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Corona: Kampf gegen die Mutanten

Kay-Alexander Scholz
24. Juni 2021

Trotz einsetzendem Sommer gilt: die Pandemie ist noch nicht vorbei. Wie blickt die deutsche Politik auf die Gefahren einer vierten Welle durch neue Virus-Mutationen? Was wird getan?

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Mutierender Coronavirus, Symbolfoto Virus-Mutation
Die Sorge vor weiteren Mutationen ist großBild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Angenehmere Temperaturen treffen in Deutschland gerade auf Hochstimmung in der Bevölkerung. Denn die COVID-19-Kennzahlen sind zuletzt regelrecht nach unten gerauscht: Auf den Intensivstationen liegen nicht mehr 5000 und mehr Schwerkranke, sondern weniger als 800. Die Zahl der Neuansteckungen ist gesunken, der Inzidenzwert liegt bei knapp 7.

Bundesweit wird deshalb gelockert. Einkaufen ohne Tests ist wieder möglich, der Kaffee auf der Bistro-Terrasse ebenso, selbst Tanzen in Clubs ist mancherorts erlaubt, Public Viewing bei der Fußball-EM ebenso. Doch die Pandemie ist nicht vorüber.

Sorge vor der Delta-Mutation

Das Robert-Koch-Institut (RKI) als Nationale Gesundheitsbehörde wies in seinem wöchentlichen Bericht über die Verbreitung der Virus-Mutanten darauf hin, dass sich die sogenannte Delta-Variante, die zuerst in Indien festgestellt wurde, auch in Deutschland ausbreitet. 15 Prozent - so hoch ist der gegenwärtige Anteil der Virus-Variante B.1.617.2 - Delta genannt - in Deutschland. Er steigt rasant. Noch vor einer Woche betrug der Anteil nur 8 Prozent. Das RKI rechnet damit, dass sich Delta gegenüber anderen Varianten durchsetzen wird.

Delta gilt als eine sogenannte "besorgniserregende Variante". Diese weisen Mutationen auf, die laut RKI "mit einer höheren Übertragbarkeit oder einer veränderten Immunantwort im Zusammenhang stehen können". Die Einstufung "besorgniserregend" oder nicht erfolgt durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Delta hat die Einstufung seit Mai 2021.

B.1.617.2 breitet sich derweil weltweit aus. In Großbritannien macht sie bereits 95 Prozent aller Neuinfektionen aus. Der aktuelle Anstieg der Infektionszahlen in Russland wird mit Delta in Zusammenhang gebracht. Aber auch auf anderen Kontinenten steigen die Zahlen.

Infografik Erfasste Fälle der Delta-Variante weltweit DE

"Das Virus wird immer cleverer"

Man sieht in diesen Entwicklungen weltweit "die ganzen Aspekte, die eine Pandemie ausmachen, die sich hoch dynamisch entwickelt, die neue Virus-Varianten produziert und sozusagen in diesem Überlebensprozess - aus Sicht des Virus - immer cleverer wird", sagte der Komplexitätsforscher und Modellierer Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität zu Berlin im Covid-19 Videopodcast der DW.

Corona-Mutation: Wie gefährlich ist die Delta-Variante?

Das sei "sehr besorgniserregend", so Brockmann weiter, zeige aber einmal mehr, dass diese Pandemie ein sehr langer Prozess sei. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass immer mehr Varianten kommen, mit höheren Reproduktionswerten, bis dann irgendwann sozusagen dieser Kampf am Schluss über die Impfung gewonnen" werde.

Allerdings müsse damit gerechnet werden, dass Varianten entstehen, bei denen "die konventionellen Impfstoffe auch keinen Impfschutz mehr bieten". Schon bei der Delta-Variante sei sichtbar geworden, "dass die erste Impfdosis weniger wirksam ist, als wenn man zwei Dosen bekommen hat."

Was tut die Politik?

Die Politik in Deutschland ist alarmiert. "Die Delta-Variante macht uns natürlich Sorgen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Auftakt des in Brüssel stattfindenden EU-Gipfels. Sie wolle dafür werben, dass die EU "koordinierter vorgehe, auch gerade bei der Einreise aus Virusvariantengebieten". Derzeit gehen die EU-Staaten bei den Corona-Reisebeschränkungen unterschiedlich vor.

Bei einem Treffen der Ländervertreter mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche spielte Delta ebenfalls eine große Rolle. Zum einen geht es um die Impfzentren in den Ländern. "Wir haben vereinbart, ein Bereitschaftskonzept für die Impfzentren zu schaffen, das einen Mindestbetrieb gewährleistet, aber es auch erlaubt, schnell wieder hochzufahren", sagte Spahn nach dem Treffen. Im Zweifel zu viel als zu wenig, gab Spahn als Devise aus. Für die genaue Ausgestaltung sind allerdings die Länder zuständig.

