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Corona-Impfstoff: Biontech baut Kapazität aus

17. September 2020

Noch gibt es keinen Impfstoff gegen Corona. Doch wenn er einmal da ist, soll er auch massenhaft produziert werden können. Dafür kauft die Pharmafirma Biontech jetzt ein Werk mit großer und langer Tradition.

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Das Logo des Biotechnologie-Unternehmens "BioNTech" ist auf Fahnen vor der Unternehmenszentrale in Mainz zu sehen.
Bild: picture alliance/dpa

Für die Herstellung eines möglichen Corona-Impfstoffs will das Mainzer Unternehmen Biontech von dem Schweizer Pharmakonzern Novartis dessen Produktionsstätte in Marburg übernehmen. Das Geschäft soll noch vor Jahresende abgeschlossen werden und die Impfstoffproduktion in wenigen Wochen starten, wie das Unternehmen in einer Pressekonferenz mitteilte.

Think big

Biontech plant - unter Vorbehalt der behördlichen Genehmigung - in dem Werk bereits im ersten Halbjahr 2021 bis zu 250 Millionen Dosen des möglichen Impfstoffs herstellen zu können. 750 Millionen Dosen jährlich sollen möglich sein, sobald die Produktionsstätte voll funktionsfähig ist.

Die Anlage soll eine der größten Produktionsstätten in Europa für Boten-RNA (mRNA) werden, auf der der Impfstoff von Biontech basiert.

Über den Kaufpreis machten weder Biontech noch Novartis Angaben. Der Vertrag wurde am Mittwochabend unterzeichnet. Die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in Marburg bleiben laut Novartis von der Übernahme unberührt. In dem Werk in Marburg sind den Angaben zufolge rund 300 Mitarbeiter beschäftigt.

Zeitplan unverändert

Biontech und sein US-Partner Pfizer zählen zum Kreis der führenden Firmen im Rennen um einen Corona-Impfstoff. Beide Unternehmen hatten im Juli einen weltweiten Test zu dem möglichen Impfstoff mit derzeit 29.000 Probanden in 129 Studienzentren gestartet, primär finden diese in den USA, Brasilien, Argentinien und Deutschland statt. Bald sollen auch die Türkei und Südafrika hinzukommen und die Zahl der Studienteilnehmer auf 44.000 ansteigen.

Für die klinische Untersuchung der Phasen II/III - mit dem Ziel einer Überprüfung der Wirksamkeit sowie möglicher Nebenwirkungen und der Bestimmung der geeigneten Dosis - war der Wirkstoff BNT162b2 als Hauptkandidat ausgewählt worden.

Bislang seien die Ergebnisse sehr erfreulich: Die Wirksamkeit des Impfstoffs sei hoch, die Nebenwirkungen moderat, heißt es. Und die mehr als 30.0000 Probanden dienen als Nachweis der Sicherheit der Impfung, so Uğur Şahin von Biontech auf der Pressekonferenz. In dieser Größenordnung seien selbst seltene Nebenwirkungen auszumachen. "Wenn sich in der Studie herausstellt, dass der Impfstoff sicher ist, dann können wir davon ausgehen, dass das auch in der breiten Population der Fall ist." 

Infografik: Die Etappen der Impfstoffentwicklung

Trotzdem werden immer wieder Bedenken laut, was den mRNA-basierten Impfstoff und mögliche genetische Veränderungen betrifft. Doch Şahin zeigte sich auch hier überzeugt.

Das Mittel von Biontech basiere auf einer natürlichen Substanz, einer Boten-DNA, die der Körper schon kenne, weil sie in ähnlicher Form in menschlichen Zellen vorkommt. Nach der Stimulation zur Produktion von Antikörpern werde die Substanz im Körper abgebaut. Eine Schädigung des Erbguts durch einen Eingriff in die menschliche DNA gebe es erwiesenermaßen nicht.

Die Sicherheit und Verträglichkeit werden während des gesamten Verlaufs der Studie kontinuierlich überprüft, heißt es auf der Pressekonferenz. Die Probanden werden noch bis zu zwei Jahre nach den Tests beobachtet - um Nebenwirkungen und Wirksamkeit ständig zu prüfen.

Bei erfolgreichen Studienergebnissen planen Biontech und Pfizer, bereits Ende Oktober die Zulassung zu beantragen.

100 Jahre Tradition und Innovation

Die Produktionsstätte in Marburg hat eine 100 Jahre alte Tradition, wenn es um Innovationen geht: 1904 wurde sie als Behringwerke von Emil von Behring erbaut. Er entwickelte das Gegengift für Diphtherie und Tetanus und nutzte das Preisgeld, das er 1901 für seinen Nobelpreis in Medizin erhielt, um das Werk zu finanzieren.

