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Gesellschaft

Corona-Krise als Sternstunde Sozialer Medien?

Marco Müller
19. April 2020

"Social Distancing" ist das Gebot der Corona-Krise. Wer persönlich auf Abstand gehen muss, findet dafür oft digital Nähe - in den Sozialen Medien, die gerade einen Imagewandel durchlaufen. Zu Recht?

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Großbritanien | Junge mit Handy in London
Bild: picture-alliance/dpa/ZUMAPRESS/SOPA/S. Taylor

Leere, Stille, Langeweile. Innenstädte sind wie ausgestorben, Autobahnen wirken wie überflüssig. Die Corona-Pandemie hat das öffentliche Leben und den Verkehr fast zum Stillstand gebracht. Reisen rund um Ostern: ausgefallen. Geburtstage und Konzerte: abgesagt. Restaurants und Cafés, Bars und Diskos: geschlossen.

Wenn draußen nichts mehr los ist, muss man sein Leben halt drinnen gestalten. Auch da gibt es eine Menge, was man anstellen und über die Sozialen Medien mit anderen teilen kann. Dann wird aus dem Wohnzimmer ein Fernsehstudio oder eine Sportarena. Auf jeden Fall kann man auf diese Weise mit Leuten in aller Welt viel Spaß haben, auch wenn man die eigenen vier Wände nicht verlassen darf.

Kreativ - und sonst?

Die heimischen Aktionen bekommen dann Hashtags wie #stayathomechallenge oder #toiletpaperchallenge. Dabei geht es beispielsweise darum, mit Klopapierrollen seine Fußfertigkeit zu zeigen und kleine Kunststücke zu vollbringen. Und plötzlich findet man sich in einer Reihe mit Fußballstars wie Franck Ribéry, Jérôme Boateng oder Lionel Messi, die alle schon per Internetvideo ihr Können an der Klorolle gezeigt haben.

Für die #pillowchallenge muss man nicht mal sportlich sein und man benötigt auch nicht das kostbare Gut Klopapier. Einfach nur ein Kissen nehmen und es sich mit einem Gürtel umschnallen. Foto machen, nicht vergessen, und dann ab ins Netz.

Etwas mehr Mühe ist bei der #gettymuseumchallenge nötig, denn da geht es um große Kunst. Das berühmte Getty-Museum in Los Angeles hat auf Twitter dazu aufgerufen, weltbekannte Gemälde mit Alltagsgegenständen nachzustellen.

Die Frage ist: Wozu das Ganze? "Das ist eine Möglichkeit, über einen kreativen Umgang einen Impetus zu erzeugen, Leute anzuspornen aktiv zu werden, etwas anderes zu machen", sagt Tobias Dienlin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim, und ergänzt: "Menschen können sich dadurch einen Sonnenstrahl in ihr Leben holen." Sie werden damit quasi zumindest für eine Zeit lang aus ihrem aktuell oft tristen, mitunter stressigen Alltag zu Hause gerissen.

Tobias Dienlin
Medienpsychologe Dienlin: "Einen Sonnenstrahl ins Leben holen"Bild: Philipp Masur

Aber manche Challenges haben durchaus auch einen erzieherischen Gedanken. Nur ist der sehr geschickt verpackt. So gibt es auch Fotos und vor allem Videos, die zum Tragen von Mundschutz anregen wollen oder zur korrekten Handhygiene. Und wenn beispielsweise die korrekte Handhygiene Teil eines lustigen Videos ist, in dem die Tanzenden ihre Hände wie beim Händewaschen bewegen, dann ist das lustig und lehrreich zugleich.

Soziale Medien besser als ihr Ruf?

Neben den kreativen und zum Teil erzieherisch wirkenden Challenges gibt es in den Sozialen Medien auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, zum Beispiel, wenn es darum geht für ältere Menschen etwas einzukaufen. Sorgten Soziale Medien bislang oft aufgrund von Hasskommentaren für Schlagzeilen, scheint es aktuell vornehmlich Positives zu berichten zu geben. Haben Facebook, Twitter und Co. etwa eine Wandlung hin zum "Guten" gemacht?

Jan-Hinrik Schmidt
Medienforscher Schmidt: "Das ist nicht die Norm"Bild: Leibniz-Institzt für Medienforschung

Nein, sagt Jan-Hinrik Schmidt vom Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Die Sozialen Medien sind nach seiner Ansicht geblieben wie sie sind - die Berichterstattung über sie habe sich nur verändert: "Wir haben eben an manchen Stellen darauf fokussiert - auch zu Recht - wo Kommunikation nicht funktioniert", so der Experte für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation. Es sei vielfach über Hasskommentare oder Trolle gesprochen worden. Dann kam die Corona-Krise.

"Und jetzt sehen wir: Das ist nicht die Norm." Ganz viele Menschen würden die Sozialen Medien nutzen, "um sich freundlich und konstruktiv mit ihrem sozialen Umfeld auszutauschen, eben um Gutes zu tun", sagt Schmidt. Und darauf liege aktuell der Fokus der Medien, aber auch vieler Wissenschaftler.

Eine Frage des Fokus

Das gleiche gilt für Fake-News, die sich oft wie Lauffeuer in Sozialen Medien verbreiten. Die mit manipulativer Absicht in Umlauf gebrachten Falschmeldungen seien einfach ein bisschen aus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Genauso wie Fake News jetzt nicht auf einmal weg seien, seien die Challenges nicht auf einmal plötzlich da.

Nach Ansicht des Hamburger Forschers sind Soziale Medien per se weder gut noch böse. Es hänge halt davon ab, was einzelne Menschen mit ihnen machten. In Sozialen Medien bilde sich "die gesamte Menschheit" ab, ergänzt Medienpsychologe Dienlin: "In ihren positiven und ihren negativen Seiten". Auch aktuell sei beides zu beobachten.