1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Corona-Desinformation: dieselben Muster

Christopher Nehring
21. März 2020

Nutzt Moskau die Coronakrise zu politischen Zwecken? Desinformations-Jäger der Europäischen Union listen Hunderte Falschmeldungen russischen Ursprungs über das neue Coronavirus und Covid-19.

https://p.dw.com/p/3Zpee
Symbolbild - Fake / Fakt
Bild: Imago Images/S. Steinach

Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht im Zusammenhang mit Corona bereits von einer "Infodemie". Nicht nur das Virus, sondern auch eine immer größere Menge an Informationen gehen um die Welt. Viele Informationen sind jedoch reine Desinformation und werden als Mittel zur politischen Einflussnahme eingesetzt.

Besonders aktiv auf diesem Gebiet ist Russland. Hunderte Fälle von Corona-Desinformation verzeichnet ein Bericht der Task Force "Strategische Kommunikation" des Europäischen Auswärtigen Dienstes EEAS. Alleine zwischen dem 22. Januar und 19. März 2020 listen die Desinformations-Jäger der EU über 110  falscher Meldungen russischen Ursprungs über das Corona-Virus. Die Autoren und die Botschaften sind dabei immer wieder dieselben - und haben im System russischer Einflussnahme im Ausland eine lange Tradition.

Geheime Verschwörungen und künstlicher Corona-Ursprung

Einige "Highlights" aus dem Angebot der Verschwörungstheorien und Desinformation über Corona hat die DW bereits vor zwei Wochen vorgestellt. Laut dem Bericht der EU hebt die aktuelle russische Desinformationskampagne vor allem auf eines ab: einen angeblichen künstlichen Ursprung des Virus, der zu einem niederen politischen Zweck eingesetzt wird. Plattformen wie "southfront.org" oder "RT" und "Sputnik" werden von der EU besonders oft als Urheber und Multiplikatoren dieser Botschaft genannt.

Dabei variieren die einzelnen Meldung, mal stecken "geheime Eliten" hinter Corona, mal die USA und mal die Pharmaindustrie. Aber immer gilt: Nichts ist wie es scheint oder wie Regierungen, Gesundheitsbehörden und Medien es darstellen. Die Ziele dahinter benennt die EU klar: Verwirrung stiften, Vertrauen in Regierungen, Medien, Behörden und "das System" zu schwächen, Misstrauen und Zwietracht zwischen EU, Mitgliedstaaten oder den USA stiften. Willkommen im Reich der Verschwörungstheorien, willkommen zurück in der Propaganda des Kalten Krieges!

Aus dem Maschinenraum der sowjetisch-russischen Propaganda

Nicht nur der EU, sondern auch Wissenschaftlern wie Thomas Rid von der John Hopkins University fällt auf, dass sich russische Einflussnahme seit den Tagen des Kalten Krieges kaum verändert hat. Dies bietet in der aktuellen Krise die Möglichkeit, Hintergründe und Mechanismen zu beleuchten. Wie also funktioniert russische Desinformation?

Verifizierung von Desinformation
Desinformation: die Muster sind immer dieselbenBild: picture-alliance/AP Photo/D. Goldman

Grundsätzlich griff schon der Propaganda-Apparat der Sowjetunion auf drei Arten der Desinformation zurück: weiße, graue und schwarze. Weiße Propaganda kam und kommt aus offen zu erkennenden staatlichen Kanälen, also zum Beispiel dem Außenministerium, Pressemitteilungen oder Informationsabteilungen staatlicher Institutionen. Ein Beispiel für graue Propaganda ist der russische Auslandssender "RT" oder das Nachrichtendportal "Sputnik", beide kommen als reguläre Medieneinrichtungen daher, gelten jedoch als inoffizielle Sprachrohre.

Die "schwarze Propaganda" ist mit Abstand die komplizierteste, denn sie findet verdeckt statt. Im sowjetisch-russischen Sprachgebrauch wurde sie als "aktive Maßnahmen" bezeichnet. Im Idealfall werden dabei falsche, halbwahre oder bewusst verzerrende Informationen lanciert, ohne dass der russische Hintergrund überhaupt sichtbar wird. Organisatoren dieser "aktiven Maßnahmen" waren und sind zumeist Geheimdienste. Dabei steht eine Vielzahl an Mitteln zur Verfügung: Im analogen Zeitalter wurden Verlage, Informationsbüros, Zeitungen, Zeitschriften oder Broschüren gegründet, gedruckt, verteilt oder verschickt. Die Königsdisziplin jedoch war es, über geheime Kanäle wie "Einflussagenten" oder Kontaktpersonen Desinformation zu verbreiten. Dazu wurden Quellen in regulären westlichen Medien rekrutiert, die dann Informationen im russischen Sinn verbreiteten. Im digitalen Zeitalter hat diese aufwendige und langsame Methode der Einflussnahme an Bedeutung verloren. Stattdessen setzt zum Beispiel der russische Inlandsgeheimdienst FSB auf "Troll-Fabriken". In Tarnfirmen werden dort einerseits automatisierte Software und andererseits Menschen eingesetzt, um in der weiten Welt des Internet Informationen und Meldungen zu "pflanzen", zu liken, teilen und versenden.

Desinformation als strategisches Element

Als "Kunst" bezeichnete Sergej Ivanov, ehemaliger Leiter des Desinformations-Dienstes "A" im sowjetischen Geheimdienst KGB, die Durchführung aktiver Maßnahmen. Denn Inhalte mussten passgenau auf Situationen, Publikum und Medium zugeschnitten werden. Außerdem musste der sowjetische Ursprung unter allen Umständen verschleiert werden. Erst dadurch waren die aktiven Maßnahmen des KGB nicht auf den ersten Blick als sowjetische Desinformation zu erkennen. Ein wichtiges Ziel war es, Medien oder Persönlichkeiten im Westen dazu zu kriegen, eine oder mehrere Inhalte der Desinformation zu übernehmen. Wenn das klappte, konnte im Anschluss auf die westliche Quelle als vermeintlicher Ursprung verwiesen werden. Denn verdeckte und offene Propaganda wurden als Einheit gedacht und ergänzten sich wechselseitig. Aktive Maßnahmen griffen Inhalte der grauen Propaganda auf und umgekehrt. So wurde der wahre Urheber verschleiert, Wechselwirkungen geschaffen und möglichst viele unwissende Multiplikatoren miteinbezogen.

Und warum das Ganze? Die Komplexität sowjetischer und russischer Desinformation zeigt, wie viel der Kreml damals wie heute in diese Art der Informationspolitik investiert. Schon lange bevor die Begriffe wie "hybrider Krieg" oder "Informationskrieg" die Runde machten, setzten die Moskauer Machthaber Desinformation als strategisches Element ihrer Außenpolitik ein. Dabei gilt heute anscheinend immer noch die extreme Logik des Kalten Krieges: Da die Interessen Russlands in der Welt immer in Widerspruch zu denen der USA, NATO und EU erscheinen, ist jedes Mittel recht, um den Gegner zu schwächen, zu verwirren und seine Gesellschaft zu spalten. Dazu zählen auch unpolitische Erscheinungen wie Krankheiten, auch dann, wenn falsche Informationen Leben kosten können.