Seit ihrer Gründung sind die Behringwerke führend, wenn es um pharmazeutische und biologische Innovationen wie die Herstellung von Impfstoffen geht. So entstand im Lauf der Jahre eine hochentwickelte Infrastruktur.

"Dieser Zukauf unterstreicht Biontechs Engagement, die Produktionskapazitäten erheblich zu erweitern, um nach Marktzulassung eine weltweite Versorgung mit einem potenziellen Impfstoff zu ermöglichen", so Finanzvorstand Sierk Poetting. "Wir arbeiten eng mit Novartis zusammen, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen."

Heinrich Moisa, Geschäftsführer von Novartis Deutschland, sagte: "Wir sind davon überzeugt, dass Biontech die richtigen Voraussetzungen vorfindet, um mitzuhelfen, die aktuell wohl größte globale Herausforderung zu bekämpfen und den Pharmastandort Marburg als wichtigen Teil der Pharma- und Impfstoffproduktion in Deutschland und Europa zu stärken."

Biontech will die Produktionsstätte künftig auch für die Herstellung weiterer Therapeutika und Impfstoffkandidaten nutzen, um seine Entwicklung von Arzneien zur Behandlung von Krebserkrankungen und Infektionskrankheiten voranzutreiben.

Der Corona-Impfstoff soll dort für den weltweiten Markt hergestellt werden, einschließlich China, wo Biontech mit Fosun Pharma zusammenarbeitet. Biontech hat bereits zwei zertifizierte Produktionsstätten, die derzeit Covid-19-Impfstoffkandidaten für klinische Studien herstellen, dazu kommen vier Stätten von Pfizer in den USA und Europa.

SARS-CoV-2-Impfung: Euphorie und Erwartung

Derzeit werden laut WHO 36 Impfstoffkandidaten im Rahmen von klinischen Studien erstmals an Menschen erprobt, insgesamt gibt es über 170 Projekte für die Entwicklung von SARS-CoV-2-Impfstoffen - da den Überblick zu behalten, fällt schwer.

Insbesondere, wenn sich derweil Nachrichten in puncto Zulassung überschlagen. So versprach US-Präsident Donald Trump seinen Landsleuten schon sehr bald einen COVID-19-Impfstoff in ausreichender Menge und Russland scheint mit Sputnik V sein eigenes Ding durchzuziehen.

Infografik: Marktanteile Impfstoffproduzenten

Doch selbst wenn es bald einen Impfstoff geben sollte, ist damit längst nicht sicher, dass dann alles wieder gut ist. "Ich persönlich wäre schon zufrieden, wenn es einen sicheren Impfstoff gäbe, der meinetwegen alle zwei Jahre aufgefrischt werden muss, der aber eine massive Wirkung auf den Verlauf hat", so der Immunologe Thomas Kamradt im DW-Gespräch.

"Vielleicht verhindert die Impfung nicht, dass man einen Schnupfen oder andere leichte Symptome bekommt", so Kamradt. "Die Minimalanforderungen wären aber, dass sie eine Ateminsuffizienz und schwere Organschäden verhindern würde."

Indes warnt der Bonner Virologe Hendrik Streeck vor zu viel Euphorie. Wann ein wirksamer Impfstoff gegen Corona marktreif ist, könne man "nicht vorhersagen", so Streeck im Gespräch mit dem Handelsblatt. Schon die Debatten darum halte er teilweise für unseriös. "Während sich ein Wirkstoff schnell kreieren lässt, können wir nicht vorhersagen, ob er funktioniert oder nicht." Gerade die Phase der Tests sei "immer voller Überraschungen".

Die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert Koch-Institut erwartet, dass es in Deutschland mehrere unterschiedliche Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus geben wird. Dies sei angesichts der großen Zahl von Impfstoffkandidaten "wahrscheinlich", so die Stiko-Vizevorsitzende Sabine Wicker. Dabei könne es sein, dass einzelne Impfstoffe besonders für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie etwa ältere Menschen geeignet seien.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) hatten sich am Dienstag zuversichtlich gezeigt, dass im kommenden Jahr ein Corona-Impfstoff zur Verfügung steht. Karliczek sagte allerdings auch: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass es erst Mitte nächsten Jahres einen Impfstoff geben wird". Bei der Entwicklung des Serums habe Sicherheit "absolute Priorität".

Die beiden Minister gaben bekannt, dass der Bund die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs durch deutsche Firmen im Rahmen eines Sonderprogramms mit 750 Millionen Euro unterstützen wird. An Biontech etwa sollen 375 Millionen Euro fließen, an den Tübinger Hersteller Curevac 230 Millionen Euro. 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.