Infografik DT Reisepläne für den Sommer 2021 DE

Eine andere Stellschraube sind die Einreisebestimmungen, gerade jetzt in der beginnenden Sommer-Hauptreisezeit. Hier gilt zunächst weiterhin: Wer aus einem Risikogebiet kommt, muss in Quarantäne - oder einen Negativtest vorweisen. Bei sogenannten Virusvariantengebieten - wie derzeit Indien und Großbritannien - gilt sogar eine 14-tägige Quarantänepflicht, die selbst durch einen Negativtest nicht abgekürzt werden kann.

Wer aus dem Ausland mit dem Flugzeug nach Deutschland einreisen will, muss sich vor dem Abflug testen lassen. Anders als im letzten Sommer gebe es nun ja ausreichende Tests dafür, so Spahn. Eine aktuelle Liste der Risikogebiete gibt das RKI auf seiner Website aus.

Knackpunkte Masken und Schulen

Viele Deutsche interessiert natürlich die Frage: Fällt die Maske oder nicht? Auch hier sind zunächst die Länder zuständig. Auf belebten Einkaufsstraßen braucht man die Masken vielerorts nicht mehr zu tragen. In Bus oder Bahn aber schon. "Die Maske wird uns noch eine Weile begleiten", sagte Gesundheitsminister Spahn. Nun beginne eine "Phase mit viel Verantwortung" füreinander. Je mehr Menschen sich auf engem Raum ballten, umso höher solle die Bereitschaft sein, eine Maske zu tragen. Denn noch immer konnte nicht allen ein Impfangebot gemacht werden.

Deutschland München | Ende der Maskenpflicht in der Innenstadt
Die Maskenpflicht ist oft schon wieder aufgehobenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Eher heikel dürfte die Frage werden, wie es in den Schulen weitergeht. In Deutschland sind die Ferien je nach Bundesland von Juni bis September gestreckt. Für unter 12-Jährige soll es in der Regel keine Impfung geben, lautet die Empfehlung der "Ständigen Impfkommission". Für alle zwischen 12 und 16 Jahren ist eine Impfung freigestellt, so wie es generell in Deutschland keine Impfpflicht gibt.

Die Kultusministerkonferenz hat gerade beschlossen, dass ab Herbst wieder voller Präsenzunterricht erteilt werden soll, also kein Homeschooling mehr. Allerdings sollen die eingeübten Hygiene-Regeln beibehalten werden. Doch generell seien Kinder und Jugendliche keine "treibende Kraft" in der Pandemie. Ganz unumstritten ist das allerdings nicht.

Neuer Lockdown im Herbst?

Die Frage bleibt: Droht im Herbst eine neue, in Deutschland dann vierte, Welle der Pandemie mit einem erneuten Lockdown? Erste Politiker wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach befürchten das. Bei einem TV-Auftritt beschrieb er die Delta-Variante als deutlich ansteckender und gefährlicher, was schwere Verläufe angeht, und als zum Teil resistent, wenn bislang nur einmal geimpft wurde. Er hoffe aber, dass es keine "so große Welle mehr gibt, weil viele schon doppelt geimpft sind".

Neue Herausforderung Long-COVID

Doch aktuell gab es einen Rückschlag beim Impfplan. Das deutsche Vakzin Curevac erwies sich in ersten Analysen als zu wenig wirksam. Bei den anderen Herstellern bleibt eine Ungewissheit, weil es immer wieder zu Verzögerungen wegen Produktionsausfällen kommen kann.

Hohes Impftempo sehr wichtig

Aktuell hat rund jeder Zweite eine Impfung bekommen, jeder Vierte ist doppelt geimpft. Zuletzt hat das Tempo zugenommen. Das müsse auch so bleiben, betont Gernot Marx, Vorsitzender der Interdisziplinären Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin, in einem Interview. Wichtig sei auch das persönliche Verhalten. "Wenn viele Menschen unvorsichtig werden, könnten sich im Herbst wieder mehr Infektionen ereignen, eine vierte Welle ist möglich", fürchtet Marx. "Das Risiko, dass es erneut viele Schwerkranke und Todesfälle geben könnte, besteht weiterhin."

Derweil äußerte sich der Virologie Klaus Stöhr etwas beruhigender. "Zum Glück sehen wir jetzt, und das sind die Zahlen aus England, dass sich die Delta-Variante höchstwahrscheinlich etwas leichter übertragen lässt, aber die Erkrankungsschwere scheint vierfach geringer zu sein", sagte Stöhr dem Sender MDR.

Unter Virologen gibt es die verbreitete Ansicht, dass die Pandemie nicht ganz verschwinden werde. COVID-19 werde eine "normale" Krankheit wie andere auch werden. Schon im Herbst könnte eine weitere Impfung nötig sein. Das ist der Grund, weshalb die Politik sich dazu entschlossen hat, die Impfzentren nicht alle schon wieder abzubauen.