vorbild für die Hauptfigur ist Kettus Großmutter, deren Briefe die Autorin zu dem Roman anregten. 80.000 Mal hat sich ihr Buch in Finnland bereits verkauft - bei einer Einwohnerzahl von 5,4 Millionen bemerkenswert.

Historie und Gegenwart

Hundert Jahre, so glaubt Kjell Westö, dauert es, bis man über einen Krieg, insbesondere einen Bürgerkrieg, objektiv und ruhig reden kann. Wenn das stimmt, dann wäre jetzt dafür tatsächlich genau die richtige Zeit in Finnland. In der Kunst des nordischen Landes ist die Vergangenheit jedenfalls so gegenwärtig wie kaum je zuvor.

Neben Schriftstellern beschäftigen sich Filmemacher, Regisseure und Maler mit den Kriegen, die soziale Bindungen so brutal wie nachhaltig zerstört haben. Zu solch intensiver Auseinandersetzung mag beitragen, dass Finnlands großer Nachbar Russland immer unberechenbarer und aggressiver zu agieren scheint und somit ungeliebte Erinnerungen lebendig werden lässt.

Deutschland Buchmesse Frankfurt 2014 Finnland Ehrengast (Foto: dpa)
Auch finnische Kinderbücher sind populärBild: picture-alliance/dpa

Die Frankfurter Buchmesse wird nun jedenfalls darüber Aufschluss geben, welche Beachtung die Konzentration der Finnen auf ihre Geschichte außerhalb des kleinen Landes findet. Womöglich führt der Besuch der Skandinavier in Frankfurt dazu, dass unser Bild von Finnland ganz neue Schattierungen bekommt.

Zum Weiterlesen:

Katja Kettu: "Wildauge". Roman, übersetzt von Angela Plöger. Verlag Galiani Berlin, 416 Seiten, 19,99 Euro; Aleksis Kivi: "Sieben Brüder", übersetzt von Gisbert Jänicke. Jung und Jung Verlag, 438 Seiten, 29,90 Euro; Leena Lander: "Das Sonntagsmädchen". Roman, übersetzt von Stefan Moster. btb-Taschenbuch, 462 Seien, 9,99 Euro; Sofi Oksanen: "Als die Tauben verschwanden". Roman, übersetzt von Angela Plöger. Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 19,99 Euro; Matti Rönkä: "Finnische Freunde. Drei Viktor Kärppä Krimis". Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara. Bastei Lübbe, 720 Seiten, 10 Euro; Markku Ropponen: "Faule Finnen fangen keine Fische". Übersetzt von Stefan Moster, Piper-Taschenbuch, 452 Seiten 9,99 Euro; Frans Eemil Sillanpää : "Frommes Elend", übersetzt von Reetta Karjalainen und Anu Katariina Lindemann. Guggolz Verlag, 286 Seiten, 24 Euro; Kjell Westö: "Das Trugbild". Roman, aus dem Finnlandschwedischen von Paul Berf. btb Verlag, 422 Seiten, 19,99 Euro